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Experimentelle Videokunst und Dokumentarfilme in Syrien im Kontext der aktuellen Kunstszene.
Von Charlotte Bank | Jun 2007Videokunst und experimentelle Videodokumentationen aus dem Libanon haben schon länger einen wichtigen Platz in der internationalen zeitgenössischen Kunstszene, doch das Nachbarland Syrien wurde lange Zeit übersehen. In der Ausstellung "Disorientation" 2003 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin waren keine bildenden Künstler aus Syrien vertreten. Die Damaszener Kunstszene wurde von Kurator Jack Persekian als anachronistisch und außer Tritt mit den neuesten Entwicklungen der internationalen Kunstszene eingestuft [1]. Neuen digitalen Medien wurde nur im Schaffen zeitgenössischer Künstler anderer Länder des Nahen Ostens Bedeutung beigemessen, die syrische Kunstszene wurde hingegen meist als rückwärtsgewandt und immer noch ausschließlich den traditionellen Techniken verhaftet angesehen. Der Fotograf und Galerist Issa Touma aus Aleppo hat die syrische Kunstszene sogar mit dem europäischen Geschehen der späten 1880er Jahre verglichen, als der Impressionismus gerade seinen Einzug hielt. Seiner Meinung nach sind die traditionellen syrischen Künstler und Kritiker skeptisch gegenüber neuen Entwicklungen und wenig bereit, damit verbundenen Künstlern und deren Ideen eine Chance zu geben, sich zu entwickeln.
All das war bis vor kurzem durchaus zutreffend und zum Teil ist es immer noch so, aber eben nur zum Teil. Das Internet ist längst in Syrien angekommen, wenn auch etwas später als in anderen Ländern, und dient jetzt jungen Künstlern als Inspirationsquelle. So wurde es für den jungen Damaszener Galeristen Firas Chehab zum wichtigen Werkzeug bei seinen Bemühungen, ein Forum für neue Medienkunst zu schaffen. Seine Galerie
Palette Art House zeigt Arbeiten von jungen syrischen Künstlern. Mit seinem jüngsten Projekt will er diesen die Möglichkeit geben, mit Video als Kunstmedium zu experimentieren. Zu diesem Zweck hat er sich u.a. mit der in Frankreich ausgebildeten Dokumentaristin Joude Gorani zusammengetan und einen Workshop für neun ganz junge Künstler veranstaltet, bei dem jeder von ihnen ein kurzes Video produzieren soll. Obwohl die schwierige Finanzierung solcher Projekte ein ständiges Hindernis darstellt, stehen hinter der zeitgenössischen Medienkunst in Syrien oftmals derartige Initiativen. Für Videokunst und experimentelle Dokumentarfilme gibt es wenig Unterstützung von staatlicher und institutioneller Seite. Somit werden junge Leute im Großen und Ganzen sich selbst und den schwer vermeidbaren Fallen überlassen, wenn sie mit diesen Medien experimentieren wollen. Bemühungen wie die von Firas Chehab haben somit eine große Bedeutung für die Entwicklung einer ernst zu nehmenden Videokunstszene in Syrien.
Während Videokunst immer noch in den Anfängen steckt, wurden experimentelle Videodokumentationen syrischer Filmemacher bereits bei internationalen Film- und Kunstevents gezeigt. Die Dokumentarfilmszene in Syrien ist sehr vom Vater des syrischen Dokumentarfilms, Omar Amiralay, geprägt. Sein Name wird von allen jungen Filmemachern mit großem Respekt genannt, auch wenn ihr eigener Ansatz der zeitgenössischen experimentellen Praxis, wie sie von Dokumentaristen anderer arabischen Länder bekannt ist, näher steht. Eine Filmemacherin dieser neuen Generation ist Diana El-Jeiroudi, die neben ihrer Arbeit als Leiterin einer Produktionsgesellschaft als unabhängige Dokumentaristin arbeitet. Ihr Video "The Pot" (Das Gefäß) spricht das Thema Schwangerschaft als soziales Phänomen an. Sie lässt junge syrische Frauen erzählen, wie sich ihre Schwangerschaft auf ihr eigenes Selbstverständnis und auch das der Gesellschaft ausgewirkt hat. Traditionelle Geschlechterrollen bilden den Hintergrund einer Reihe von Dokumentationen, so auch in "Zerbrechliche Mauer" von Ghassan Zakariya und "Frauengespräche" von Samir Barkawi, einem TV-Regisseur, der in seiner Freizeit Kurz- und Dokumentarfilme produziert. Beide Filme erzählen vom Leben der Frauen in ländlichen Gegenden Syriens. Sie behandeln Themen wie minderjährige Bräute und den generell niedrigen sozialen Stand der Frauen in solchen Gebieten. In all diesen Arbeiten spürt man ein großes Engagement und den Willen, in Syrien einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen.
