Für eine optimale Ansicht unserer Website drehen Sie Ihr Tablet bitte horizontal.
Rabahs Palästinensisches Museum für Naturgeschichte und Menschheit in der Brunei Gallery in London.
Von Sacha Craddock | Apr 2007Khalil Rabah hat das schwierigste Unterfangen für einen Künstler zustande gebracht, indem er einen virtuellen Raum mit einem Sinn für Logik und Kontinuität schuf, eine künstlerische Welt, die die Abwesenheit oder die Präsenz eines Ortes, Raumes und einer Möglichkeit in der realen Welt spiegelt. Schon seit mehreren Jahren erhält Rabah dieses fiktive "Palästinensische Museum für Naturgeschichte und Menschheit" aufrecht, das einzig als Titel, Konzept und Absicht existiert. Rabah brachte sein Museum in seinen verschiedenen Manifestationen in letzter Zeit nach Athen, Amsterdam und Istanbul. Er benutzt oft erfundene Artefakte, um ein nicht existentes Museum auszustatten, das stellvertretend für eine so benachteiligte, so zerrissene, so völlig von allem anderen verschiedene Situation steht. Dieses Mal bringt Rabah das Museum nach London in die Brunei Gallery in der School of African and Oriental Studies, im Herzen des akademischen Viertels von Bloomsbury.
"50,320 Names" besteht aus zwei miteinander verbundenen Elementen: Eine frontal aufgenommene, düstere Fotografie von Regalen mit dem Archiv der Bestandsaufnahme historischer Besitztümer in Palästina, mit der 1993 begonnen wurde, sowie ein Video von Rabah selbst, der die Namen von Familien vorliest, die angeblich in den im RIWAQ Register historischer Gebäude in Palästina verzeichneten Häusern wohnen. Die Struktur dieses nicht zugänglichen Materials funktioniert gut; das formale Raster der prallen Aktenordner und Bücherregale, der monotone Klang und Rhythmus der Stimme des Künstlers beim Vorlesen solch einer Masse an Informationen verdecken unverholen, was da ist und was verneint wird. Rabahs ausdruckloser Aufruf von Namen geschieht in einem Ton, der normalerweise für die Toten und die von uns gegangenen reserviert ist.
Das Werk ist in seinem Tempo perfekt, wenn diese irgendwie zweifelhafte Realität akribisch archivierter Informationen in die akademische Welt Londons eindringt. Rabah nutzt die Wiederaufnahme von Nachforschungen und das Zurückfordern von Orten und Ideen ebenso in seinem fiktiven Museum wie das Gefühl von Verlust. Sein Werk ist subtil, denn es geht ihm als Künstler nicht darum, den sich schuldig fühlenden Außenstehenden etwas zu vermitteln, was sie schon zu kennen glauben. Das Museum zeigt auf gewisse Weise einen exakten Forschungsbericht, eine Wiedergewinnung der Wahrheit, und das zu einer Zeit, in der Kenntnisse, Nachforschungen, Erinnerungen und Eigentumsrechte grausam verweigert und von Bulldozern platt gewalzt werden. Die Bemühungen, Raum, Wissen und Eigentum zurückzufordern, oder auch nur der Wunsch nach einem normalen und geordneten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Leben mögen oft vereitelt werden, aber dennoch niemals aufhören, wie diese Recherche und der Umgang des Künstlers damit belegen.
Die Installation "50,320 Names" wird in der Galerie gleichzeitig mit der Ausstellung "Future for the past; Petrie’s Palestinian Collection" (Zukunft für die Vergangenheit; die palästinensische Sammlung Petrie) gezeigt. Darin sind in den 1920er und 1930er Jahren in Gaza gefundene Objekte und Artefakte zu sehen. Sir Flinders Petrie, der "Vater der modernen Ägyptologie", war ein Pionier moderner archäologischer Methoden und Professor für Ägyptologie gleich nebenan im University College. Diese Ausstellung bildet einen ironischen, aber wahrscheinlich gut gemeinten Hintergrund für die Arbeit von Khalil Rabah, einen herausragenden zeitgenössischen Künstler Palästinas, dessen Schaffen genau darauf ausgerichtet ist, deren Prämissen umzukehren.
Die Logik des Museums als Aufbewahrungsort der Manifestationen und Konstrukte eines kollektiven Verständnisses mag aus einer ganz anderen Zeit stammen, aber es gibt fast überall so etwas wie ein "Museum der Menschheit". Das in London, hinter der Royal Academy, wurde vor einiger Zeit geschlossen, und seine Bestände wurden ins British Museum überführt, doch das Musée du Quai Branly, das gerade erst in Paris eröffnete, verkörpert einen anderen, irgendwie merkwürdigen Ansatz, solche Dinge zu beherbergen.
