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Spielt Kunst eine Rolle für die Allgemeinheit? Reflexionen am Beispiel Indonesiens.
Von Antariksa | Sep 2007Eines Abends kam Popok Triwahyudi [1] zu mir nach Hause mit einer Frage so gewaltig wie ein Berg: welche Rolle spielt die Kunst für die normalen Leute? Ich war mir nicht sicher, ob er das ernst meinte oder sich nur einen Scherz erlaubte. Ich dachte, das ist schon verblüffend. Wie kann ein Künstler, noch dazu ein zeitgenössischer, heutzutage nach seiner Rolle für die Leute fragen? Deshalb fragte ich zunächst zurück, welchen Künstler und welche Kunst meinst du? Er sagte, natürlich die Künstler und ihre Werke, die wir oft in Galerien sehen und über die in Sonntagszeitungen geschrieben wird. Kurzum, die zeitgenössischen Künstler... Aha, verstehe. Dann fragte ich weiter, welche Leute? Er erwiderte, naja, die normalen Leute eben, die Menschen, die wir für gewöhnlich irgendwo treffen. In diesem Falle, sagte ich, ist die Sache klar: gar keine Rolle! Wie wir wissen, haben die meisten Menschen Schwierigkeiten, die in zeitgenössischen Kunstgalerien ausgestellten Werke zu verstehen und wertzuschätzen. Sie wissen, dass Kunst normalerweise für die Unterhaltung gebraucht wird oder um ein Ereignis oder jemand zu würdigen, dessen Andenken bewahrt werden soll. In der allgemeinen Vorstellung hat das mit dem Konzept von Schönheit zu tun. Also, was mehr oder weniger schön ist, müsste auch effektiv und effizient sein. Wenn die Menschen das, was sie in Kunstgalerien sehen, nicht verstehen (oder dadurch verwirrt sind), wie könnte ihnen das denn nützen?
Die meisten Leute hierzulande würden die zeitgenössische Kunst "nyeni" (gekünstelt) nennen. Das Wort "nyeni" kann bedeuten, dass etwas künstlerische Eigenschaften hat (schön ist). Doch "nyeni" wird auch für alles Merkwürdige oder aus der Norm Fallende benutzt. Wenn jemand zeitgenössische Kunst als "nyeni" bezeichnet, ist das ein Ausdruck von Verständnislosigkeit, Konfusion oder sogar Spott über etwas, das jenseits der eigenen Reichweite liegt und nutzlos für einen ist. Wie sollten die Leute denn Kunstwerke wertschätzen, die in Zeitungen als "konzeptuelle Kunst" bezeichnet werden oder denen ein namhafter Schreiber Bedeutung hinsichtlich von Konzepten, Theorien oder Fachausdrücken beimisst (deswegen könnte man sie auch "terminologische" Kunst nennen)? Wie sollten die Leute irgendwelche gefundenen oder gebrauchten Gegenstände verstehen, die in Galerien ausgestellt und als zeitgenössische Kunst bezeichnet werden? Oder Gemälde und Skulpturen in abstrakten und absonderlichen Stilen? Oder ein Arrangement diverser Objekte, von dem behauptet wird, es sei Installationskunst? Oder Nacktheit oder vorgetäuschte Selbstkasteiung, die als Body Art bezeichnet werden? Oder Bilder von Berühmtheiten oder Präsidenten, aufgereiht in verschiedenen Farben und als Pop Art deklariert? Oder Serien von sich ständig wiederholenden Bildern, von denen einem schwindelig wird und die absolut langweilig sind, aber als neue Medienkunst oder Videokunst einer jungen urbanen Generation gelten? Tja, was ist das? All das will die Leute nur durcheinander bringen.
Die Verteidiger zeitgenössischer Kunst würden sofort sagen, dass irgend jemand der so denkt, keine Ahnung von Kunst hat, und das ist eben der Grund, weshalb sich die zeitgenössische Kunst keine Gedanken über die Leute und deren Probleme machen muss.
Die Kunstgeschichte belegt, dass (moderne) Kunst keinerlei Beziehung zu den Interessen der Leute aufweist und nicht für sie gedacht ist. Im frühen 20. Jahrhundert auf Java waren die Bilder von Mooi Indie und die Werke der Königlich Batavischen Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft und der Abteilung für Archäologie in Batavia nur für die Holländer oder die Einheimischen aus der Oberschicht bestimmt, die Kunstwerke vom
Kunstkringen (Kunstverein) erhielten, in dem die Mitgliedschaft sehr exklusiv war. Die Königlich Batavische Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft und die Abteilung für Archäologie waren im Namen der Wissenschaft tätig und behaupteten, ihr Ziel sei es, die antiken Artefakte Indonesiens zu bewahren, zu restaurieren und zu studieren. Europäische Akademiker dieser Gremien spielten eine wesentliche Rolle bei der Weitergabe von Wissen und bei der Bildung des künstlerischen Geschmacks jener Zeit. Natürlich schrieben sie ihre Abhandlungen in europäischen Sprachen, so dass das Wissen über die Kunst nur unter den Europäern und der einheimische Oberschicht zirkulierte.
