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Nicht untergehen, mit den Wellen schwingen. Die Sulu Stories der malaysischen Fotografin.
Von Gina Fairley | Okt 2006Als ich auf den Philippinen war, wurde ich ständig gefragt: "Woher kommen Sie?" "Ich bin aus Sabah", antwortete ich. "Aha, eine Filipina", war darauf die übliche Reaktion. Ich lächelte, dachte dabei jedoch... aufgewühlte Gewässer, Tauchen im tiefen Wasser, nicht untergehen, sondern mit den Wellen schwingen...
Aber ich werde mit einer wissenden Umarmung begrüßt, uns ist klar, dass wir vieles gemeinsam haben, dass wir unsere Geschichte, unser Schicksal und den Horizont teilen...
Ein Sabahan auf den Philippinen hat keine Wahl: Er muss das Thema "Sulu" ansprechen.[1]
Yee I-Lanns aus 13 Fotografien bestehende Serie "Sulu Stories" macht nur den Anfang. Die gegenwärtig auf der ersten Singapurer Biennale ausgestellten Bilder, ihre Geschichten über die Weite des Meeres, über Seenomaden und überlieferte Legenden korrespondieren mit meinen eigenen Verbindungen zum philippinischen Archipel und erfassen das zeitgenössische Konzept von sich auflösenden Grenzen. Als ich mit I-Lann über "Sulu Stories" sprach, wurde schnell klar, dass diese Fotoserie nicht nur von Sulu handelt. Sie erzählt auch eine Geschichte über Identität.
Yee I-Lann wurde 1971 in Kota Kinabalu, Sabah, Ostmalaysia als Tochter einer neuseeländischen Mutter und eines kadazan-chinesischen Vaters geboren.[2] Sie identifiziert sich stark als Sabahan. Sie wuchs mit Geschichten über Sulu auf, das Land am gegenüberliegenden Ufer ihrer Heimat. Es sind tradierte Geschichten vom Meer, die von Tauschgeschäften, Seeräuberei, muslimischer Kultur und religiösen Gleichnissen handeln. Sie vereinen Menschen und deren Geschichte über die Wasser hinweg bis hin zu den Philippinen. Es ist eine Zone der Überschneidungen, die an britische, spanische und niederländische Kolonien angrenzte; eine Zone, in der Animismus, Islam und Katholizismus aufeinander stoßen und Grenzverläufe bis heute instabil und umstritten sind. Die Sulu-Region steht als wirkungsvolle Metapher für global relevante Themen.
I-Lann nutzt digitale Verfahren und Archivbilder, um Kunstwerke zu komponieren, die sich mit aktueller Identitätspolitik beschäftigen. Wie entsteht unser Gefühl für Identität? Ich fragte I-Lann, in welcher Weise die Landschaft ihrer Heimat ihr Wesen geformt hat und warum sie in ihren "Sulu Stories" eine derart wichtige Rolle spielt.
Yee I-Lann: In den "Sulu Stories" ist jedes Bild ein Ausgangspunkt. Durch die Erforschung der Vergangenheit formt sich unsere Wahrnehmung der Gegenwart. Sabah und das Sulugebiet bilden einen Archipel. Der Horizont dominiert. Die Grenzen bestehen aus Wasser. Küstenlinien wie die Bahala-Klippen von Sandakan in "The Archipelago" oder der Berg Tumatangis in "Awn Hambuuk Sultan" sind seit Jahrtausenden geographische Fixpunkte für Bewohner und Handelsschiffe. Ich habe Sulu immer schon als einen wesentlichen Teil der Geschichte Sabahs betrachtet. Außerdem interessiert mich die regionale Geschichte. Die Souveränität Sabahs (die durch die britische Kolonialherrschaft verkompliziert wurde) wird gegenwärtig in Den Haag verhandelt und war eine wesentliche Ursache für die Konfrontasi[3] mit Indonesien und den Philippinen in den Sechzigerjahren. [4]
Gina Fairley: Identität und Landschaft scheinen sowohl in den "Sulu Stories" als auch in Ihrer "Horizon"-Serie untrennbar miteinander verknüpft zu sein.
