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Interview mit Nada Shabout, Präsidentin und Mitbegründerin der 2007 geschaffenen Organisation.
Von Pat Binder & Gerhard Haupt | Sep 2008Die Association for Modern and Contemporary Art of the Arab World, Iran and Turkey (AMCA), eine private, nichtkommerzielle, nicht-politische internationale Organisation, wurde 2007 gegründet. Sie ist assoziiertes Mitglied der Middle East Studies Association of North America (MESA). Die AMCA will die Studien auf dem Gebiet, dem sie sich widmet und das sie als einen sich gerade erst herausbildenden Forschungsschwerpunkt bezeichnet, durch die Schaffung eines Netzwerks von Akademikern und Organisationen voranbringen sowie die Kommunikation und Kooperation auf diesem Gebiet durch Konferenzen, Tagungen und den Informationsaustausch erleichtern.
Um mehr über die AMCA zu erfahren, haben wir Nada Shabout, Präsidentin und Gründungsmitglied der Organisation, interviewt. Sie ist gegenwärtig assoziierte Professorin für Kunstgeschichte an der University of North Texas und widmet sich insbesondere der arabischen und islamischen visuellen Kultur, dem Orientalismus und Fragen der Globalisierung. Sie schrieb das Buch Modern Arab Art: Formation of Arab Aesthetics (University of Florida Press, 2007) sowie zahlreiche Artikel über moderne und zeitgenössische Kunst des Irak und über die rechtliche und ethische Verantwortung der USA im Irak nach 2003.
Haupt & Binder: In der Beschreibung der Ziele von AMCA steht, dass die Assoziation die Studien auf einem "im Entstehen begriffenen" Gebiet voranbringen will. Inwieweit ist der Fokus von AMCA als ein solches zu bezeichnen? Ist es nicht eher das internationale Interesse, das sich für diesen Forschungsschwerpunkt gerade erst herausbildet? Wie, warum und in welchem Kontext wurde die Vereinigung geschaffen?
Nada Shabout: Mit dem "im Entstehen begriffenen" Gebiet ist insbesondere dessen Status in den westlichen Hochschulen gemeint. Natürlich wurde in den betreffenden Regionen immer zeitgenössische Kunst geschaffen, aber diese fand im Westen nur geringes Interesse. Ja, das neue Interesse dafür ist zu einem großen Teil auf den Markt und die Politik zurückzuführen. Doch unsere Initiative ist schon seit einigen Jahren in Vorbereitung. Ich hatte die Idee dafür als ich mit meiner Dissertation beschäftigt war, nahezu in einem Vakuum, denn in den 1980er und 1990er Jahren war dies im Westen ein völlig unbekanntes Studiengebiet, insbesondere im kunsthistorischen Kontext. Wir hatten mit den vielen Vorurteilen gegenüber der Region und ihrer visuellen Produktion zu kämpfen (und tun das bis zu einem gewissen Grad immer noch): islamische Kunst, Bilderverbot, Imitation westlicher Kunst, etc. Als einsame Doktorandin sah ich mich mit fehlendem Wissen, fehlenden Ressourcen und fehlendem Zugang zu Kunstwerken konfrontiert. In den letzten Jahren ist jedoch die Zahl der Doktoranden gestiegen, die versuchen, ihre Studien zur visuellen Produktion verschiedener Gegenden der Region vor Ort fortzuführen. Ich dachte also, es sei an der Zeit, am gleichen Strang zu ziehen und den Studenten und Akademikern auf diesem Gebiet eine Stimme und ein Forum zu bieten. Beim 7. Meditteranen Treffen für soziale und politische Forschung, das vom 22. bis 26. März 2006 in Florenz (Italien) stattfand, leiteten Silvia Naef (Universität Genf) und ich den Workshop "Vom Lokalen zum Globalen: Visuelle Künste im östlichen Mittelmeerraum zwischen internationalen Märkten und lokalen Erwartungen". Ein Ziel des Treffens von 12 Teilnehmern war es, eine Organisation zu initiieren. Mehrere der damals Beteiligten sind jetzt im Vorstand der AMCA. Auf dem Treffen der Middle East Studies Associations (MESA) 2006 in Boston verfolgten wir die Idee weiter und bildeten den Kern der Organisation.
H&B: Der Fokus auf der arabischen Welt, Iran und der Türkei impliziert, dass es Gemeinsamkeiten zwischen diesen Ländern und kulturellen Regionen gibt, die eine Bündelung der Bemühungen rechtfertigen. Wenn dem so ist, wie würden Sie diese beschreiben?
