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Visionen, Skepsis, Chancen. Protagonisten der Kultur der VAE über die geplanten Museen.
Von Pat Binder & Gerhard Haupt | Nov 2007Bis vor kurzem tat sich Abu Dhabi nicht gerade durch besondere kulturelle Ambitionen hervor. Die schien man Sharjah zu überlassen, das lange unangefochten als kulturelles Zentrum der Vereinigten Arabischen Emirate galt. 1998 war es sogar UNESCO-Kulturhauptstadt der arabischen Welt. [1] Aber bekanntlich will Abu Dhabi mit dem Kulturdistrikt auf der Insel Saadiyat bald auch in diesem Bereich an die Weltspitze. Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit es dabei um mehr als bloßes Tourismusmarketing und Imagebildung geht.
Die Kulturstätten auf Saadiyat sind Teil eines gigantischen Entwicklungsprojekts, durch das die "Insel der Glückseligkeit" zum wichtigsten Ziel und Motor des Abu Dhabi-Tourismus werden soll. Demzufolge liegen auch sie im Zuständigkeitsbereich der Tourism Development & Investment Company (TDIC). Die bestellte bei der Guggenheim-Stiftung in New York nicht nur ein Guggenheim Abu Dhabi, sondern gleich den Masterplan für den gesamten Kulturbezirk. Auftragsgemäß konzipierte das Team unter Stiftungsdirektor Thomas Krens eine "kritische Masse" [2] an Museen und anderen Kultureinrichtungen, bei der Geld offenbar keine Rolle spielt und deren Ankündigung den erhofften Medienhype auslöste.
Wenn man mit Insidern des politischen und kulturellen Geschehens in Abu Dhabi redet, erfährt man, dass sich mit dem Saadiyat-Kulturdistrikt auch ganz andere Erwartungen verbinden als nur eine Steigerung der Touristenzahlen und des Renommés. Ohne Zweifel wird der Betrieb der diversen Kulturstätten weit reichende Auswirkungen auf das Emirat, das Land und die Region haben, was offenbar ganz den Intentionen der Initiatoren entspricht.
Die Historikerin Frauke Heard-Bey [3], die seit 1967 in Abu Dhabi lebt, erläutert die neue Offenheit als Folge eines Macht- und Generationswechsels nach dem Tod von Sheikh Zayed bin Sultan Al Nahyan [4] im November 2004. In den fast vier Jahrzehnten seiner Herrschaft über das Emirat sei dieser bei aller Modernisierung vorsichtig darum bemüht gewesen, das Selbstverständnis der einheimischen Bevölkerung keinen allzu großen Herausforderungen auszusetzen. Das neue Konzept sei hingegen viel stärker auf eine Interaktion mit der Welt ausgerichtet.
Zaki Nusseibeh [5], schon unter Sheikh Zayed und jetzt weiterhin persönlicher Berater des Herrschers von Abu Dhabi, der zugleich Präsident der VAE ist, bestätigt diese Einschätzung. Als stellvertretender Vorsitzender der Abu Dhabi Culture and Heritage Authority (ADACH) und Leiter oder Vorstandsmitglied mehrerer Gremien ist Nusseibeh einer der Protagonisten der kulturellen Entwicklung des Emirats. Für ihn stehen beim Kulturdistrikt auf Saadiyat nicht das Ankurbeln des Tourismus oder die Imageprofilierung im Vordergrund, sondern eine viel weiter reichende Vision, ein neuer erzieherischer, kultureller und zivilisatorischer Ansatz. Er meint, Abu Dhabi, dessen Ölvorräte noch mehr als hundert Jahre reichen, hätte es gar nicht nötig, dabei an finanzielle Rendite zu denken. "Das Projekt gehört zu den Plänen Abu Dhabis für die kulturelle Entwicklung und Bildung seiner Jugend. Sein Ziel ist es, Brücken zur Welt zu schaffen und dabei seine Traditionen und sein Erbe als ein islamisches und arabisches Land mit einer wahrhaft globalen Perspektive, die die Welt einschließt, in Einklang zu bringen." Das Emirat sei bereit, sich mit ganz erheblichen Beiträgen an einer universalen Weltzivilisation zu beteiligen, in der es keine Rolle spiele, ob jemand aus dem Osten oder Westen kommt, welche kulturellen Wurzeln man hat oder zu welcher Religion man sich bekennt.