Eine weitere kurze Video-Arbeit, die Beachtung verdient, ist "Der Weg" von Inas Hakki. Erzählt wird die Geschichten von Studenten, die von den besetzten Golanhöhen kommen. Wenn sie nach Damaskus zum Studium gehen, stehen ihnen Jahre der Trennung von ihren Familien bevor, da die Grenze zwischen dem von Israel besetzten Golan und Syrien geschlossen ist. Lediglich einer Gruppe religiöser Würdenträger ist das wiederholte Passieren der Grenze gestattet. Somit werden sie zum einzigen Kontaktpunkt zwischen den Studenten und ihren Familien. Ein weiterer junger Dokumentarist, Meyar Al-Roumi, der jetzt in Frankreich lebt, hat sich in mehreren Werken mit dem restriktiven Charakter des politischen und gesellschaftlichen Systems in Syrien befasst. Die Videos "Der Klub der Zukunft" und "Ein Stilles Kino" handeln vom Kampf und Scheitern des Einzelnen angesichts der übergroßen Macht des Staates.
Eine recht große Zahl der Protagonisten der experimentellen Dokumentarfilmszene in Damaskus ist im TV-Gewerbe tätig. Das ist oft die einzige Möglichkeit, ernst zu nehmende Erfahrungen im Filmgeschäft zu erlangen. Obwohl die staatlich kontrollierte Filmproduktion eine beachtliche Liste künstlerisch wertvoller Filme aufzuweisen hat, ist es für den einzelnen Regisseur dennoch ein langwieriges Unterfangen, einen eigenen Film zu produzieren. Man muss viele Jahre auf die offizielle Erlaubnis warten. Daher wählen viele den Weg über die TV-Stationen. Hierdurch erlangt das Fernsehen mit seinen Produktionsmethoden einen starken Einfluss. Der Nachteil dessen liegt in der Gefahr, Werke zu produzieren, die zu stark an kommerzielle TV-Dramen erinnern. Aus diesem Grund ist es von großer Bedeutung, dass mehr junge Künstler und Filmemacher die Chance bekommen, ins Ausland zu gehen, um dort zu studieren, meint Joud Said, ein junger Filmemacher, der gerade aus Frankreich zurückgekehrt ist, wo er fünf Jahre lang Film studiert hat. Ihm zufolge ist das künstlerische Klima in Syrien einfach zu verschlafen. Der Staat hat zu wenig Interesse daran und die Menschen sind Experimenten gegenüber zu skeptisch. In einem Land, wo eine unabhängige intellektuelle und künstlerische Suche nach Neuem alles andere als ermuntert wird, ist jedes Abweichen vom Mainstream eine mühselige Reise. Joud unterrichtet an der Abteilung für Film am Höheren Institut für Dramatische Kunst in Damaskus und muss jeden Tag feststellen, wie wenig bereit seine Studenten sind, eigenständig zu lesen und zu recherchieren.
Angesichts dieser schwierigen und entmutigenden Perspektiven, ist es umso erfreulicher zu beobachten, dass sich eine kleine Gruppe engagierter Künstler und Filmemacher gebildet hat, die entschlossen ist, sich gegen das allgemein bequeme Klima des relativen wirtschaftlichen Aufschwungs zu stellen, in dem der Massenkonsum homogener Pop-Kultur mittlerweile die Regel ist. Unter diesen jungen Künstlern sind Menschen mit Diplomen aus so verschiedenen Ländern wie Frankreich, Griechenland, Armenien und Moldawien. Diese unterschiedlichen Einflüsse gepaart mit dem Willen, allen Widerständen zu trotzen und nicht aufzugeben, geben zu Hoffnungen für die Zukunft Anlass.
Anmerkung:
Charlotte Bank
Freiberufliche Autorin, Archäologin und Kunsthistorikerin. Dozentin für arabische und islamische Kunst und Kultur und Event-Organisatorin.