Für eine optimale Ansicht unserer Website drehen Sie Ihr Tablet bitte horizontal.
Die politisierte Kunstszene in Palästina. Kunstprojekt zum Thema Müll, Transmediale Berlin 2008.
Von Mirko Heinemann | Feb 2008Der Checkpoint Kalandia erinnert an einen Grenzübergang im geteilten Berlin. Massive Betonblöcke an den Straßenrändern leiten den Verkehr. Busse, LKW und Privatautos warten auf die Abfertigung. Zu beiden Seiten zieht sich der massive, graue Grenzwall bis zum Horizont, wo er im staubigen Dunst verschwindet. Auf palästinensischer Seite warten in langen Reihen Reisende vor den vergitterten Drehtüren, bis eine barsche Stimme sie an den richtigen Schalter ruft.
Diana Mardi hält ein Mikrofon durch eines der Gitter und nimmt die Geräusche auf, führt Interviews. Eine Frau aus Ramallah erzählt, dass sie ihren Sohn im Krankenhaus in Jerusalem besucht. Jeden Morgen stehe sie hier in Kalandia an, um nach Israel zu kommen, übernachten dürfe sie dort nicht.
Diana Mardi ist Mitte Dreißig, Künstlerin, und sie sammelt Material: Knapp zwei Dutzend Maler, Fotografen und bildende Künstler aus dem Westjordanland und Gaza haben sich im Herbst 2007 mit der deutschen Künstlergruppe Blackhole Factory zusammengetan, um an einer interaktiven Installation aus Videos und Tönen zu arbeiten - und aus Abfall, den sie auf Mülldeponien gesammelt haben. Die Ausstellung, Titel: Trans4m Orchestra, war bereits in Gaza und Jerusalem zu sehen und wird im Rahmen der Kunstausstellung Transmediale.08 in Berlin gezeigt, die heute beginnt.
Müll, auf englisch Waste, so lautet auch Diana Mardis Auftrag an diesem staubigen Oktobertag. Waste of Time, Zeitverschwendung, ist ihr Thema. Seit das Friedensabkommen von Oslo das Westjordanland in drei, durch Checkpoints geteilte Zonen getrennt hat, sei das Reisen für Palästinenser zum Zeitfresser geworden. "Niemand kann sagen, wann er irgendwo ankommt", sagt Diana Mardi. "Termine sind kaum einzuhalten, man verbringt viel Lebenszeit mit Warten." Sie hebt ein Stück Plastik auf. Es ist der Umschlag eines palästinensischen Passes.
Diana Mardi ist Palästinenserin, aber auch israelische Staatsbürgerin. Aufgewachsen ist sie in der Nähe von Tel Aviv. Ihr Ehemann ist Palästinenser aus Ramallah, aber die israelischen Behörden erkennen die Ehe nicht an. Diana lebt mit ihren zwei Kindern in Israel, wegen des Gesundheitssystems und der besseren Schulen. Ihr Mann war noch nie bei ihr zu Hause, er bekommt keine Einreiseerlaubnis. Auch hier: Waste of Time. Die Jahre vergehen, die Familie Mardi kommt nicht zusammen.
Künstler in den palästinensischen Gebieten zu sein, das ist eine besondere Herausforderung. In Ramallah, knapp 60 000 Einwohner, Sitz der palästinensischen Autonomiebehörde und so etwas wie die Hauptstadt des Westjordanlands, gibt es immerhin ein Theater, ein Konservatorium und einen Kulturpalast. Der Kreis der Künstler ist indes überschaubar.
Was motiviert einen Künstler angesichts der existenziellen Probleme? "Es ist der Versuch, Alltag in diesem Land zu leben", erklärt Majdi Hadid, 32, Fotograf. "Palästina hat mehr zu bieten als politische Krisen." Ein hehrer Anspruch inmitten von Hoffnungslosigkeit. Die Friedensverhandlungen rufen bei vielen Palästinensern nur ein Schulterzucken hervor.
Enttäuschungen haben auch Majdi Hadid ein Leben lang begleitet. Er stammt von einer jener Familien ab, die Ramallah einst gegründet haben, er ist hier aufgewachsen, später hat er Grafikdesign in Kanada studiert. Doch er ist zurückgekehrt, mit der Hoffnung auf Frieden. Wie die meisten seiner Kollegen, kann er von Ausstellungen allein nicht leben. Sein Geld verdient er in einer Werbeagentur. Vor einigen Jahren kam Majdi Hadid mit einem Künstlerstipendium für zwei Wochen nach Berlin. Ihm schwebte ein Vergleich vor zwischen Ramallah und Berlin, er hatte die Mauer im Sinn. Doch 15 Jahre nach ihrem Fall konnte er kaum mehr Spuren finden: "Wo bei euch zwei Länder zusammenwachsen, wird bei uns eines geteilt", sagt er nachdenklich. Seine Kunst beschäftigt sich mit Sehnsucht. Nach der Ferne. Nach der Kindheit.
