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Staatskunst oder Privatisierung? Ein Streifzug durch die 8. Biennale Afrikanischer Kunst, Dakar.
Von Sabine Vogel | Mai 2008Kunst ist höchste Staatsangelegenheit. Nicht mehr so sehr wie unter dem ersten Präsidenten des frisch entkolonialisierten Senegals, aber immer noch demonstrativ. Leopold Sédar Senghor, der in Paris ausgebildete Intellektuelle, Dichter und Philosoph der "Negritudé", hatte seinerzeit 25 Prozent des Staatshaushaltes der Kulturförderung zugewiesen. Von solch ökonomischer Priorität kann inzwischen nicht mehr die Rede sein, aber auch der jetzige Präsident Abdoulaye Wade lässt es sich nicht nehmen, die inzwischen zum achten Mal stattfindende Biennale "Dak'Art" persönlich zu eröffnen.
Für das Zeremoniell wird im Garten des Nationalmuseums am Place de Soweto der rote Teppich ausgerollt, eine riesige Plastikplane schattiert die Stuhlreihen für die Ehrengäste. Mit blitzenden Säbeln, goldbetressten Topfhüten und langen roten Tuniken sorgt eine Operetten-Garde für historisierenden Glamour und Pomp. Eine Handvoll Sicherheitskräfte mit locker geschulterten MG's ist dezent auf den sandsteinfarbenen Balustraden ringsum verteilt, Schulkinder mit erwartungsgroßen Augen säumen den Kiesweg, schicke junge Frauen in wild ornamentierten Gewändern weisen auch den ungeladenen Besuchern Plätze zu. So locker wird das Protokoll eines Präsidentenauftritts wohl selten gehandhabt.
Künstler, Kuratoren, Kontinentgroupies und Kritiker aus dem internationalen Biennale-Zirkus stehen am Rand herum und nutzen die Zeit, bis der höchste "Schutzpatron der Künste" unter Zimbeln und Gebimmel mit seinem Gefolge erscheint, zur Begegnung. Die ist ohnehin das Wichtigste. Im Umfeld dieser turnusmäßigen Großausstellungen geht es vor allem darum, Netzwerke zu knüpfen, zu erneuern und zu pflegen. Und weil Dakar wie Venedig vor allem sonnig, heiter und am Meer ist, findet sich die afrophone Kunstszene alle zwei Jahre wieder wie zum Familientreffen in Senegals Hauptstadt ein. Wenn die Kunst mal nicht so ganz top ist, lässt sich das in diesem freundlichen Ambiente aus (für Europäer) günstigen Fünfsternehotels und vom Familienministerium mit Frauen-Krediten geförderten "Sister-Taxis" leicht verschmerzen.
Während der Staatspräsident noch die Botschafter, Honoratioren und Sponsoren der Frankophonie begrüßt, konferieren ein Dutzend Gäste des Goethe-Instituts (GI) über neue Strategien, Ideen und Notwendigkeiten der Kulturförderung in Afrika. Fünf Millionen Euro hat das GI in diesem Jahr zusätzlich für Afrika-Projekte. Statt derer ist jedoch die neue Erscheinung afrikanischer Kunstsammler das dominante Thema. Der steinreiche angolanisch-kongolesische Geschäftsmann Sindika Dokolo etwa, dessen Sammlung zeitgenössischer afrikanischer Kunst schon auf der letzten Venedig Biennale Afrika repräsentiert hatte, kaufte und förderte afrikanische Kunst und Künstler mit einer Summe von rund drei Millionen Euro allein im letzten Jahr. Was für die afrikanischen Künstler der reinste Segen ist, wird von westlichen Kritikern und Museumsleuten allerdings als drohende Privatisierung und Monopolisierung von Kunst problematisiert. Denn in viel zu wenigen Ländern Afrikas ist Kunst und Kultur leider ganz und gar nicht oberste Staatsangelegenheit, sind nationale Museen und öffentlich zugängliche Archive keine Selbstverständlichkeit.