Nicht nur mit den geplanten Kulturstätten will Abu Dhabi Menschen und Institutionen zusammenbringen, die an der Verwirklichung einer solchen Vision mitwirken möchten. Parallel dazu gibt es eine Bildungsoffensive in allen erdenklichen Bereichen: Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften, medizinische Forschung, neue Technologien, etc.. Dadurch sollen Spezialisten aus aller Welt - und insbesondere solche arabischer Herkunft - nach Abu Dhabi gezogen werden und dort ein neues Zuhause finden. Die Pariser Sorbonne Universität hat in Abu Dhabi bereits eine Niederlassung gegründet, in deren Verwaltungsrat Nusseibeh sitzt. Die Yale University aus den USA plant in der Stadt ein Kunstinstitut, das im September 2008 eröffnen könnte, und die New York University will 2010 den Lehrbetrieb auf einem Middle Eastern Campus aufnehmen.
Zaki Nusseibeh sagt "Kunst ist Offenheit gegenüber der Welt", deshalb würde man mit einer Förderung der Künste auch etwas gegen das Konzept eines Zusammenpralls der Zivilisationen und gegen verschiedene Spielarten des Fundamentalismus tun. Ohnehin könne eine Weltanschauung besser durch Kultur als durch Politik reformiert werden. Die von außen nach Abu Dhabi geholten kulturellen Highlights, die übrigens auch Bildungsprogramme anbieten werden, brauche man, um Maßstäbe zu setzen und andere Institutionen und Experten nachzuziehen. Allerdings sei es dabei überaus wichtig, die lokalen Traditionen nicht zu überrollen, sondern sie einzubeziehen und zu stärken.
Letzteres kann Omar Ghobash [6] nur unterstreichen. Er ist Mitinhaber der Third Line Gallery [7] in Dubai, der gegenwärtig wohl interessantesten kommerziellen Galerie für zeitgenössische Kunst in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Derzeit arbeitet Ghobash in Abu Dhabi als stellvertretender Geschäftsführer der 2005 gegründeten Emirates Foundation. Er sagt, die Strategie der Stiftung sei auf Individuen fokussiert, um "die Dinge von Grund auf zu verstehen und davon ausgehend das eigene Vorgehen zu entwickeln", also den Leuten zuzuhören und herauszufinden, was sie bewegt. Gegenüber den global orientierten Großprojekten arbeite die Emirates Foundation auf einem eher "menschlichen Maß". Seit 2007 vergibt sie Stipendien an in den VAE lebende Kulturschaffende aller Disziplinen. "Ich persönlich fühle mich auf einem menschlichen Maß weitaus wohler, denn von dieser Ebene aus sind die Probleme zu lösen."
Ghobash findet, Sinn und Zweck des Saadiyat-Kulturdistrikts und dessen Auswirkungen auf Abu Dhabi und das ganze Land hätte man den Einwohnern bislang nicht ausreichend vermittelt. Weder über eventuelle Gefahren, noch über die möglichen Chancen sei im erforderlichen Maße öffentlich nachgedacht und diskutiert worden. Er hoffe aber, dass das geschehen wird, schließlich verbleibe bis zur Eröffnung der neuen Kultureinrichtungen genügend Zeit auch dafür.
Selbst unter den Künstlerinnen und Künstlern in den Emiraten, die an den kulturellen Projekten in Abu Dhabi ein vitales Interesse haben müssten, ist offenbar eine gewisse Skepsis verbreitet. Ebtisam AbdulAziz zufolge sei es wohl vielen schwer vorstellbar, dass Abu Dhabi ohne entsprechende Traditionen an Sharjah vorbei zur neuen Kulturmetropole des Landes entwickelt werden soll. Sicher sind die meisten Kulturschaffenden Sharjah weitaus enger verbunden, durch die dort ansässige Emirates Fine Arts Society, das Kunstmuseum, die Sharjah Biennale oder andere Ausstellungen, Veranstaltungen und Kultureinrichtungen.
Die astronomischen Summen für die Museen auf der Insel Saadiyat sind natürlich auch den einheimischen Künstlern bekannt. Ebenso haben sie von den Absichten erfahren, dort eigene Kunstsammlungen aufzubauen, die auch die zeitgenössische Kunst des Landes selbst aufnehmen - was selbstverständlich sein sollte. Doch bislang gibt es seitens der Institutionen des Landes anscheinend keine Bemühungen, wichtige Werke durch Ankäufe zu sichern. Von anderer Seite kommt man ihnen längst zuvor, wie Mohammed Kazem zu berichten weiß: "Wir haben in jüngster Zeit festgestellt, dass Museen, Galerien, Institutionen und Personen aus dem Ausland viele Werke lokaler Künstler erworben haben, und zwar sowohl von der älteren wie auch von der jungen Generation. Der Prozess des Wiederankaufs würde natürlich schwierig sein, deshalb hoffen wir, dass sich unsere lokalen Institutionen der Bedeutung solcher Kunstwerke stärker bewusst werden."