Petries Arbeit in Palästina setzte mit den akribischen Ausgrabungen und Dokumentationen von Grabstätten einen Standard. Unspektakulär in seiner Rolle, weniger auffällig und auf Show bedacht als andere Archäologen jener Zeit, wurde er für seine methodische und gründliche Archivierung und Kennzeichnung berühmt. Er musste jedoch erkennen, dass es ihm bis zum Ende seines Lebens nicht gelingen würde, die verschiedenen Schichten seiner Ausgrabungen in Gaza gänzlich auszuwerten.
Ein Projekt in, über und von einem Museum imitiert, setzt sich mit Erwartungen, Glaube und Autorität auseinander. Die Struktur ist vorhanden, eine Tendenz zum Glauben an das Akademische mag dominieren, doch ist die Arbeit im Grunde schon getan. Rabahs Struktur innerhalb einer derartigen Struktur ist sensibel und formal, er nutzt eine allgemein akzeptierte Methode der Registrierung und Dokumentation dessen, um was es nicht geht, was nicht da ist und auch dessen, was vorhanden ist. Das Projekt in einem Museum erlangt durch die dadurch ausgelösten Assoziationen einen zusätzlichen Wert. Khalil Rabah knackt den letzten Code, indem das virtuelle, imaginäre Museum zum Äquivalent einer Leinwand oder der leeren Seiten eines Buches wird. Auf gewisse Weise ist es der Hintergrund, die konzeptionelle Basis für eine fortlaufende Art und Weise eines Ansatzes, Gedankens und Handlungsschemas. Permutation, Fortschreibung, Leere, all das an diesem Ort vermengt, der Freiheit nur virtuell, durch Gedanken, statt durch materielle Mittel erlangen kann. Für Rabah stellt sich die Frage, was innerhalb solch einer fest etablierten und als unverrückbar wahrgenommenen Struktur zu variieren und was wann zu sagen ist.
Dieses Mal präsentiert Khalil Rabah das Museum sehr sensibel ohne Objekte, da es für ihn nicht notwendig war, irgendwelche physischen Referenzen an die Vergangenheit anzubieten. Bei diesem Ort geht es nicht wirklich um die Aufhebung des Glaubens, um die Möglichkeit der Kunst, ihre eigene Fiktion immer wieder neu zu etablieren. Hier ist der Ort vorbestimmt, statt Kunst in einer Galerie, ist es hier ein stilles Museum innerhalb eines Museums. Rabahs Installation sieht sowieso sehr nach zeitgenössischer Kunst aus, mit ihrer vagen, andeutungshaften, reinen Referenz an historische Forschungen und Kampf. Die Tulpen in Amsterdam, eine frühere Arbeit, oder das ganze Projekt in Istanbul bei der letzten Biennale waren weitaus mehr ausgearbeitete Manifestationen seines Museums. Jedwede Bezugnahme auf Materialität fehlt in London, weil der hier dominierende Modus sowohl gesundes wie auch ungesundes akademisches Wissen und Hypothese ist.
Aus der Auswahl des Ortes, an dem Rabah sein Museum präsentiert, resultieren etliche ironische und viel bedeutende Nuancen. 1933 freundete sich der Anthropologe Flinders Petrie mit einigen jungen Piloten auf dem Stützpunkt der Imperial Airways in Gaza an. Bei Rabahs nächster Ausstellung in London, die in einer Wohnung in Chelsea stattfindet, wird er die Ausstattung eines Büros von The United States of Palestine Airlines installieren. Sie wird wahrscheinlich so ähnlich aussehen, wie die Basis der Imperial Airways in Gaza-Stadt, die Petrie besuchte. Während ein betagter Flinders die Möglichkeit hatte, hin- und herzufliegen, ist es heutzutage keinem in Gaza oder sonst wo in Palästina möglich, heraus- oder einzufliegen. Rabah nutzt das fiktive Büro einer Fluggesellschaft mit dem allgegenwärtigen Flugzeugmodell auf einer Halterung, um an einen nostalgischen, wahrscheinlich nie zu verwirklichenden Glauben an die Möglichkeit und das Recht zu reisen zu erinnern. Die Landkarte an der Wand mit dem sich immer mehr ausweitenden Streckennetz weist auf eine offenen Welt hin und repräsentiert zugleich eine gescheiterte Hoffnung.
Sacha Craddock
Freischaffende Kunstkritikerin und Kuratorin. Lebt in London.
Das Palästinensische Museum für Naturgeschichte und Menschheit präsentiert:
50,320 Names
Eine Installation von Khalil Rabah
25. Jan. – 24. März 2007