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Kombiniert Elemente seines marokkanischen kulturellen Erbes mit globalen Zukunftsfragen.
Von Helen Adkins | Dez 2008Hassan Darsi, der in Casablanca geboren wurde und dort lebt, gründet seine künstlerische Praxis auf Ideen, die sich leicht erschließen lassen und eine direkte visuelle Wirkung haben. Seine Werke ermöglichen ambivalente Lesarten und bemühen sich darum, Konfliktsituationen in einem figurativen Sinne offenzulegen. Er setzt sich im öffentlichen Raum mit der Gesellschaft als Ganzem auseinander, indem er ein ausgeprägtes Bewusstsein seines marokkanischen kulturellen Erbes mit globalen Zukunftsfragen kombiniert.
Eines der Themen, mit denen sich Hassan Darsi seit 2001 beschäftigt, hat mit dem Vergolden zu tun. Auf die Idee kam er, als er in einem Handwerksladen in der Nähe seines Ateliers Rollen goldener Tapeten von 0,45 mal 15 m entdeckte. Aus solchen selbstklebenden Bahnen wurden ornamentale Dekorationen im Stil des traditionellen Kunsthandwerks ausgeschnitten, die die handgemalten Vergoldungen ersetzten.
Zuerst sammelte Darsi die beim Ausschneiden übrigbleibenden Reste für spielerische Experimente und begann, mit ihnen die Wände seines Ateliers zu dekorieren. Später entwickelte er abstrakte Kunstwerke, indem er seine goldenen Abfälle benutzte, um Arbeiten auf Papier in traditionellem Format zu schaffen. Die magische Qualität der Stücke wird durch die kostbare Unterlage gesteigert, die aus chinesischem Reispapier besteht, das auf Pappe aufgezogen ist. Darsi nennt diese Arbeiten "Chute", was in Französisch so viel wie "Herunterfallen" bedeutet, ein Wortspiel mit dem Abfallcharakter des Materials in Verbindung mit den rhythmischen Kaskaden der goldenen Abstraktion auf den Bildern.
2007 übertrug Darsi seine goldenen Applikationen in den öffentlichen Raum, indem er die selbstklebenden Rollen auf der Fassade einer kommerziellen Kunstgalerie benutzte. Zum ersten Mal präsentierte die Galerie Venise Cadre in Casablanca avantgardistische zeitgenössische Kunst. Aus den ursprünglich vier Tagen, die für die Installation genehmigt worden waren, sind fünf Monate geworden. Die Galerie wurde zu "dem goldenen Haus", einem Orientierungspunkt für die Taxifahrer der Stadt und einem allgemeinen Gesprächsthema für all jene, die sie gesehen hatten. Die Spiegelungen auf der hochglänzenden Oberfläche des Klebepapiers ließen das Gebäude zu einem impressionistischen Gemälde werden, spielten aber auch auf die häufige Nutzung traditioneller ornamentaler Vergoldungen an.
Im Januar 2008 arbeitete Darsi an Urbaner Choreographie. In dieser öffentlichen Aktion, die in Marrakesch im Bezirk Al Massira stattfand, ließ er eine Spielzeugpuppe auf einem Autodach einen modernen Tanz aufführen. Der nackte Körper der blonden Schönen mit den blauen Augen ist mit Gold bedeckt. Der schwarze Kreis auf ihrer Brust erinnert deutlich an die Tatsache, dass es sich um eine höchst begehrenswerte Sprechpuppe handelt. Ursprünglich wollte Darsi mit der Puppe auf seinem Autodach durch die Stadt fahren, aber die dafür erforderliche Genehmigung der Polizei ist ihm verwehrt worden.
Dann intervenierte Darsi in den Hafen von Guia de Isora auf der Kanarischen Insel Teneriffa mit einer Arbeit, die er Goldene Mole oder Or d’Afrique nannte, wobei letzteres als ein Wortspiel von Out of Africa (Jenseits von Afrika) und Gold aus Afrika gemeint ist. Es ist die erste Edition einer Serie ähnlicher Interventionen, die für Seehäfen in aller Welt geplant sind. Darsi brachte seine goldene Klebefolie auf die Betonblöcke der Mole auf: die bezaubernd schöne und geometrisch minimalistische Wasserlinie des wohlhabenden Jachthafens steht in einem paradoxen Kontrast zur Brutalität des Betons, mit Assoziationen an den Schutz der Küste gegen Überfälle oder illegale Einwanderer. Trotz des Meerwassers hielt die Intervention mehrere Monate, und der Künstler produzierte eine Serie von Fotos, die den warmen goldenen Glanz im harten Kontrast zum rauen Beton zeigen.
Hassan Darsi, über den im Nafas Kunstmagazin schon im Zusammenhang mit seinem Rehabilitationskonzept für den Hermitage Park in Casablanca berichtet wurde (siehe die Links in der rechten Spalte), hat seine goldenen Applikationen auf ein urbanes Projekt ausgeweitet, das auf der Erneuerung des Zevaco-Globus im Zentrum von Casablanca beruht. Das Monument war 1971 von Jean-François Zevaco, einem der anerkanntesten französisch-marokkanischen Architekten seiner Zeit, als Symbol für eine unterirdische Fußgängerpassage zwischen der Ville Nouvelle, der kolonialen Stadt, und der alten Medina konzipiert worden. Das Monument verfiel zusammen mit seiner Vision eines aufkommenden goldenen Zeitalters. Das Festival Cas’arts 2008 schrieb einen Wettbewerb für die Restaurierung des Zevaco-Globus aus. Darsi schlug vor, die Struktur mit seinem Klebematerial zu vergolden und ihr damit eine neue, strahlende Hülle zu geben, die mit der Zeit aber wieder zerfallen würde. Er hoffte, damit eine Diskussion über Fragen der urbanen Moderne und damit zusammenhängende Langzeiteffekte auszulösen. Der Stadtrat von Casablanca lehnte Darsis Projekt aber gerade wegen der absehbar kurzen Lebensdauer ab, und ein Vorschlag, den Globus mit verschiedenen Farben zu bemalen, wurde angenommen. Ironischerweise entschied sich der Rat dann jedoch gegen die Farben und verlangte, das Monument gold zu streichen, weil dies eine Farbe mit einem "neutraleren Charakter" sei. Darsis Modell für das Projekt wurde in Casablanca und auch in der Ausstellung In der Wüste der Moderne. Koloniale Planung und danach in Berlin gezeigt. Auf diese Präsentationen folgte Das Große Schiffswrack, eine große Installation, in der Zevacos Globus für das Sinnbild eines untergehenden und verwundeten, in Flammen stehenden Planeten benutzt wurde. Gegenwärtig ist der Künstler mit goldenen Applikationen auf von der NATO im Nahen Osten eingesetzten Panzern beschäftigt.
Hassan Darsi arbeitet mit der Verschiebung zwischen unserer visuellen Wahrnehmung und unseren Wertvorstellungen. Seine geklebten Vergoldungen bieten Raum für die Reflexion über materielle Täuschung, den Kontrast zwischen der Natur des vergoldeten Objekts und der Faszination der Zivilisation für das Gold. Für Darsi ist der Moment der Transformation, der die Verschleierung, Wiederherstellung und künstliche Glorifizierung einschließt, ein zentraler Aspekt seiner goldenen Applikationen.
Helen Adkins
Freiberufliche Kunsthistorikerin und Ausstellungskuratorin, lebt in Berlin, Deutschland.