N.S.: In vieler Hinsicht wurde der Fokus ausgehend von den Interessen derjenigen gewählt, die an dem Workshop 2006 in Florenz beteiligt waren. Wir sind also keinem vorformulierten Ziel gefolgt, sondern gingen in erster Linie von praktischen Erwägungen aus. Die meisten von uns arbeiten zu arabischen Ländern, und natürlich gibt es starke Argumente für mehr Gemeinsamkeit in der arabischen Welt, basierend auf der Sprache und Kultur, doch immer wieder stellen wir Überschneidungen mit unseren Kolleginnen und Kollegen fest, die u.a. über den Iran und die Türkei arbeiten. In der Geschichte gab es eine starke Interaktion zwischen dem Iran und der Türkei und der arabischen Welt, die sich bis heute fortsetzt. Natürlich sind wir davon überzeugt, dass Gemeinsamkeiten existieren, die von einer gemeinsamen Geschichte, den alten Kulturen, dem Erbe und der Gegenwart des Islam, der kolonialen und postkolonialen Problematik und einer ähnlichen Fehlinterpretation seitens der hegemonialen Kräfte des Westens herrühren. Man könnte sagen, dass sie alle unter die nivellierende Perspektive des Orientalismus fallen und deshalb bei ihrer Selbstbehauptung ähnliche Ziele verfolgen.
H&B: Bei der Gründungssitzung von AMCA während der Middle Eastern Studies Association Conference im November 2007 ging u.a. um die Auseinandersetzung mit "dem allgemeinen Vorurteil, dass Akademiker für moderne und zeitgenössische Kunst der arabischen Welt oft dazu gezwungen sind, das vermeintliche Fehlen jeden kritischen Diskurses hinsichtlich der Produktion und Rezeption visueller Künste anzusprechen" und es wurde beklagt, dass "es in der arabischen Welt keine Kunstgeschichte gibt". Sind das die größten Herausforderungen für AMCA? Was kann unternommen werden, um diese Vorurteile wirksam zu bekämpfen?
N.S.: Ja, das sind zwei der grundlegenden Herausforderungen, denen sich AMCA gegenüber sieht, und das ist es, was mit dem Voranbringen eines "im Entstehen begriffenen" Gebiets gemeint ist. Es wird immer wieder gemutmaßt, dass moderne und zeitgenössische Kunst in der arabischen Welt entweder eine moderne islamische Produktion (mit allen Vorurteilen und Fehlinterpretationen die dem Begriff "islamisch" zugeschrieben werden) oder eine billige Imitation europäischer Kunst sei. In beiden Fällen ist sie vom Kontext der im Westen avancierten und artikulierten Moderne und Postmoderne ausgeschlossen. Das Hauptproblem war, dass die visuelle Produktion und Konsumption der Region nicht historisiert wurde. AMCA hat vor, insbesondere diese Angelegenheit in Angriff zu nehmen sowie eine Reihe von Projekten zu initiieren, die kritische Analysen und die Verbreitung von Studien unterstützen sollen. Auf diesem Gebiet fehlt es an zugänglicher Literatur, Daten und Bildern. Die Geschichte ist wenig bekannt und noch kaum aufgeschrieben worden.
H&B: Im zweiten Rundtischgespräch wurden der Begriff "arabische Kunst" und die Berechtigung, Fragwürdigkeit und die Implikationen der Verwendung eines solchen Labels analysiert. Könnten Sie einige wesentliche Schlussfolgerungen aus den Vorträgen und Diskussionen zusammenfassen?
N.S.: Ich muss zugeben, dass der Begriff "arabische Kunst" immer zwiespältige Reaktionen hervorruft. Natürlich war es für den größten Teil des 20. Jahrhunderts viel einfacher, auf soziopolitischer und ideologischer Basis für die Berechtigung dieses Begriffs einzutreten, der immer die Einheit einer auf Überschneidungen und Gemeinsamkeiten beruhenden Vielfalt impliziert, wodurch Besonderheiten nicht negiert werden und was auch nicht als eine Wiederholung der monolithischen Konnotationen von "islamischer Kunst" gemeint ist. Die meisten Akademiker und Studenten scheinen sich aus verständlichen Gründen nicht damit auseinandersetzen zu wollen, und der Begriff wird im Allgemeinen unkritisch benutzt, um eine gewisse Art von etwas Übergreifendem auszudrücken. Ohne Bedenken benutzt jeder nach wie vor die Bezeichnung "arabische Welt" oder arabische Länder. Doch niemand will einen solchen Gebrauch definieren oder rechtfertigen. Ich fürchte, dass man sich beim zweiten Rundtischgespräch ebenfalls vor unpopulären Konfrontationen scheute und stattdessen auf Arabismus als einem Konzept für die Rechtfertigung in früheren Perioden setzte.