In den 1930er Jahren versuchte S. Sudjojono [2], gegen diesen Kunstelitismus Stellung zu beziehen. Er trat dafür ein, dass indonesische Künstler nicht nur die vermeintlich friedlichen Hütten, blauen Berge und alles was romantisch, schön und süß aussieht darstellen sollten, sondern auch die Zuckerfabriken, die abgemagerten Bauern, die Autos der reichen Leute und die kurzen Hosen der Armen, die von den Menschen in den Straßen getragenen Sandalen, Beinkleider und Jacken. In seinem in den 1940er Jahren veröffentlichten, bahnbrechenden Pamphlet "Kami tahu, ke mana seni lukis Indonesia hendak kami bawa" (Wir wissen, wohin wir die indonesische Malerei bringen sollten) äußerte Sudjojono zum wiederholten Male, dass Wahrhaftigkeit in der Malerei wichtiger ist als Schönheit, denn was schön ist, muss nicht unbedingt wahr sein, während das was wahr ist, gewiss auch schön ist. Er schrieb über einen kleinen Jungen, bekleidet mit einer Militäruniform, komplett mit Mütze, Degen und Stiefeln. Ist das schön? Keineswegs, denn die Schönheit eines kleinen Jungen, meinte Sudjojono, tritt erst dann zutage, wenn er schmutzig ist, mit Schlamm bespritzt, und frei und nackt herumrennt. Warum ist das schön? Weil das dem wirklichen Wesen eines kleinen Jungen entspricht.
Als er sich über die Künstler ärgerte, die nur den Geschmack der Kolonialherren und der einheimischen Oberschicht bedienen, sagte Sudjojono, dass die indonesischen Maler wegen ihrer Geldgier schon am Ende seien. Sudjojono irrte sich und er hätte sich absolut nicht vorstellen können, dass Jahrzehnte später eben solche Gemälde, auf denen die Autos der Reichen und die kurzen Hosen armer Jungs, die von den Menschen auf der Straße getragenen Sandalen, Beinkleider und Jacken erscheinen, Bilder eines kleinen verdreckten Jungen, der nackt und frei herumläuft, und all die antifaschistischen und antimilitaristischen Malereien hoch begehrte Handelsgüter sein würden. Was in Sudjojonos Gedanken fehlt, ist dass es in der zeitgenössischen Kunst keine Wahrheit gibt. Die einzige Wahrheit ist das, was wir 3K nennen können: 'Kurator, Kritikus, Kolektor' (Kurator, Kritiker, Sammler). Wir werden keinerlei Schönheit finden, mit Ausnahme der 3K. Und natürlich sollten die Künstler auch im 3K ('kongkalikong' - heimlich Kollaborieren) mit den zuvor genannten 3K geübt sein. Das ist der Grund, weshalb die zeitgenössische Kunst nicht mehr ist als eine Kunst des Täuschens oder Hintergehens.
Wenn man sagt, zeitgenössische Kunst sei vom Markt bestimmt, ist diese Behauptung nicht falsch. Das ist absolut wahr. Wir werden in der zeitgenössischen Kunst keine Agenda sozialer Partizipation finden. Wenn in der Vergangenheit gesagt wurde, dass im "Inhalt" der Kunst ihr Nutzen für die Leute läge, so gibt es jetzt keinerlei Absicht, über eine derartige Nützlichkeit nachzudenken. Wenn also Kunst mit schwierigen Wörtern erklärt wird, mit abstruser Philosophie und vertrackten Theorien, dann ist das alles Teil einer Marketingstrategie, und das Wichtigste ist die Reflexion über die Abwesenheit solcher Inhalte, denn zeitgenössische Kunst ist nicht mehr als terminologische Kunst, labernde Kunst.
Kommen wir also auf Popoks Frage zurück: was ist die Rolle zeitgenössischer Kunst für die Leute? Gewiss, sie hat keine Rolle. Was ist demzufolge falsch und gefährlich? Falsch und gefährlich ist, wenn man sagt, zeitgenössische Kunst sei nützlich für die Leute. Falsch und gefährlich ist, wenn solche Kunst öffentliche Einrichtungen über Gebühr benutzt und den Lehrplan in Schulen, Zeitungskolumnen und Ausstellungsräume dominiert.
Anmerkungen:
Antariksa
Kunstaktivist und Autor. Gründungsmitglied von KUNCI, Zentrum für Kulturstudien (http://kunci.or.id). Lebt in Yogyakarta, Indonesien.
Antariksa
Kunstaktivist und Autor. Gründungsmitglied von KUNCI, Zentrum für Kulturstudien. Lebt in Yogyakarta, Indonesien.