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Über die Installation des ägyptischen Künstlers Mahmoud Khaled auf der 1. Biennale der Kanarischen Inseln.
Von Rayelle Niemann | Jan 2007Die Einführung eines neuen Produkts erfordert eine umfassende Corporate Identity, die darauf abzielt, Kunden zu erreichen und zufrieden zu stellen. Der Titel des Kunstwerks von Mahmoud Khaled aus Alexandria lässt eine Innovation erkennen. Die Wortzusammensetzung, ein Triptychon, besteht aus: einer globalen, "demokratischen" Informations- und Wissensplattform (Wikipedia), einer monotheistischen Weltreligion (dem Islam) sowie einem Synonym für Übertriebenes und sentimental Überladenes (Kitsch).
Ein Innenhof auf der kanarischen Insel Teneriffa, zu dem die Verschmelzung dieser äußerst unterschiedlichen Bereiche gut passt, führt uns auf die Straße der Geschichte. Er gehört zum Kloster St. Augustine, das kurz nach dem Sieg der Spanier über die Mauren errichtet wurde. Die Atmosphäre hier ähnelt der im Innenhof einer Moschee - er trennt die Außenwelt von der Innenwelt und bietet einen Platz des Friedens und der Ruhe - eine perfekte Umgebung, um sich zurückzuziehen und nachzudenken. In architektonischer Hinsicht zeugt dieser Ort davon, dass sich hier Ausdrucksformen unterschiedlicher kultureller Herkunft gegenseitig beeinflusst haben. Allerdings scheint es ungeachtet offenkundig vorhandener Synthesen und des Wissens um die Wechselwirkung zwischen einander durchdringenden Werten und Ideen, die aus Mobilität und "globalisierten" Technologien wie Internet und Satellitenfernsehen resultiert, einen sehr starken Drang zu geben, die Dinge in ihre Einzelteile zu zerlegen und so den Mythos der Linearität zu untermauern.
Die Wiedereinführung des Terminus "islamische Kunst" durch zeitgenössische westliche KuratorInnen und TheoretikerInnen ereignete sich vor dem Hintergrund von Schlagworten wie "islamischer Terrorismus" und "islamischer Fundamentalismus" als Folge des 11. September und eines entsprechend wachsenden Interesses an der "islamischen Welt". Dieses Interesse gilt hauptsächlich dem Nahen Osten und lässt grundlegende kontinentale und regionale Unterscheidungskriterien außer Acht. Außerdem zeigt es, dass im Westen Standards und Paradigmen definiert werden, um "das Andere" einzukreisen - wer würde schon ein europäisches Kunstwerk in Kategorien wie Christentum, Islam, Buddhismus usw. einordnen, wenn der Inhalt der Arbeit gar nichts mit Religion zu tun hat? Dass ein Werk in der näheren Umgebung einer Moschee entstanden ist, macht es noch nicht islamisch, ebenso wenig macht die benachbarte Kirche eine Arbeit zu einer christlichen. Die Falle bei der Bezeichnung "islamische Kunst" besteht im Ignorieren der Tatsache, dass es zwischen Religion und Kultur, zwischen Gesellschaft und Individuum einen Unterschied gibt. Aus entgegengesetzten Einflüssen entstehen Querverbindungen, die über die schlichte Interpretation a posteriori hinausgehen und im Gegensatz zu einer rigiden Beschränkung von Idealen, Gedanken und Praktiken stehen. Umgekehrt erlangte das Attribut "islamisch" als Mittel der Abgrenzung gegen alles "Westliche" neue Bedeutung. Das Schubladendenken auf beiden Seiten wird jedoch sich "natürlich" vollziehenden Entwicklungen und Veränderungen in keiner Weise gerecht.
Für sein Projekt "Wikislamkitsch" entschied sich Mahmoud Khaled, mit dem Kreativdesigner Mohammed Fahmy aus Kairo zusammenzuarbeiten, der für das Design von Küchen, Cafés und Ladeneinrichtungen bis hin zu Accessoires verantwortlich zeichnet. Indem er traditionelle Grundelemente orientalischer und islamischer Herkunft in einen zeitgenössischen Zusammenhang stellt, gibt Fahmy der stilvollen Formgebung neue Impulse. Für den gegebenen Kontext der In-situ-Arbeit wurde Fahmy gebeten, den Ort zu "dekorieren". Fahmy entschied sich für eine transparente Folie mit variierenden Ornamenten in verschiedenen Grüntönen (Grün ist die "Farbe des Propheten" und steht für Leben und Fruchtbarkeit), mit der er die auf den Innenhof gerichteten Fenster verkleidete. Diese Art Folie in unterschiedlichen Farben und Mustern, die als "islamisch" erkannt werden, wird billig in China produziert. Die dortigen Niedriglöhne ermöglichen es allen sozialen Schichten, zu einem vernünftigen Preis ihre nostalgischen Bedürfnisse zu befriedigen und ihre Identität sichtbar zu unterstreichen. Überdies ist in der Mitte des Hofs eine Plakatwand aufgestellt. Unter Verwendung kalligraphisch verfremdeter, lateinischer Lettern kündigt sie eine "objektive" Definition der "islamischen Kunst" an, die einer Internet-Enzyklopädie entnommen ist.
Diese Intervention vor Ort verweist nicht nur auf das scheinbar Offensichtliche an der völlig in sich ruhenden Oberfläche. Mahmoud Khaleds vielschichtige, kunstvolle Ausarbeitung lädt uns ein, Angenommenes zu überdenken. Der Künstler fordert den Raum heraus und das Publikum auf, durch die Geschichte zu reisen und so aktuelle Zusammenhänge zu hinterfragen, wobei er spielerisch die Tatsache mit einbezieht, dass er wie auch sein Designer islamische Namen tragen.
Rayelle Niemann
Künstlerin, Autorin und Kuratorin geboren in der Schweiz, lebt in Kairo, Ägypten.
Mahmoud Khaled: Wikislamkitsch
Ortsspezifische Installation
1. Biennale für Architektur, Kunst und Landschaft der Kanarischen Inseln
27. Nov. 2006 - 10. Feb. 2007