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Hinterfragung von Wahrheit, Erinnerung und Geschichte im Werk der Künstlerin aus Pakistan.
Von Simone Wille | Dez 2007"Indem ich überzogene Szenarien einer Nation zeige, die sich in eine glorreiche Vergangenheit flüchtet, möchte ich die Betrachter mit Fragen über die Notwendigkeit oder das Maß, auf das wir unsere Identitäten eingrenzen, konfrontieren", erläuterte die Videokünstlerin Bani Abidi. Ihre Werke im dokumentarischen Stil scheinen auf der Geschichte zu beruhen, sind der Geschichte überall in der Welt gegenüber aber zutiefst misstrauisch.
Abidi vollzieht eine Gratwanderung. Sie artikuliert eine ambivalente Position, wenn sie sich mit einem extremen politischen Rahmen beschäftigt: zum Beispiel der Konstruktion einer nationalen Identität durch eindimensionale historische Bedeutungen, die eine verzerrte Situation heraufbeschwören, sie wie die gegenwärtigen "Wehen einer Wahabisierung der lokalen islamischen Kultur in Pakistan". [1]
In ihrer fiktionalen Foto- und Videotrilogie - Der Geist von Mohammad Bin Qasim, Der des Posierens müde Junge, Dieses Video ist nachgestellt (alle 2005) - geht es um die zentrale Figur des arabischen Generals Mohammad Bin Qasim, der im Jahr 712 Sindh eroberte, die Provinz Pakistans, deren Hauptstadt Karachi ist, und der demzufolge als erster Prototyp eines Bürgers von Pakistan gilt. Während des von Zia-ul-Haq [2] in den 1980er Jahren vorangetriebenen Prozesses einer Islamisierung wurden Schulbücher und nationalistische Romane neu geschrieben, um die Botschaft von Pakistan als einem Nationalstaat zu verbreiten, der von Anbeginn an und untrennbar mit der Geschichte des Islam verbunden sei. Als Konsequenz dessen ignorierte die in Lehrbüchern niedergeschriebene Geschichte die Zivilisationen, Kulturen und Religionen, die auf dem Gebiet des heutigen Pakistan existierten. Den Schülern enthielt man auf eine alarmierende Weise das Wissen über die reiche und tolerante Form des Islam vor, die Jahrhunderte lang auf dem Subkontinent praktiziert wurde.
In Der des Posierens überdrüssige Junge vermitteln drei Studioaufnahmen pakistanischer Jungen, die als arabische Krieger gekleidet sind, einen Eindruck davon, wie weit dieser Kult gepflegt und in das Alltagsleben hineingetragen wurde. In den 1980er Jahren kam es in den urbanen Zentren Pakistans sehr in Mode, seine Söhne als Mohammad Bin Qasim fotografieren zu lassen. Doch wir werden auch mit einem vierten Bild konfrontiert, einer Atelierszene mit einem Stuhl und arabischer Kleidung auf dem Boden, die der zeitweilige Träger am eilig verlassenen Aufnahmeort zurückließ.
Für die Rolle des Geists von Mohammad Bin Qasim erfand Abidi die Figur des Yusuf Khan. Dieser junge muslimische Konvertit aus Hyderabad posiert vor historischen und gegenwärtigen muslimischen Orten in Pakistan, gleichsam wie ein Don Quijote in arabischer Kleidung, eine Flagge tragend, der glaubt, Mohammad Bin Qasim zu sein. In einer Serie von acht Schwarzweißfotos von Yusuf Khan abstrahiert die Künstlerin die Emotionen, die der Staat fördern will, indem sie die Reiterfigur leicht über dem Boden schweben lässt. Durch Manipulation der Proportionen führen diese konstruierten Bilder Geschichte weniger auf, als dass sie diese verspotten, lächerlich machen und ablehnen.
Das Werk von Bani Abidi ist erfüllt von ihrer Sicht der langen und paradoxerweise kurzen Geschichte des Landes und erinnert die Betrachter daran, dass jedwede Rekonstruktion und Wiederbelebung der Vergangenheit voller Fallen ist. Es wäre zu einfach, die Vergangenheit zu romantisieren und durch eine rosarote Brille auf sie zurückzublicken oder historische Episoden nur so darzustellen, dass sie aktuellen politischen Zielen dienen. Trotz ihres dokumentarischen Anliegens sind die Fotografien und Videos im Schaffen von Bani Abidi offenkundig eine provokatorische Mixtur aus Fakten und Fiktion, in der die letztendliche Korruption durch digitale Manipulation uns daran erinnert, dass die andere Korruption - eine staatlich organisierte Strategie - ein riesiges Dilemma ist. Die Lösung mag in dem einen Bild des Jungen liegen, der im Wortsinne des Posierens müde ist: hier übertrumpft die Künstlerin die Geschichte und schiebt sie mit den Ellbogen beiseite, destabilisiert sie, um uns daran zu erinnern, dass wir noch immer Strategien finden können, eine verengte und beschränkte Ansammlung irrelevanter Behauptungen zu beanstanden.
Pablo de Ocampo, der Kurator der Ausstellung in Toronto, vergleicht das Werk von Abidi mit dem von Walid Raad und den Arbeiten von The Atlas Group in der Art, wie beide historische Aufzeichnungen hinterfragen. Die Ähnlichkeit dieser Auffassungen kann darin gesehen werden, wie sie das Trauma der Geschichte untersuchen. Doch während Raads Projekte fortlaufende Werkgruppen sind, handelt es sich bei Abidi um abgeschlossene Einzelprojekte. In beiden Fällen gehört das Schaffen zu einer dokumentarischen Herangehensweise, die in der aktuellen Kunstpraxis der Welt weit verbreitet ist. Die dabei gelungenen Werke beruhen auf der subtilen, aber direkten Hinterfragung der Prinzipien, nach denen etwas, irgendetwas, als "wahrheitsgemäß" legitimiert ist. Vorstellungen von Wahrheit, Erinnerung und Geschichte sowie die Kategorisierung von Menschen auf religiöser oder kultureller Basis werden laufend ins Wanken gebracht.
Anmerkungen:
Simone Wille
Kunsthistorikerin. Autorin des Buches "Modern Art in Pakistan. History, Tradition, Place", veröffentlicht 2014 von Routledge, Neu-Delhi.
The Boy Who Got Tired Of Posing
Ausstellung in der TPW Gallery
25. Okt. - 24. Nov. 2007
Toronto
Kanada