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Operation Supermarkt: Verpackungen erfundener Marken als Diskurs über Kapitalismus.
Von Sohrab Mohebbi | Sep 2008In diesen Zeiten der Frequent Flyers, Zufallskontrollen, drahtlosen Diskos, Online-Casinos, Post-Warhol, der alten Young British Artists, Millonen Dollar Schädel, islamischen Londons, Hybridautos und Cyber-Kriege könnte man sich gut vorstellen, wie das berühmte iranische Künstlerpaar Farhad Moshiri und Shirin Aliabadi aus dem Flugzeug in den überraschenderweise mit Wi-Fi ausgestatteten Gang des internationalen Flughafens von Teheran tritt. Während sie noch damit kämpfen, den im Flugzeug servierten Hühnchensalat zu verdauen, folgen sie dem Leitsystem hin zur Gepäckausgabe. Wegen der Nulltoleranz-Politik im Land gegenüber Drogen und Alkohol gibt es einen weiteren Kontrollpunkt für Zufalls-Checks. Der Monitor des Röntgengeräts entdeckt Schokoladentafeln, Reinigungsmittel, Müßlischachteln, eine Packung eines unbekannten Pulvers und mehr. Die Kontrolleure springen sofort auf und halten das Paar an. Ein bärtiger Beamter in dunkelgrüner Uniform und braunen Latschen fordert sie auf, ihr Gepäck zu nehmen und ihm in einen kleinen Inspektionsraum an der Seite zu folgen, und es erübrigt sich wohl zu sagen, dass das nicht gerade höflich geschieht. Die beiden legen ihre Koffer auf den ihnen zugewiesenen Tisch und der Beamte fängt an, ihre Sachen durchzuwühlen. Sie bitten ihn vorsichtiger zu sein, doch er wird daraufhin böse und beginnt, ihre Habseligkeiten auf dem Koffer zu werfen. Dann wickelt er die Schokolade aus, auf deren Verpackung Tolerieren steht, öffnet die Frag Warum Müßlischachtel, leert eine Flasche Geschirrspülmittel, auf der Freunde steht. Der Zollbeamte zerstört die meisten Stücke der "Operation Supermarkt" genannten Serie vor den Augen ihrer Schöpfer, denen nichts anderes übrig bleibt als "die Intoleranz zu tolerieren". Nach dem Ende der Inspektion fordert er sie auf, ihre Habe wieder einzupacken und sagt ihnen, sie können jetzt gehen. Dann nimmt der Beamte einen Schluck aus einer Flasche Mineralwasser mit einem Kit-Kat für eine Pause zu sich. [1]
Das Projekt "Operation Supermarkt" besteht aus einer Serie von Werbung und Verpackungen für Konsumartikel, bei denen nach Aussage der Künstler "Poesie mit Waschmittel" vermischt ist. Dabei geht es insbesondere um die Kommodifizierung von Etikettierungen des Nahen Ostens durch die Mainstream-Medien, aber auch um eine verschrobene Parodie auf die mythischen Hoffnungen, die den Waren als den kapitalistischen Agenten des Wandels selbst aufgedrückt werden.
Genau auf der anderen Seite des Persischen Golfs ist Dubai die weltweit größte Freihandelszone, und Güter von überall her sind in gigantischen Lagerhäusern und Einkaufszentren gestapelt und finden ihren Weg zu den Märkten in der Region und in der Welt. Im Ergebnis dessen sind unsere Geschäfte genauso mit Nikies und Nestle und Armani gefüllt wie in der westlichen Welt, und wir alle sind fasziniert von der Mannigfaltigkeit des uns offerierten Angebots.
Die Serie verweist auf den tiefgreifenden Effekt des westlichen globalen Kapitalismus auf das Alltagsleben der allgemeinen Konsumenten. Es geht darum, wie die Bürger beginnen, sich durch das, was sie aus den Regalen des Marktplatzes nehmen, selbst als Personen zu definieren. Diese Arbeiten bestehen aus manipulierten Verpackungen üblicher Haushaltsgegenstände, die es in jedem normalen Supermarkt in aller Welt gibt. Der Titel Supermarkt spielt auf das globale Konsumverhalten und auf Produkte als den Vehikeln der Manifestation einer neuen Form des Empire an.