YI: Die "Horizon"-Serie entstand 2003 in einer ganz speziellen Situation. Ich wohnte aus beruflichen Gründen in Sydney, aber meine Gedanken kreisten um Malaysia. Mahathir, der einzige malaysische Premierminister, den ich je gekannt hatte, hatte angekündigt, sich im September des Jahres zur Ruhe zu setzen. Kurz danach begab ich mich in die [australische] Wüste... Es geht um die Abwesenheit von Dingen, man ist sich dieser Leere bewusst. Genauso ist es, wenn man sich auf See befindet. Man kann keine Entfernungen einschätzen, da man außer sich selbst keine Bezugspunkte hat. Ich war es nicht gewohnt, den Horizont zu sehen oder mit ihm konfrontiert zu sein. In dieser Serie betrachtete ich die politische Landschaft Malaysias, indem ich die Monumente entfernte – im buchstäblichen und metaphorischen Sinne. Es geht im Wesentlichen darum, Malaysia einen Horizont zu geben und die Hindernisse zu erkennen, die uns den Blick verstellen. Es störte mich nicht, dass es ein australischer Horizont war – das war nicht der springende Punkt. Wir erlauben unseren Gedanken und Visionen nur selten, bis an den Horizont oder darüber hinaus zu gehen. Zu unserem Schutz werden wir in Umzäunungen, in Phrasen eingesperrt. Ich präsentierte die Serie zwei Wochen vor Mahathirs Abschied aus der Politik, sie ist eine Ode an ihn. Die Metapher "Horizont" setzt sich in "Sulu Stories" fort.
GF: Derlei Beobachtungen sagen sehr viel über nationale und ethnische Identität. Wie zeigt sich diese Entwicklung in der Serie "Sulu Stories"? In Ihrem Werk "Barangay" benutzen Sie den Manunggul-Begräbniskrug, ein philippinisches Nationalheiligtum. Das Bild des Bootes mit den beiden "Geistergestalten" hat eine ganz besondere Geschichte. Welche zeitgenössische Interpretation der Beziehung zwischen Sulu, Ostmalaysia und Palawan versuchen Sie zu konstruieren, indem Sie sich dieses Bild zu Eigen machen?
YI: Ich war von dieser antiken Kostbarkeit, dem Manunggul-Krug, fasziniert. Er ist etwa 3 000 Jahre alt und wurde auf Palawan gefunden, einer Insel an der Nordostgrenze der Sulu-Zone, die ich einst besucht habe. Ursprünglich bezeichnete der Begriff barangay ein Boot, heute bedeutet barangay "Dorf". Die Etymologie dieses Wortes illustriert exemplarisch die soziale, politische und geographische Landschaft und die Verschiebung von Zusammenhängen. Für mich sind diese Unterschiede interessante Verbindungen, die einen den Charakter der Details verstehen lassen, nicht nur die nüchternen Fakten. Es ist wie das "Kleine-Welt-Phänomen" und zeigt, wie sich eine Sache aus einer ganz anderen entwickelt.
I-Lann wuchs in dem Bewusstsein auf, dass das Meer der "Endpunkt" ist und dieses Gefühl von Distanz und gleichzeitiger Verbundenheit zeigt sich deutlich in ihren Arbeiten. Wir finden es in "Borderline", einem Bild, das von Markierungspfeilern in Zonen geteilt wird so weit das Auge reicht; im Vordergrund eine Schildkröte, deren Gegenwart auf ihr genetisches Ortsgedächtnis anspielt, da sie ungeachtet aller Grenzen zurückkehrt, um ihre Eier abzulegen.
I-Lann erklärt: "Ich stehe auf der malaysischen Insel Pulau Selingan vor der Küste Sandakans in Sabah. Vor mir sehe ich zwei weitere Inseln. Die linke heißt Pulau Bakkungan und gehört zu den Philippinen, die rechte heißt Pulau Bakkungan Kecil und gehört zu Malaysia. Die drei Inseln bilden ein Dreieck, man sagte mir, jede von ihnen sei ca. vier Kilometer von den beiden anderen entfernt. Irgendwo zwischen uns verläuft eine wässrige, formlose Grenze, aber ich kann sie weder sehen noch spüren. Wir befinden uns in einer Zone, die nicht ganz Filipino, nicht ganz malaysisch ist, aber sehr deutlich zu Sulu gehört.... 'Borderline' erforscht das Konzept einer aufgezwungenen Grenze in einer historisch grenzfreien Zone." [5]
Die Idee des "genetischen Gedächtnisses" findet sich auch in "Map", einem anderen Bild der Serie. Zwei Gestalten werden von Haarsträhnen festgehalten, so dass der Wind sie nicht wegtragen kann. Die Haare bilden eine genetische Verbindung, sie definieren eine Landkarte, die auf die Haut eines Mannes gemalt ist. Obwohl Mann und Frau voneinander abgewandt sind, was ihre Distanz noch vergrößert, sind ihre "Identitäten" miteinander verwoben. Meer und Horizont bieten die gleiche Definition von Heimat – eine weite, vieldeutige Landschaft, die das Zentrum des Werkes bildet.
Es sind wunderbar einfühlsame und lyrische Bilder. I-Lann hat die historische Situation eingefangen und gleichzeitig vermieden, in politische Rhetorik zu verfallen.
Anmerkungen:
Gina Fairley
Freischaffende Publizistin, pendelt zwischen Australien und auf den Philippinen. Sie lebte 2005 in Malaysia.
Sulu Stories entstand im Rahmen des Projekts artconneXions (2005), einer Initiative des Goethe-Instituts Südostasien.
Sulu Stories. 2005
13 Digitaldrucke