Die diesjährige "Dak'Art" Biennale hingegen leidet geradezu unter der Fuchtel staatlicher Fürsorge und Funktionäre. Die energiegeladene Aufbruchsstimmung der "Buschbiennalen" vergangener Jahre ist einer leidenschaftslosen Ödheit, einer kunsthandwerklich glattpolierten Erstarrung gewichen. Dabei thematisieren die dürftig wenigen Künstler, die sich mit ihren Bewerbungen beim kulturministerialen Auswahl-Komitee überhaupt durchsetzen konnten, fast durchweg politisch drängende Probleme. Mit einem Tableau aus Vorhängeschlössern und Zeitungsausrissen illustriert Babacar Niang (Senegal) die massenhafte illegale Emigration. Ein verspieltes Videoclip von Soly Cissé lässt die Sterne der Europäischen Union zu Computerspielquietschesound den Ausschlussreigen der "Festung Europa" tanzen. Drei überlebensgroße Käthe-Kollwitz-Leidensfiguren aus brandgeschwärztem Holz (Jems Robert Koko Bi von der Elfenbeinküste) stehen für "Darfur". Kopflose Frauenfigurinen mit schwangeren Hohlbäuchen aus rostigen Löffeln, Gabeln und Patronenhülsen (Freddy Tsimba aus dem Kongo) symbolisieren hoffnungslose Fluchtbewegungen. Und ein raumgreifendes Arrangement aus dürren Eisenbäumen mit flehenden Asthänden von Ndary Lo erhebt Anklage gegen das Sterben der Wälder.
So ambitioniert und gut gemeint die Anliegen, so plakativ der sozialkritische Kitsch. Der Senegalese Ndary Lo gewann den ersten Preis der Biennale - zusammen mit Mansour Ciss. Dieser seit langer Zeit in Berlin lebende Senegalese überzeugte die Juroren mit seinem "Laboratoire de Deberlinisation": Auf zwei überdimensionalen Streichholzschachteln sind das Brandenburger Tor und der Umriss Afrikas abgebildet, davor stehen abgebrannte und (noch) nicht entzündete Streichhölzer. Die "Entberlinisierung" spielt auf die Berliner Afrika-Konferenz von 1884 an, bei der die europäischen Kolonialmächte Afrika unter sich aufteilten, und das Feuer soll irgendwie konzeptionell die Ambivalenz zwischen Zerstörung und Befreiung darstellen. Für den Künstler aus dem Berliner Exil ist der Preis der Heimat auch eine Anerkennung seiner gelebten Multikulturalität. Und da inzwischen zwei Heimaten nicht genug sind, erhält er zusätzlich ein dreimonatiges Stipendium in China.
Aber für uns Besucher aus dem kühlen Westen erfüllt sich die Sehnsucht nach dem magischen Afrika erst in einem versteckten Innenhof jenseits der offiziellen Biennale-Wegweiser. Hinter einer alten Eisentür in einer Seitenstraße eröffnet sich ein bizarres Gesamtkunstwerk. Unter dem hohen Dach eines riesigen Gummibaumes hängt ein Gespinst aus Schnüren mit Zetteln und Zeichen, expressionistisch-abstrakten Gemälden und zerschlissenen Kleidungsstücken an Wäscheklammern. In den Ecken und Nischen spielen vernachlässigte Holzskulpturen, Tierskelette und verblichene Leinwände mit den Sonnenstrahlen Versteck. Staubgefüllte Cognacgläser auf einem Gartentisch, die eisernen Stühle in einem Laubkreis, warten auf Besucherinnen aus der Vergangenheit. Über Jahrzehnte erschuf hier der Künstler Issa Samb alias Joe Ouakam ein Universum, in dem die Zeichen des Alltäglichen sich zu Altären einer privaten Obsession verwandeln.
In den 60er-Jahren gehörte Ouakam - u.a. mit dem Filmemacher Mambeti, - zu den Gründern der Gruppe Laboratoire AGIT-Art. Ihre multimedialen Aktionen richteten sich gegen den Formalismus de Ecolé de Dakar, aus der "Vergesellschaftung des Ästhetischen" entstand eine Ästhetik des Sozialen. Diese Installation könnte ein Lehrstück für die heutigen Künstler sein - allein das Schild "Nationalmuseum" am Tor fehlt.
Sabine Vogel
Studierte Kunstgeschichte, arbeitete als Kuratorin und Koordinatorin bei Biennalen in Johannesburg und Istanbul (beides 1995) sowie im Haus der Kulturen der Welt, Berlin. Seit 2000 Literaturredakteurin bei der Berliner Zeitung.
Dak'Art 2008
8. Biennale Zeitgenössischer Afrikanischer Kunst
9. Mai - 9. Juni 2008
Dakar, Senegal