Majdi Hadid fährt in seinem Kleinwagen hinaus aus Ramallah, 20 Jahre zurück. Er hält an einem Flusstal, das sich wie eine Furche durch die Ebene zieht. Der schmale Wasserlauf fließt durch ein Meer duftender Minzepflanzen. Doch das Wasser ist rostrot, überall liegt Müll. In seiner Kindheit sei dies ein Ausflugsziel für Familien aus Ramallah gewesen, erklärt er. Dann bauten die Israelis eine Siedlung auf dem Berg gegenüber. Seitdem trennt eine bewachte Straße das fruchtbare Tal von Ramallah, nur über einen großen Umweg gelangt man hierher. Seither sei das Tal verwaist und zur Müllhalde verkommen. Majdi Hadid fotografiert. Kunst ist Politik. Selbst in diesem abgelegenen Tal.
In den Räumen des Young Artist Forum, Ramallah, hängen Aquarelle. Je weiter man nach hinten geht, desto strenger riecht es. Hier basteln die Künstler an ihren Objekten, inmitten von Abfall. Aus Gaza sind Mohammed Harb und Sharif Sarhan per Telefon zugeschaltet. Die palästinensischen Maler arbeiten ebenfalls am Projekt mit. Doch Gaza ist abgeschottet, keiner der Beteiligten hat eine Genehmigung bekommen, durch Israel ins Westjordanland zu reisen. In der Leitung rauscht und klingelt es, immer wieder bricht das Gespräch ab. Als spräche man mit der Besatzung eines Raumschiffs.
"Seit Monaten gelingt es nicht, Künstler aus Gaza nach Ramallah zu bringen", sagt Farid Majari. Die Empörung ist dem Leiter des Goethe-Instituts, der das Projekt unterstützt, anzumerken. "Palästina ist faktisch geteilt, zwischen den Teilen gibt es kaum Kommunikation und praktisch keine Reisefreiheit." Selbst als deutsche Kulturorganisation habe man tagtäglich mit Widrigkeiten zu kämpfen, die von der aktuellen militärischen und politischen Lage abhängen. Als die Künstler Material auf einer Müllkippe in Nablus sammeln wollten, wurden sie von den israelischen Grenzposten nicht durchgelassen.
Auch die deutschen Künstler sind von der politischen Dimension ihrer Arbeit überrascht. "Egal, worüber wir mit den Menschen sprechen: Jeder bezieht den politischen Hintergrund ein", sagt Elke Utermöhlen von der Künstlergruppe Blackhole Factory. Sehr stark habe sie dies empfunden, als sie mit den palästinensischen Kollegen auf Müllkippen im Westjordanland unterwegs war. Das Erlebnis hat die Gruppe zusammengeschweißt. Die Künstler haben dort nach Material für ihre Installation gesucht, haben Interviews mit den Müllarbeitern geführt und deren Arbeit dokumentiert.
Für Baschar Zarour und Imam al Hasnya klang die Idee, eine Müllkippe zu besuchen, völlig verrückt. Sie gingen dennoch mit. Wie viele ihrer Kollegen hatten sie keine Ahnung, dass auf den wilden Deponien in Ramallah, Nablus und Hebron Kinder arbeiten. Sie trennen Wiederverwertbares vom Restmüll, verbrennen Matratzen, um die Metallfedern herauszuholen, harte Arbeit in stinkender, verseuchter Umgebung. Als er davon erzählt, kommen Imam al Hasnya die Tränen.
Diese Müllkippen sind ein Umweltdesaster: Benzin, Öl, Säuren, alles sickert ins Grundwasser. Die Gruppe fand Pharmazeutika aus Krankenhäusern, die achtlos dort abgekippt werden. Ebenso Patientenakten mit vollem Namen, Diagnose und Röntgenbilder.
Baschar Zarour hat aus dem Material von der Müllkippe in Nablus einen Mann gebaut, der kopfunter an einem Bein in der Luft hängt. Ein alter Fußball bildet den Kopf, hölzerne Stangen die Beine. Für Baschar Zarour ist diese Figur aus einem Tarot-Spiel ein Symbol für die hilflose Lage, in der er sich als Palästinenser befindet. "Für mich steht die Welt Kopf", sagt er.
Mirko Heinemann
Geboren in Thessaloniki/Griechenland. Studium der Publizistik, Politologie und Ethnologie. Freier Reporter im Journalistenbüro Berlin.
trans4m orchestra
Kunstprojekt palästinensischer und deutscher Künstler, das sich mit dem Thema Müll in Palästina befasst. Präsentiert im Rahmen des Transmediale Festivals.
29. Januar - 3. Februar 2008
Podewil
Klosterstraße 68 - 70
10179 Berlin