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Über das Werk und die Erfahrungen der malaysischen Künstlerin bei der Documenta 12 in Kassel.
Von Kean Wong | Aug 2007Am Eröffnungswochenende der Documenta 12 spricht die malaysische Künstlerin Shooshie Sulaiman hastig und über ihre Worte stolpernd, während sie durch das Schloss Wilhelmshöhe zu dem Raum geht, in dem ihre
Emotionale Bibliothek in einer Vitrine unter Verschluss gehalten wird. Shooshie hat es eilig, die zu dem Werk gehörenden zwei Tagebücher aus deren trister Lage in einer Ecke des großen Schlosses zu "befreien".
Dieses ist ein historisches Jahr für malaysische Künstler bei einer internationalen Ausstellung wir der Documenta, besonders weil einige in der malaysischen Kunstwelt auch ein halbes Jahrhundert der Unabhängigkeit des Landes vom britischen Kolonialismus feiern. Obschon die Werke von Shooshie und der weitaus bekannteren Simryn Gill bei der Documenta 12 durchaus in der von muslimisch dominierten, multiethnischen Erfahrung der malaysischen Gesellschaft angesiedelt sind, identifiziert Gill ihre Arbeit ausdrücklich nicht als "malaysisch", sondern vielmehr als eine "den Tropen" entstammende Kunstpraxis.
Shooshie hingegen ist von dem akut betroffen, was sie als die Probleme einer malaysischen visuellen Kultur beschreibt, die immer wieder von einer blamablen, weil realitätsfernen Kunstbürokratie kompromittiert wird. Wie sie in dem üppigen Park unterhalb des Schlosses in umgangssprachlichem Malaiisch ausführt, scheint die wirkliche Befreiung Malaysias von der kolonialen Ästhetik noch unerreichbar zu sein, irgendwie so wie das Schicksal ihrer Arbeit bei der Documenta 12 an diesem Wochenende. Sie ist unglücklich darüber, dass ihr zutiefst persönliches Werk, das wie ein Teil von ihr selbst ist, derzeit "weggesperrt" ist.
Zwar hat die Auswahl von Shooshie Sulaiman für die Documenta 12 die Szene in Kuala Lumpur überrascht, doch äußerte ihr malaysischer Künstlerkollege Roslisham Ismail nachdem er die Ausstellung gesehen hatte, dass Shooshie zu den wenigen aus Malaysia gehört, die in einer relationalen künstlerischen Sprache arbeiten, die gegenwärtig von westlichen Kuratoren bevorzugt wird.
Shooshie ist sich dessen bewusst, dass ihre Beteiligung in Kassel auch ein seltener Triumph für eine junge malaysische Muslimin wie sie ist, die noch dazu als Kunstaktivistin verschiedene guerilla-artige Ausstellungen in Malaysia kuratierte, die das Kunstestablishment mit impertinenten Fragen zur Legitimation der Kulturpolitik herausgefordert haben.
Es ist schon eine Ironie, dass sie ihre malaysischen Erfahrungen anwenden muss, um mit der Bürokratie der Documenta 12 umzugehen, und sei es auch nur, damit der verspätete Aufbau eines ursprünglich für die Präsentation ihrer Arbeit versprochenen Raumes beschleunigt wird. Sie sagt, ihre
Emotionale Bibliothek sei für einen extra dafür gebauten Raum konzipiert worden, statt in einer Vitrine im Schloss gezeigt zu werden.
Nur zwei Wochen später ist die Emotionale Bibliothek, die aus zwei, Anna und Botanischer Garten genannten Tagebüchern besteht, endlich aus dem Schloss "befreit" und in einen neu errichteten halbrunden "Raum" im weitläufigen und viel kritisierten Aue-Pavillon verlegt worden. Shooshie ist spürbar glücklich darüber, dass der Inhalt der Tagebücher, die von den Erfahrungen ihrer Freunde in den späten 1970er Jahren berichten, jetzt besser zu verstehen sind, weil die Besucher nun die handgemachten Bücher durchblättern und Erinnerungen durch das Ertasten, den Geruch und das Lesen der Texte heraufbeschwören können. Derweil Shooshie und ihre Gäste sich in einem Ambiente, das ihr gemütliches Wohnzimmer zu Hause sein könnte, weit weg von der prächtigen Formalität des Schlosses, scherzhaft unterhalten, bahnen sich zufällige Pfade im Urwald ihrer Ideen.
