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In seiner Kunst verknüpft er persönliche Lebenswelten zwischen Syrien, Beirut und Berlin.
Von Alexandra von Stosch | Jan 2008Ali Kaafs Bilder, Fotografien und Filme sind verbunden durch gedankliche Prozesse und innere Strukturen, die miteinander kommunizieren. In seiner künstlerischen Sprache verknüpft er persönliche Lebenswelten zwischen Syrien, Beirut und Berlin, wo er bei Marwan [1] und Rebecca Horn an der Hochschule der Künste studierte.
Seine Werke wirken ursprünglich, archaisch, wozu der Einsatz von elementaren Mitteln wie Feuer beiträgt, und doch lassen sie auch eine sehr zeitgenössische, politische Lesart zu. Es ist ein Spiel mit Codes und Archetypen, mit Zeichen und der Frage nach deren Arbitrarität. Es geht um die Frage nach der Form und deren Aneignung, um Macht, und andererseits um die Rezeption.
Der konzentrierte Einsatz von Schwarz als Farbe, oder besser als künstlerischem Werkstoff in Gestalt von Kohle, Pigment, Ruß sowie Tusche und Graphit, bedeutet für die Malerei die unwiderrufliche Besetzung der Fläche, ohne Freiraum für pentimenti. Ali Kaafs Ansatz geht über die Fläche hinaus in den Raum: Eine schwarze Figur wird sorgfältig mit glänzendem Graphitstift bearbeitet und es entstehen vielfältige Strukturen, faktura.
Das so kreierte Werk wirkt wie ein Palimpsest, eine Aneignung durch Überschreibung. Doch hier zeigt sich das komplexe Spiel mit den künstlerischen Codes und Zeichen: Das Signifikat liegt vielleicht ganz woanders, in einem Diskurs über die Bedeutung des Mediums selbst, über die Möglichkeit von Raum in der Malerei und damit über die Öffnung hin zum Erlebnisraum des Betrachters. Diese auf den ersten Blick nicht eindeutige Lesart wird untermauert, wenn man sich die schwarzen "Feuerbilder" ansieht, deren archaische dunkle Formen in der Mitte aufgebrochen werden durch gezielt eingesetzte Flammenkraft. Der schwarze Untergrund weist auf die haptische Räumlichkeit dieser eigentlich so schlichten Papierarbeiten hin.
Was ist, wenn nichts mehr ist? Was war, bevor etwas war? Existentielle, erkenntnistheoretische Fragen, die sich bei der Betrachtung dieser Werke aufdrängen. Schwarze Löcher? Sich ausdehnende Materie? Vielleicht sehen wir uns hier mit Problemkreisen konfrontiert, die die Grundfragen der Menschheit vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse im 21. Jahrhundert betreffen.
Tatsächlich handelt es sich bei den Werken Ali Kaafs um eine Auseinandersetzung mit den Grenzen der Kontrollierbarkeit und der Eigenmacht der Materie. Beim Kampf mit dem Material entsteht der Atem- und Denkraum, den der französische Dichter Stéphane Mallarmé in der weißen Seite sah, dem Paradigma des modernen Kunstschaffens. Mallarmé befand, die Ellipse, der Zwischenraum sei "das Eigentliche" – die Projektionsfläche des Rezipienten. Eben dies finden wir in Ali Kaafs Feuerarbeiten und erst recht in den großformatigen Schwarzweiß-Fotografien.
Diese bieten einen Schlüssel zur Lesart des komplexen Werkes: Hier haben wir es mit menschlichen Figuren zu tun, deren individuelle Gesichtszüge verdeckt sind. Vor dem leeren, hellen Hintergrund sind sie wie lebendige Skulpturen, eingefroren für den Moment. Diese Fotos hat Ali Kaaf ebenfalls mit Feuer bearbeitet und die Stelle, an der der Kopf vermutet werden kann, ausgelöscht. Übrig bleibt ein groteskes, verrußtes Loch – ein Bild, das Kaaf wiederum abfotografiert hat. So entsteht das Urbild einer mentalen Leerstelle, sehr poetisch und doch brutal: Ist es die Auslöschung des freien Denkens? Oder erst die Ermöglichung desselben?
Wie alle Arbeiten Kaafs oszillieren auch die Fotografien zwischen Schönheit und Abgrund, zwischen Eleganz und Gewalt. Es ist, als hätte Kaaf das Diktum des russischen Konstruktivisten und Filmtheoretikers J.N. Tynjanov überdehnt: "Im Grunde deformiert die Fotografie jedes Material" [2]. Die Idee von Fotografie als Dokument wurde ja schon zu Zeiten des amerikanischen Bürgerkriegs Lügen gestraft, wo die Toten nachträglich zu "schöneren Leichen" arrangiert wurden. Kaaf schafft hier eigene "Dokumente", die konsequenterweise in das Medium Film münden. Ali Kaafs filmisches Formenspiel erinnert an die Experimentalfilme der russischen Konstruktivisten, die Anfang des 20. Jahrhunderts ausgezogen waren, Form und ästhetische Erfahrung mit dem Leben zu vereinen. Bei Kaaf wirkt es wie eine Reflektion darüber, was Form heute über Utopien auszusagen vermag, die spätestens seit den 1968ern abgedankt zu haben schienen, und die nun doch in Gestalt wiedererstarkter Ideologien in Ost wie West eine neue fragwürdige Bedeutung erlangten. Gleichzeitig ist aber jedes Werk auch immer eine Versuchsanordnung, Zeichen einer sinnlichen Freude an der Schöpfung von Spannungszuständen, deren Vibration Ali Kaaf als das eigentliche "Ergebnis" seiner im neuen Sinne des Wortes "offenen Kunstwerke" ansieht.
Anmerkungen:
Alexandra von Stosch
Promovierte Kunstwissenschaftlerin; arbeitet als Kuratorin und Autorin derzeit in Berlin, zuvor in Paris und New York. Mitbegründerin des interdisziplinären Fördernetzwerks Contemporary Arts Alliance Berlin (CAA).