Vor nicht mehr als zehn Jahren war Barf im Iran unser einziges Waschpulver. Und gerade erst vor ein paar Jahren wurde eine Unterzeile hinzugefügt, mit der erklärt wird, dass barf in Farsi "Schnee" bedeutet. Das Islamische System, das die so genannte westliche Kultur angeblich bekämpft hat, erlaubt nunmehr, dass eine Flut von Produkten in die Schutzzone geförderter nationaler Güter einbricht.
Die Arbeit mit dem Titel Wir sind alle Amerikaner hat mit unserer Faszination für alles Amerikanische zu tun. Die Amerikanisierung einer Gesellschaft ist durch das Verhältnis des Warenfetischismus zur Bandbreite verfügbarer Produkte definiert. Wenn globale Unternehmen ihre Werbekampagnen lokal abstimmen, passen sie ihre Slogans an lokale kulturelle Eigenheiten an. Folglich ist die "Poesie mit Waschmittel" auch eine Referenz an die orale Kultur des Iran und ihre Obsession für die Dichtkunst, eine tief in der iranischen Gesellschaft verwurzelte Tradition. Das Künstlerpaar gibt diesen Produkten neue Markennamen und transformiert sie zu einem Diskurs über Kapitalismus. Die neue Erscheinung des Bildes, das von einer Werbung zu einem Kunstwerk geworden ist, modifiziert dadurch die Art, in der das Bild wahrgenommen und diskutiert wird. Die beiden Künstler offerieren diese ready-made Werbesprüche als eine Plattform für das Schmuggeln neuer Inhalte. Die unmittelbare Qualität dieser Bilder - die zu einem globalen Bildrepertoire gehören - wird benutzt, um eine differenzierte Botschaft in einer Art zu vermitteln, die im Gegensatz zu ihrem ursprünglichen Daseinszweck steht.
In seinem Schaffen bezieht sich Moshiri auf alles kitschige als den postkolonialen Monumenten der zeitgenössischen Kultur des Iran und der Region. Er nimmt Bezug auf die nachrevolutionären Zeichenbücher, die Springbrunnen an den Kreuzungen und auf den Hauptplätzen der Städte, die Möbel der Emporkömmlinge und die westlichen und verwestlichten Marken von Produkten. Aber nichtsdestotrotz gehen diese Werke über die lokalen Grenzen hinaus. Mit Konsumismus als einer globalen Ausdrucksform bildet unser Produktlexikon das Vokabular unserer Zeit. Die Reihen von Einkaufswagen an den Kassen der Supermärkte deuten auf eine moderne Form der Kommunikation hin. Shoot first, make friends later (schieße zuerst, freunde dich später an) ist das Produkt einer globalen Paranoia und Leute, die andere Leute töten, sind tägliche Schlagzeilen. Einiges davon erinnert uns an die Postkarten von Demonstrationen vor den Gipfeltreffen der Welthandelsorganisation. Und kann es nicht auch sein, dass die beiden Künstler solche Fragen aufwerfen, wie wir den Hunger in Afrika durch die Wahl unserer Seife stoppen und wie die Regale in unserem Badezimmer die Regierung kritisieren können? Wie können wir durch die Marke unserer Unterwäsche protestieren und wie können wir mit der Wahl unserer Feuchtigkeitscreme um Vergebung bitten? Und mit unserem bevorzugten Waschmittelset äußeren wir unsere Liebe, indem wir fragen "MY SOUL MY UNVERSE WHERE WERE YOU ALL THOSE DAYS" (Meine Seele, mein Alles, wo warst du all diese Tage).
Früher waren es Elvis oder die Beatles, jetzt sind es Pepsi oder Coke, und kann es nicht sein, dass es um die Frage geht, als welche Marke man sich selbst als Mensch definiert?
Anmerkung:
Sohrab Mohebbi
Künstler und Autor aus Teheran, Iran. Studiert derzeit am Centre for Curatorial Studies, Bard College, USA.
Operation Supermarkt. 2006
Digitaldrucke, 100 x 75 cm