"Während die meisten Räumlichkeiten der Documenta 12 typisch für eine große Kunstausstellung sind, hat der Aue-Pavillon für mich etwas ganz Spezielles - er hat eine andere und nicht reguläre Form", erklärt Shooshie. "Meine Arbeit muss dort, wo sie platziert ist, eine bestimmte Realität reflektieren... Ich wollte das persönliche Tagebuch mit anderen teilen und gleichzeitig wollte ich, dass die Installation halb offen, nicht total privat ist. So ist das Material, das den Raum umgibt - ein glänzender, transparenter Vorhang an den Wänden des Pavillons -, deshalb gut geeignet, weil man die Silhouetten derjenigen sehen kann, die sich darin aufhalten."
"Meine Arbeiten sind möglicherweise am besten dafür bekannt, ephemer zu sein", sagt sie, "weil ich manchmal in meiner Kunst Wasser, Regen und Text und Sprache als Medien benutze. Mein Werk reagiert auf das Publikum und den Raum, in dem es sich befindet." Wie Kritiken an Nicolas Bourriauds Konzept relationaler Kunst betonen, brauchen solche Werke wie die von Shooshie ein Publikum, das sie in einem bestimmten physischen Raum im Wortsinne anpackt, damit sich irgendeine nachhaltige Bedeutung vermitteln kann. Obgleich Shooshie von diesem Prozess, den sie mit dem Publikum in Gang setzt, ganz verzückt ist, räumt sie ein, dass die Gelegenheit zur Kontemplation eine Überforderung sein könnte - eine Illusion, die oft auch von Skeptikern kritisiert wird, die des demokratischen Anspruchs relationaler Kunst überdrüssig sind.
Für die Herausgeberin des Magazins SentAp!, die Künstlerin Nur Hanim Khairuddin, folgt dieses Werk von Shooshie Sulaiman einer früheren, kontroversen Installation in der jetzt abgerissenen Baracke hinter der Nationalgalerie Malaysias, Balai Seni Lukis Negara, die offizielle kuratoriale Praktiken hinterfragte und Bilder von den Protagonisten und Gegnern der Auffassungen von Shooshie im Garten ausbreitete. Nur Hanim meint, das Timing und die intime Atmosphäre der Schau seien das gewesen, worauf Documenta-Kuratorin Ruth Noack während ihrer Scouting-Mission letztes Jahr in Malaysia zuallererst abgefahren sei.
Shooshies Idee, neugierige Fremde nach Hause einzuladen, hat durchaus kulturelle Vorläufer, denn es gehört zu den traditionellen malaysischen Bräuchen, derart von herzlicher Gastfreundschaft zu sein, dass dem Publikum an Festtagen selbst die Häuser und Herzen geöffnet werden. Dennoch ist die Praxis, Kunst und deren Prozesse in solch privaten Räumen wie Wohnungen zu zeigen, in Malaysia selten zu finden.
"Unsere Kunstszene ist noch in Entwicklung begriffen und noch ziemlich unreif", sagt Shooshie. "Aber das stört mich nicht so sehr, wie die Hierarchie in unserer Kunstwelt und deren unglaubliche Ambitionen, die nichts mit unserer Realität zu tun haben. Was wir wirklich brauchen, sind kleine Ausstellungen und seriöse und informierte Diskussionen über Kunst und Künstler."
Obwohl Shooshie ihre Kunst als einen Prozess der "Entwicklung und Weiterbildung unseres Publikums" in einer Gesellschaft erklärt, deren eigene postkoloniale Kultur noch wächst, ist ihr eigenes Agieren in einem demokratisierenden Impuls verwurzelt. Die Instrumentalisierung von Kunst auf eine solche Weise, um die Beteiligung des Publikum zu erreichen, ist nicht wirklich neu - solche Hoffnungen gab es schon früher, von der Performancekunst der 1970er Jahre bis zu Beuys Aussage "jeder ist ein Künstler". Doch Shooshies Idealismus ist ihr Bollwerk gegen eine wohlgefällige malaysische Kunstwelt, die von traditionellen Marktnachfragen verführt ist. Traurig für Shooshie ist aber, dass viele Malaysier nach 50 Jahren Unabhängigkeit immer noch nicht davon überzeugt sind, dass sie selbst auch Künstler sein sollten, um ihre eigene postkoloniale Realität zu gestalten.
Kean Wong
Freischaffender Journalist aus Malaysia (ansässig in Australien). Schreibt u.a. über modernen Islam, Pop-Kultur und Medien.
Emotionale Bibliothek. 2007
Performance, 2 Tagebücher mit Zeichnungen und Collagen: "Anna" und "Botanical Garden", 1996
je 15 x 21 x 1 cm
Documenta 12
16. Juni - 23. Sept. 2007
Kassel, Deutschland