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Von \"Mein Bruder - Mein Feind\" bis \"Kentauromachie\". Das polemische Werk des kasachischen Künstlers.
Von Valeria Ibraeva | Mär 2007Die Fotoarbeit von Yerbossyn Meldibekov "Mein Bruder - Mein Feind" (2000) ist zu einer Art Markenzeichen der zeitgenössischen Kunst Zentralasiens geworden. Ausstellungskuratoren in Mexiko, Italien oder Polen brachten sie auf die Titelseiten von Zeitschriften, Katalogen und Kunstführern, auf Plakate und Einladungskarten. Auf den ersten Blick zeugt das davon, dass dieses kraftvolle Werk ziemlich genau den allgemeinen Vorstellungen von der Region entspricht, das heißt, es bestätigt ein gewisses Stereotyp, das sich aus dem Konvolut schwülstiger Begriffe des europäischen Orientalismus herausgebildet hat - nämlich Aggressivität, Exotik und "Geheimnis" des Ostens.
Andererseits ist offensichtlich, dass es nicht genügt, nur eine Idee auszubeuten, um berühmt zu werden. Dafür müsste man schon eine Explosion in der Metro herbeiführen oder Karikaturen zeichnen, also die Theorie durch die Praxis bestätigen. Man geht aber nicht so weit, einen ordentlichen anti-orientalischen Diskurs zu führen, bezugnehmend auf Edward Saïd oder Tarik Ali. Doch Yerbossyn Meldibekov gehört sehr wohl zu denen, die sich an Polemik beteiligen: er bemüht sich aufrichtig, mit der Situation zurechtzukommen und bestätigt auch die Schlussfolgerungen der Gegner europäischer Voreingenommenheit. Tatsächlich ist die asiatische Realität schwer zu modernisieren, weil an Werten festgehalten wird, von denen so manche zu strengen Dogmen erstarrt sind. Aber so ist nun mal die Spezifik der Region: sie strebt zum Isolationismus und bekräftigt dabei die Priorität der lokalen gegenüber der allgemein menschlichen Mentalität. Das Archaische im laufenden Diskurs ist offenkundig, aber es sind Einbrüche in der Verteidigungslinie zu erkennen, und das nicht nur in der Theorie.
Der ursprüngliche Impuls für "Mein Bruder - Mein Feind" ist ein regionales Problem von Kasachstan: es existiert ein System von Sippen und Stämmen, in dem konkurrierende Clans um politischen Einfluss und Kontrolle über die Finanzströme kämpfen. Das Kunstwerk ist wie ein Rapport aufgebaut, der sich auf ein traditionelles ornamentales Motiv gründet: ein schweres Modul, Lakonismus und die Verwendung einer negativ-positiv Komposition aus einem kasachischen Filzteppich. Die Arbeit ist vielschichtig, sie nimmt auch auf das problematische Verhältnis zwischen den Nachbarn in der Region Bezug, das in sowjetischer Zeit als "brüderlich" propagiert wurde, und wird darüberhinaus als eine Definition menschlicher Beziehungen an sich gesehen. Nach dem 11. September 2001 erlangte das Werk "Mein Bruder - Mein Feind" eine noch höhere Brisanz, da es die seitdem angesichts der Kriege in Afghanistan und im Irak, wie auch des Karikaturenskandals, des "Zusammenbruchs der Zivilisation" etc., sichtbar gewordenen Konflikte der Menschheit zu bestätigen scheint.
Das Phänomen des blitzschnellen Aufstiegs dieser Fotoarbeit von lokaler zu globaler Bedeutung wird von einer banalen, aber für Meldibekovs Charakteristik wichtigen Formel der "künstlerischen Antizipation" bestätigt: alles, wozu er sich äußert, scheint auch einzutreffen. Nicht weniger bedeutsam als "Mein Bruder - Mein Feind" ist die Videoarbeit "Pastan" (2003), in der sich ein Mann mit einer usbekischen Tjubeteika (Käppchen - Anm. d. Ü.) stundenlang wehrlos einem Hagel von Ohrfeigen aussetzt, so wie sich die Bevölkerung von Usbekistan still verhielt, als 2005 Regierungstruppen in Andijan ein Massaker verübten. Die Version "Pastan 2", aufgenommen in Bischkek und auf dem kleinen Display eines Mobiltelefons gezeigt, hat sowohl die permanente kirgisische Revolution wie auch die widerliche Hinrichtung von Saddam Hussein vorweggenommen.
