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Gezeichneter Spielfilm nach dem autobiographischen Comic-Buch der iranischen Künstlerin.
Von Amin Farzanefar | Nov 2007Comicverfilmungen sind ein heutzutage inflationär genutztes Genre, bei dem meist Superhelden oder possierliche Tierchen als Protagonisten erscheinen, wobei einem aber nur selten wirklich Überraschendes geboten wird. Da sind ein Jurypreis in Cannes und danach eine Oskarnominierung ziemlich ungewöhnliche Ehren. Doch im Falle von "Persepolis" wurde bereits die 2000 veröffentlichte Buchvorlage der gebürtigen Iranerin Marjane Satrapi der Hochkultur zugeschlagen. Bei der Frankfurter Buchmesse erhielt sie eine Auszeichnung als "Comic des Jahres". Die beiden Bände - mehrfach prämiert, über eine Million mal verkauft, in 25 Sprachen übersetzt - erzählen zunächst einmal mehr oder minder Bekanntes aus den ersten Jahren der Iranischen Revolution: vom Sturz des Schah, der Indoktrination in Schule und Gesellschaft, einer zunehmenden Kontrolle des öffentlichen Raumes durch Tugendwächter, und von den Massenhinrichtungen.
Solche Fakten bestimmen seit knapp drei Jahrzehnten das Image des Iran als finstere Mullah-Republik. Wie Satrapi dies vermittelt, das bricht allerdings gründlich mit landläufigen Klischees einer gleichgeschalteten, religiös euphorisierten Einheitsgesellschaft.
Angeregt von Art Spiegelmans minimalistischem Holocaust-Comic "Maus" - gleichfalls in Schwarzweiß erzählt - nennt Satrapi ihre Erzähltechnik "Autofiction" - nicht in allen Details so erlebt, aber eng an der eigenen Lebensgeschichte gehalten: 1984 wird die fünfzehnjährige Marjane von den Eltern aus dem vom Irakkrieg zerrütteten Land in ein Wiener Internat geschickt. Auf Rückkehr, Heirat und Scheidung folgt eine erneute Ausreise nach Frankreich, wo Satrapi ihr Studium beendet und seit 1994 lebt.
Revolutionstribunale, Krieg, dann Exil: "Persepolis" schildert die "großen" Verläufe aus der Untersicht einer Halbwüchsigen, die nicht viel mehr will, als ein normales Teenie-Leben führen, mit ein bisschen Popkultur zwischen Bee Gees, Iron Maiden und Kim Wild, die aber permanent daran gehindert wird.
Dem verordneten revolutionären Pathos werden in Buch wie Film private Innensichten und Wertewelten entgegengestellt: Der Humanismus des geliebten Onkels Anouche, der für seine liberalen Überzeugungen mit dem Leben bezahlt, die individualistische Weltsicht der unbeirrbaren Oma. Als Marjane nach ihrer gescheiterten Ehe gesellschaftliche Ächtung befürchtet, tröstet die sie: "Nur eine Scheidung? Ich dachte schon, es sei jemand gestorben." Dann erzählt sie der Enkelin ihre eigene Geschichte.
Solche sympathischen Mentoren sind Symbole eines anderen, freien Iran und bieten als Vertreter eines intellektuellen, kosmopolitischen Bürgertums ein wirksames Heilmittel gegen hartnäckige Iran-Stereotypen, die von einer einfältigen westlichen Berichterstattung, einem ausfälligen iranischen Staatspräsidenten und der oft übertriebenen Armutsfolklore des iranischen Kinos genährt werden.
Auch die formale Gestaltung von "Persepolis" hält mit dem Niveau der Buchvorlage Schritt: während der neuere Animationsfilm im Allgemeinen von unzähligen Kleinstlebewesen bevölkert ist, setzen Satrapi und ihr Ko-Regisseur Vincent Paraunaud auf die Rückkehr der klaren Form. Die verführerischen Möglichkeiten der grenzenlosen Realitätsüberschreitung in diesem Medium werden von ihnen sparsam, diszipliniert und stimmig genutzt: wenn sich der Körper der heftig pubertierenden Marjane in Wachstumsschüben krümmt, formt und ausbeult oder wenn der strahlende Traummann nach der Trennung plötzlich als sabberndes Ekel erscheint, erlangt der Begriff der "subjektiven Kamera" neue Bedeutung. Die Animation des nur vordergründig naiven Schwarzweiß ist unübersehbar vom filigranen Stil der Scherenschnitt-Meisterwerke Lotte Reiningers ("Die Abenteuer des Prinzen Achmet", 1922) inspiriert. Diese im besten Sinne "altmodische" Gestaltung, märchenhaft und authentisch zugleich, und der traurig-lustige Erzählton bewirken ein Einfühlen in Figur und Fabel, das die virtuelle Detailflut von Pixar-, Disney- und sonstigen Produktionen kaum erreicht.
Über eine Million Zuschauer in Frankreich, Preisregen und weltweit begeisterte Kritiken: "Persepolis" erzählt eine weit über den konkreten Rahmen hinausreichende, universelle Geschichte von Erwachsenwerden, Verfolgung, Heimat, Exil. Die Re-Politisierung, die Rückkehr der Klischees erfolgte indes postwendend: noch unlängst hatten sich Iraner im In- wie Ausland über den faschistoiden Historien-Actionfilm "300" ereifert und in dem mit reichlich blutrünstigen Spezialeffekten aufgepeppten Hollywood-Schlachtengemälde anti-iranische, ja rassistische Elemente erkennen wollen. Nun, anlässlich der Cannes-Premiere von "Persepolis", reichte die staatliche iranische Filmförderungsgesellschaft Farabi eine Protestnote beim französischen Kulturattachee ein. Vorwurf: Satrapis Filme würde die "Errungenschaften der Revolution" "falsch darstellen". Im Iran selbst ist der Film verboten, natürlich.
Amin Farzanefar
Arbeitet als Journalist vor allem über Film des Nahen und Mittleren Ostens und versucht über dieses Medium eine Annäherung an die soziale Realität der Region. Hierzu erschien auch sein Buch "Kino des Orients".
Persepolis
Von Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud
96 Minuten
Frankreich 2007
Gezeichneter Spielfilm nach dem autobiographischen Comic-Buch der iranischen Künstlerin.