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Los Angeles, Beirut, Kabul… was erfassen unsere Kameras von solchen Städten?
Von Bilal Khbeiz | Nov 2008Wenn der Künstler Allan Sekula Bilder von Menschen, Tieren und Dingen fotografiert, vergrößert und an öffentlichen Orten ausstellt, ist es so, dass dieselben Bilder während sie gezeigt werden binnen kurzem erneut fotografiert werden können. Einen afrikanischen Elefanten oder einen afghanischen Träger auf einem der Märkte Kabuls zu fotografieren und sie an der Fassade des Capitol Hill oder der Los Feliz Fountain in Los Angeles zu platzieren, ist ohne Zweifel ein Akt, der eine genauere Untersuchung verdient. Allerdings scheint es angesichts dessen, dass ein Bild als unvollständig erachtet wird, bevor es aus seinem gewohnten Kontext herausgeholt und in einen gänzlich davon abweichenden versetzt wird, überflüssig zu sein, lediglich Sekulas sorgsamen Umgang mit Architektur, Farbe, Vegetation und Symmetrie an dem Ort, an dem die Bilder ausgestellt sind, zu erwähnen.
Der Betrachter ist mit dem Wunsch konfrontiert, die Werke zu komplettieren, und fragt sich, wie es wohl wäre, wenn man ein Foto des Capitol Hill mit dem davor ausgestellten Bild des Elefanten auch vor dem Kreml platzieren würde? Was wäre, wenn wir dann das Bild des Kremls mit dem vom Capitol Hill samt Elefanten am Obelisken auf den Champs-Élysées aufstellen würden? Und wie wäre es, wenn wir ein Foto der Champs-Élysées mit der vorhergehenden Bilderfolge - also vom Elefanten bis zum Kreml - vor dem Bundestag ausstellen würden? Der Betrachter kann dieses Gedankenspiel weiterführen bis der Elefant vollständig verschwunden ist und nur noch die Frage übrigbleibt, ob es irgendeine reale Bedeutung hatte, den Elefanten am Anfang überhaupt zu fotografieren.
Diese Erfahrung ist durchaus amüsant, doch als ich über diese Bilder nachdachte, begann ich mich zu fragen, wer alles der Elefant in einem solchen Szenario sein könnte. Ist das Verschwinden des Elefanten notwendig, damit sich die Ausstellung von einem Ort zum anderen bewegen kann, oder ist es nicht vielmehr so, dass der Elefant schon einen kurzen Moment nachdem das Bild aufgenommen wurde verschwunden ist? Wahrscheinlich weil ich von einem für derartige Kurzweil nicht geeigneten Ort komme, begann ich mir vorzustellen, ich würde in diesem Falle der Elefant sein. Ein solcher Elefant wird immer als Modell für die Kunst gebraucht, doch sobald sein Bild vom Fotografen eingefangen worden ist, wird er schnell wieder vergessen und seinem Schicksal überlassen. Tatsächlich scheint die Kunstwelt zwar bis aufs Messer für das Recht eines Werkes ausgestellt zu werden kämpfen zu wollen, jedoch nicht für das Schicksal von dessen Sujet. Daraus könnte man schließen, es sei geboten, dass der Krieg in Afghanistan kurz unterbrochen wird, damit die Fotografen Bilder der Menschen, Berge und Höhlen aufnehmen können, bevor sie vom Beschuss der Kampfflieger und von Selbstmordattentätern komplett ausgelöscht werden. Wenn die Kameras mit dem Filmen aufhören, ist Afghanistan überall für jeden zu sehen, und der Krieg mit seiner tyrannischen Leuchtkraft kann erneut fortgesetzt werden. Wenn Afghanistan erst einmal sicher in einem Museum ausgestellt ist, dann ist es nicht so wichtig, dass das Land Afghanistan so bleibt wie es war. Es mag durchaus sein, dass es erst wenn es total zerstört wurde, wieder zu einem Gegenstand des fotografischen Interesses wird.
Das ist in der Tat eine bittere Erkenntnis mit bekanntem Ursprung. Die Ausweitung der Bitterkeit auf die Geographie ist durchaus angebracht, denn sogar die im Nahen Osten vom Schicksal gesegneten, wie die Israelis, die Sarah Palin in dem Glauben verteidigt, ihre Unterstützung würde sie stärken, haben eigentlich nur sehr bedingt Glück. Diese weite Geographie ist nichts anderes als ein riesiges Atelier für die Produktion von Kunst, und auch diese ist das Resultat einer ätzenden Bitterkeit. Kaum sind unsere Bilder aufgenommen worden, werden wir schon wieder gebeten zu posieren, aber dieses Mal mit neuen Wunden und mehr Blut.
In den Seiten für internationale Nachrichten der amerikanischen Presse wie auch in den internationalen Meldungen an jedem Ort weitab vom eigentlichen Geschehen erfährt Beirut nur dann eine Erwähnung, wenn Blut vergossen wird, während über Bagdad nur im Zusammenhang mit statistischen Informationen über die Zahl von Opfern gesprochen wird. Wir erfahren selten etwas über das irakische Parlament oder über Lohnerhöhungen im Libanon. Nur der Tod erscheint als Nachricht, und wir würden gut daran tun uns zu erinnern, dass wir sterben müssen, um die Aufmerksamkeit der Kameras zu erlangen.
Ich trage keine Bilder meines Landes bei mir, denn wenn ich dort bin, sehe ich nie etwas, das es wert wäre fotografiert zu werden. Es ist ganz im Gegenteil so, dass ich hier in Los Angeles den Wunsch verspürte, eine Kamera bei mir zu haben und alles zu erfassen, was meinen Blick auf sich zieht. Doch war ich nicht in der Lage, irgendetwas anderes aufzunehmen als etwas Weißes, das alles und zugleich nichts bedeutet. Dieses Weiße bereitet auf seinen Seiten den Empfang für den Elefanten vor, für den Capitol Hill und die Märkte von Kabul. Auf seinen Seiten stelle ich mir vor, ich sei in der Lage gewesen, Los Angeles wie auch Beirut auf fotografisches Material zu bannen. Was mich immer davon abhält, dieses Verbrechen zu verüben, ist, dass Bilder, und zwar alle Bilder, nach wie vor das Blut verehren.
Gibt es irgendetwas, das unsere Kameras von dieser Stadt einfangen könnten? Vielleicht ein neidvoller Schnappschuss - ein Bild, das die Einwohner dieser Stadt sichtbar aber nicht fotografierbar macht. Durch diesen neidischen Schnappschuss könnten unsere Fotos von diesem Ort, der uns kaum toleriert, der Pflege der Melancholie dienen. Was würde von den menschlichen Gefühlen übrigbleiben, wenn die Lehren der Melancholie auch noch verschwänden?
In meinem Zimmer hier gibt es drei Stühle - einen für die Einsamkeit und zwei für das Begleitetsein. Wenn ich allein bin, sitze ich solange, bis ich merke, dass ich in einem mich blendenden Weiß lebe, in dem nichts sichtbar ist. Dieses Weiß lässt die Welt schwerelos erscheinen, so wie Nebel und wie der Dampf einer Badewanne.
Bilal Khbeiz
Dichter, Essayist, Journalist. Geboren 1963 im libanesischen Dorf Kfarchouba. Lebte in Beirut, seit 2008 in Los Angeles, USA, im Exil.