Ich glaube nach wie vor an mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede, was einen Gebrauch des Begriffs 'arabisch' für die Benennung einer kulturellen Einheit rechtfertigt. Ich würde sagen, dass die kulturelle Einheit nach dem Fehlschlagen aller politischen Anstrengungen sogar noch stärker gewachsen ist. Satellitenfernsehen und regionale Migration haben die arabischen Nationen einander näher gebracht. In visueller Hinsicht sind gemeinsame kulturelle Aspekte sowie politische Umbrüche gewiss Schnittpunkte und Überschneidungen, selbst wenn es Künstler aus der arabischen Welt vorziehen, ihre Produktion nicht als "arabisch" zu bezeichnen.
H&B: Wer kann AMCA beitreten und welche Pflichten und Vorteile haben die Mitglieder, vor allem jene, die nicht zu den "realen" Tagungen reisen können?
N.S.: Alle an unseren Themen interessierten Personen und Institutionen sind willkommen. AMCA ist eine junge Assoziation mit einem großen Potenzial. Viel von diesem Potenzial ist nur möglich durch eine aktive Einbeziehung der Mitglieder. Eines der Hauptziele ist es, Akademiker, Studenten, Gelehrte und Künstler innerhalb und außerhalb der Region miteinander in Verbindung zu bringen. Es geht uns nicht nur um Studien über die Region, sondern um die Förderung einer globalen Interaktion und darum, die Region als einen Akteur ihrer eigenen Geschichte zu präsentieren.
AMCA hat vor, kontinuierlich Foren im Rahmen der jährlichen Treffen der Middle East Studies Association und der College Art Association zu organisieren und die Vorträge auf unserer Website zu veröffentlichen. Die Website ist so konzipiert, dass sie zu einem virtuellen interaktiven Forum wird, vor allem durch die Veröffentlichung relevanter Studien, möglichst auch in Arabisch, und von Meldungen über Aktivitäten auf unserem Gebiet. Wir haben auch vor, alle zwei Jahre AMCA-Konferenzen zu organisieren, die in verschiedenen Teilen der Regionen und nicht nur in den USA stattfinden sollen. Wir arbeiten daran, in unser Budget Mittel für die Förderung von Teilnehmern aus der Region an unseren Konferenzen aufzunehmen.
Ein weiterer wichtiger Vorteil wird eine auf unserer Website veröffentlichte Bibliographie sein. An diesem gegenwärtig von Salwa Mikdadi geleiteten Projekt arbeiten mehrere unserer Mitglieder.
Wir begrüßen alle Ideen und Vorschläge unserer Mitglieder. Wir sind dabei, eine Reihe von Projekten zu initiieren, die auf Vorschlägen von Mitgliedern basieren und durch mehrere Kommissionen realisiert werden sollen. Mit anderen Worten, wir ermutigen und schätzen Mitglieder sehr, die eine aktive Rolle beim Aufbau einer stärkeren Assoziation spielen wollen.
H&B: Welches sind die nächsten Aktivitäten oder Veranstaltungen von AMCA?
N.S.: Zu unseren nächsten Aktivitäten gehört ein AMCA Forum beim MESA Jahrestreffen vom 22. bis 25. November 2008 in Washington, DC, unter dem Titel "Eine Geschichte der realen Welt: Realismus und die visuellen Künste in Ägypten und Libanon", das Raja Adal und Sarah Rogers organisieren. Genauere Informationen darüber gibt es auf unserer Website. Wir planen auch einen Empfang für unsere Mitglieder, die am MESA teilnehmen werden. Im Dezember 2008 werden einige von uns zur Kairo Biennale reisen. Weitere Informationen sind auf der Website von AMCA zu finden.
Pat Binder & Gerhard Haupt
Herausgeber von Universes in Universe - Welten der Kunst. Leben in Berlin.
Präsidentin: Nada Shabout
Designierte Präsidentin: Sarah Rogers
Sekretäin: Dina Ramadan
Schatzmeisterin: Rhonda Saad
Gründungsmitglieder des Vorstands:
Salwa Mikdadi
Silvia Naef
Beral Madra
Shiva Balaghi
Berater des Vorstands ehrenhalber:
Nasser Rabbat