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Muratbek Djumaliev und Gulnara Kasmalieva - Videokünstler und Kunstaktivisten aus Kirgisistan.
Von Lisa Dorin | Nov 2007Für diejenigen, die in den letzten Jahren die Tendenzen in großen internationalen Ausstellungen verfolgt haben, sind die immer beachtlicheren Beispiele von Videokunst aus Zentralasien keine große Überraschung. Der erste Pavillon Zentralasiens überhaupt bei der 51. Biennale Venedig im Jahr 2005 [1], kuratiert von Victor Misiano, markierte einen entscheidenden Moment für die Region, indem er sie als eine der letzten Grenzen der globalen Kunstwelt bestätigte. Video trat auf gewisse Weise mehr als jedes andere Medium als lingua franca in Erscheinung, wodurch die scheinbar isolierten Erfahrungen zentralasiatischer Künstler effektiv für ein internationales Publikum übersetzt wurden.
An vorderster Front dieser Bewegung steht das Duo Gulnara Kasmalieva und Muratbek Djumaliev, die in Bischkek in Kirgisistan zusammen leben und arbeiten. Sie haben sich der Aufgabe gewidmet, eine lebendige Kunstszene in ihrem Land zu fördern, wo die gesamte frühere Infrastruktur für die Bildung und die Unterstützung der Künstler von der Regierung schon seit langem aufgegeben wurde und niemals Modelle einer Förderung durch private philanthropische Organisationen, Unternehmen oder Stiftungen existierten [2].
Gleichzeitig hat das Paar seine eigenen Videos, Fotografien und Performances produziert, die darauf abzielen, viele Schichten der kirgisischen Identität zu enthüllen, einschließlich der traditionellen nomadischen und schamanistischen Wurzeln des Landes, seiner Sowjetvergangenheit und der schwachen Position der neuen Republik im globalen kapitalistischen System. Vom Wesen her üben sie eine Praxis aus, die die Begriffe der Kunst gegenüber dem neu definiert, was Djumaliev als "die kollektive Phobie, Skeptizismus und Enttäuschung" bezeichnet, von denen das soziale Umfeld, in dem sie leben, durchdrungen ist. Das Poetische mit dem Politischen verschmelzend, benutzen sie eine evokative Metaphorik mit einer minimalen narrativen Struktur, um ergreifende Geschichten des menschlichen Kampfes, des Durchhaltevermögens und des Vertrauens in die Zukunft zu erzählen.
Ihre letzte und bis heute ambitionierteste Videoinstallation Eine neue Seidenstraße: Algorithmus des Überlebens und der Hoffnung (2006), die im Februar 2007 im Art Institute of Chicago erstmals gezeigt wurde, bietet ein abstraktes Set an Instruktionen für das Durchstehen von Notlagen. Wo dereinst Marco Polo und Karawanen von Kamelen und Pferden beladen mit kostbaren Luxusgütern vorbeizogen, kartographieren Kasmalieva und Djumaliev jetzt entlang der alten Routen ein neues Terrain. Sie dokumentieren kirgisische und chinesische Lastwagenkolonnen, die ihre Fracht über die Grenze hin- und hertransportieren und damit geschäftstüchtige Gemeinden ländlicher Bewohner in die behelfsmäßigen Siedlungen entlang der Fernstraßen ziehen. Indem sie dokumentarische Prozesse in einem konzeptuellen Rahmen einsetzen, enthüllen die Künstler die Erfahrungen dieser Bewohner, die sich nach fast 75 Jahren erzwungener Sesshaftigkeit und kollektiver Landwirtschaft unter dem Sowjetregime nun wieder dem Handel zuwenden und die Verkehrswege, entlang derer sie ihren Lebensunterhalt verdienen, über vier Jahrhunderte nach dem Niedergang der ursprünglichen Routen immer noch als jybek jol oder die "Seidenstraße" bezeichnen.
Während einer mehrtägigen Reise nahmen Kasmalieva und Djumaliev den Prozess des Sortierens und Verladens von Schrott für den Lastwagentransport zwischen Kirgisistan und West-China auf. Während sie der ostwärts fahrenden Karawane folgten, nahmen sie mit ihren Kameras die skulpturale Schönheit der antiquierten, gefährlich mit Schrott überladenen Fahrzeuge aus der Sowjetära auf. Diese Bilder stellen sie denen von makellosen und kraftstrotzenden chinesischen Sattelschleppern gegenüber, die mit neu gefertigten Gütern westwärts nach Kirgisistan hinein fahren. Die Fünf-Kanal-Videoinstallation verwebt Ansichten von Lastern in der Landschaft mit Szenen der ländlichen Gemeinden, die lange die Ebenen wie auch die jetzt aus dem Boden schießenden provisorischen Siedlungen bewohnen, in einer Reflexion über die Rentabilität der Schrottwirtschaft. Durch das geschickte Editieren der Bilder und des Tons lenken die Künstler die Aufmerksamkeit auf die Muster und Rhythmen, die sich inmitten der chaotischen Aktivität bilden, und stellen die Menschheit in einer Weise dar, die das Wesen globaler Ökonomie erfasst. Alle Projektionen beginnen mit brummenden Lastwagen, die kreuz und quer durchs Gebirge fahren, worauf der anhaltende Ton des Sammelns, Sortierens und Verladens von Metall folgt. Wir verfolgen das rhythmische Packen und Verkleben riesiger Pakete auf dem geschäftigen Marktplatz, bevor die Kamera auf die Berglandschaft zurückblendet, wo die LKW-Fahrer und Dorfbewohner in einer festlichen Feier zusammenkommen. Ein junger Bauer spielt Akkordeon und singt eine traditionelle kirgisische Ballade, eine Ode an die einzigartige Landschaft seiner Heimat. Der Kreis schließt sich, wir kehren zu den Lastwagen zurück, der Basis der neuen Ökonomie.
In der letzten Szene reitet ein Junge auf einem Pferd fröhlich mit einem schwer beladenen Laster um die Wette, der sich den Berg hinauf quält, den Gipfel überquert und in die Ferne davonrast, wobei er schließlich das Kind und das Tier in einer Staubwolke hinter sich lässt. Was zunächst wie eine Verurteilung der Auswirkungen des Fortschritts auf diese Gemeinde erscheinen mag, ist vielmehr ein Bild der Hoffnung. Das Leben, dass der Junge und seine Eltern immer kannten, unterliegt zweifelsohne einem schnellen Wandel, doch hier ist er trotz aller offensichtlichen Hindernisse bereit und voller Erwartung, geradewegs in die Zukunft zu reiten [3]. Frei von Nostalgie für die alte Seidenstraße mit all ihren romantischen Konnotationen stellt das Projekt von Kasmalieva and Djumaliev die widersprüchlichen Strömungen in der Existenz der lebendigen, atmenden Bevölkerung entlang dieser ausgefahrenen Handelsrouten in den Vordergrund. Der klare Fokus der Künstler sind die geschäftstüchtige Geschicklichkeit und Ausdauer, die sich in den letzten Jahren ausgebildet hat, sowie eine Andeutung der Möglichkeiten, die die Zukunft bringen könnte.
Anmerkungen:
Lisa Dorin
Assistenzkuratorin für zeitgenössische Kunst am Art Institute of Chicago, USA.
Algorithmus des Überlebens und der Hoffnung, 2006
5-Kanal-Videoinstallation, synchronisiert, begleitet von 23 C-Print Fotos verschiedener Größe