Bei allen Bedenken und bei aller Enttäuschung darüber, nicht stärker einbezogen zu werden, gibt es seitens der Künstlerinnen und Künstler aber wohl doch ein grundsätzliches Einverständnis mit dem, was in Abu Dhabi in kultureller Hinsicht geplant ist. Wenige Tage vor dem Gespräch mit Zaki Nusseibeh waren von Hassan Sharif in Dubai erstaunlicherweise ähnliche Auffassungen zu hören. Der Künstler und Theoretiker, Leitfigur einer an experimenteller Kunst interessierten Szene in den Emiraten, sieht eine tiefe Kluft zwischen Ost und West, die sich in den letzten Jahren erheblich vergrößert hätte. Er meint, die Herrscher und Institutionen in den VAE sollten sich dessen bewusst sein und sich um den Aufbau einer neuen Zivilisation bemühen, die dringend gebraucht würde und hier wachsen könnte. Eine solche Zivilisation würde sowohl dem Osten als auch dem Westen nützen und die Distanz zwischen beiden Seiten überbrücken. So etwas wäre tatsächlich ein nach vorn gerichtetes Denken. Wenn man die zeitgenössische Kunst dafür nutzen wolle, müsse man aber den Künstlern mehr Freiheit einräumen und aktuelle Kunstpraktiken nicht nur tolerieren, sondern auch wertschätzen und fördern. Das setze notwendigerweise die Weiterentwicklung und Modifikation eines noch stark traditionell verankerten Kunstverständnisses voraus.
Ebtisam AbdulAziz warnt, die neuen Museen dürften nicht zu Aufbewahrungsorten für etwas werden, das im Grunde niemand will. Auch in einem Kunstmuseum spiegele sich ein Land in gewisser Weise wider, ein solches Museum vermittle etwas von dessen Geschichte, Entwicklung und seinen Bewohnern, und deshalb sollte es offen für ganz unterschiedliche künstlerische Ansätze in den Emiraten sein. Man kann nur hoffen, dass sie diesbezüglich nicht enttäuscht wird und die Politik des Guggenheim in Abu Dhabi offener ist als in Bilbao. Dort hat es immerhin 10 Jahre gedauert, bis lokale Künstler mit Ausstellungen gewürdigt wurden.
Es ist schon erstaunlich, wie wenig Konkretes über den Kulturdistrikt auf der Insel Saadiyat selbst den kunstinteressierten Kreisen in den Emiraten bekannt ist. Das könnte sich aber tatsächlich bald ändern. Wie kürzlich zu erfahren war, überträgt die Tourism Development & Investment Company die weitere Planung und Realisierung der Kulturprojekte, wozu gewiss auch die Öffentlichkeitsarbeit gehört, einem Kulturrat. Erst im Oktober 2007 wurde dafür ein stellvertretender Direktor eingestellt: Charles Merewether, ein international bekannter Kurator und Kunsthistoriker, u.a. künstlerischer Leiter der Sydney Biennale 2006 [8]. Zunächst muss er sich um den Aufbau der Infrastruktur des Kulturrats und die Rekrutierung und Qualifizierung des Mitarbeiterstabs kümmern. Und natürlich gibt es eine Fülle an konzeptionellen Detailfragen zu klären, darunter auch sehr heikle wie z.B. welche Kunstwerke im Louvre Abu Dhabi einer islamisch geprägten Gesellschaft zumutbar sind, ohne dass der Vorwurf der Zensur aufkommt. Ausstellungen und Veranstaltungen sollen bis zur Eröffnung der Museen deren Profil und Programm erkennbar werden lassen. Wie Merewether betont, sei es bei allen Zukunftsvisionen jetzt an der Zeit, sich der Realität und ihren komplexen Implikationen zu stellen.
Kulturbezirk auf der Insel Saadiyat ►
Fakten, Informationen und Fotos von allen Projekten
Anmerkungen:
Pat Binder & Gerhard Haupt
Herausgeber von Universes in Universe - Welten der Kunst. Leben in Berlin.