Die Fähigkeit, ein starkes, genaues und leidenschaftliches Werk zu schaffen, beherrscht der Künstler in Vollendung, wobei er mit seiner Direktheit Assoziationen von Grausamkeit und "Aziatchina"[1] heraufbeschwört. Seine Arbeiten sind wie ein großer Spiegel, von dem nach einem Blick in ihn augenblicklich Splitter von Metaphern, Gedanken und Anspielungen zurückgeworfen werden. Nachdem man sich vom Schock bei der Betrachtung von "Pol Pot" (Video, 2000; lebende Menschen werden von einem Steinhaufen erdrückt) erholt hat, wird man gefesselt von Bezugnahmen auf die Geschichte - Dschingis Khan, Tamerlan, die "Pyramide von Isfahan" -, von Verweisen auf kulturelle Stereotypen - Verse von Michelangelo, Bilder von Wereschtschagin, der sowjetische Film "Weiße Sonne der Wüste" (beloe solnce pustyni), Terminator - sowie vom Antizipieren der Zukunft: Fotografien aus Abu Ghraib und sogar Computerspiele, wie "Snood". Die Rückkehr aus der Katharsis lässt die Unfreiheit der Persönlichkeit im Prinzip verstehen: wir alle sind irgendwie zugeschüttet von Pflastersteinen, bestehend aus Vorverurteilungen, Vorurteilen, Traditionen, religiösen Einschränkungen oder den zum sogenannten guten Ton gehörenden Verhaltensnormen.
Da der Künstler zur Genüge postmoderne Praktiken erprobt hat, beutet er bewusst eigene ethnische Züge aus, indem er Stereotypen des orientalischen Diskurses vertieft und mit ihnen spielt: nicht zufällig sind in viele seiner Arbeiten Selbstporträts einbezogen ("Pastan", "Mein Bruder…"). In der Installation "…baj batyry" (2007) unterscheiden sich fünf ansonsten identische Büsten lediglich durch die Verzierungen der Kriegerhelme. Hier ist die Parallele zur Gleichförmigkeit der kasachischen Monumente, die nur eine einzige heldenhafte Gestalt zeigen, offensichtlich. Aber da sich der Persönlichkeitskult von Präsident Nasarbajew in Kasachstan noch nicht voll und ganz ausgebreitet hat, verwendet der Künstler von neuem Züge seines eigenen Porträts. In dieser Reihung, die sich weiter fortsetzen ließe, und der Art der Darstellung wird das immer gleiche Bildnis zum unpersönlichen Typus einer Art von Herrschermonument, das so oder ähnlich in jedem autoritären System der Erdöl und Erdgas produzierenden Länder Zentralasiens auftreten könnte.
In der Fotoserie "Kentauromachie" (2007) spielt der Künstler mit seinem Lieblingsmaterial - Fellen und Knochen von Tieren. Das "Porträt eines Antiterroristen", eine Camouflage mit einem Pferdeschädel anstelle eines Gesichts, verspottet die Anstrengungen der zentralasiatischen Herrscher, unter dem Vorwand des "Kampfes gegen den internationalen Terrorismus" jeglichen Protest und unabhängiges Denken zu unterdrücken. Als eine im höchsten Maße barbarische Erfindung ist "Winnie Puh" zu betrachten, ein aus einem nach außen gedrehten blutigen Fell eines Pferdes genähter Teddy. Die Fernsehbilder der im Irak oder in Palästina getöteten Kinder sehen weniger schockierend aus. Ein weiteres schockierendes Werk aus der Serie "Kentauromachie" zeigt das Fell eines Pferdes, aus dem der Unterkörper eines auf dem Kopf stehenden Mannes mit dem für alle Welt sichtbaren, kraftlos baumelnden Genital ragt.
Das bettelarme Asien, von Kriegen, Korruption und Intrigen zerrissen und wegen seiner Bodenschätze unter wenigen Mächtigen aufgeteilt, ist nichtsdestotrotz in der Lage, eine Selbsteinschätzung im globalen Kontext vorzunehmen und sich nicht nur seiner Lage zu vergegenwärtigen, sondern auch starke Kunstwerke und Ideen hervorzubringen. Der Osten bleibt wahrhaftig der Osten. Sein "Geheimnis" und seine "Exotik" zeigen sich darin, dass hier vitale Menschen leben, die aus Knochen, Fleisch und Nerven bestehen und - nicht selten - auch Verstand haben.
Anmerkung:
Valeria Ibraeva
Kunstkritikerin, Kuratorin, Leiterin des Soros Zentrums für Zeitgenössische Kunst Almaty. Lebt in Almaty, Kasachstan.
Kurator: Dastan Kozhakhmetov
Kentauromachie
13. Februar - 14. März, 2007
Ausstellung von Yerbossyn Meldibekov im: