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Künstler des modernen Nahen Ostens und kalligraphische Traditionen, British Museum.
Von Dustin Ericksen | Aug 2006Keine Ausstellung könnte derzeit aktueller sein als eine zeitgenössischer Kunst aus dem Nahen Osten. Es spielt keine Rolle, was man an die Wände hängt, man kann nichts falsch machen; das Thema ist scheinbar grundsätzlich informativ und unterhaltsam. Aber manchmal reichen gute Vorsätze nicht aus.
"Word into Art" im British Museum ist eine locker konzipierte Einführung in solche Werke von Künstlerinnen und Künstlern aus dem Nahen Osten, die mit Texten arbeiten oder einen Bezug dazu haben. Die Ausstellung besteht größtenteils aus Neuzugängen zur ständigen Sammlung des Museums. Angeblich illustrieren die Arbeiten die große Bedeutung der kalligraphischen Tradition für die bildende Kunst der Region. Im ersten Raum werden die Besucher mit einer Wand begrüßt, die mit den Porträtfotografien fast aller Mitwirkenden übersät ist. Die folgenden vier Räume bilden den Hauptteil der Schau, der sich thematisch in vier Kategorien gliedert: Eine heilige Schrift; Literatur und Kunst; Blick auf die Welt; Identität, Geschichte und Politik. Außerdem sind im Großen Saal des British Museum Skulpturen von Parviz Tanavoli sowie eine riesige bunte Fiberglassäule zu sehen, die Dia al Azzawi speziell für diesen Anlass fertigte.
Der Wandtext im ersten Abschnitt "Eine heilige Schrift" beschreibt Fou’ad Kouichi Hondas kunsthandwerkliche Meisterleistung "Three Calligraphies" (Drei Kalligraphien) als einen "in Spiegelschrift (...), einer besonders im ottomanischen Reich populären Tradition" verfassten Auszug aus dem Koran. Das Werk kündet von der Intention der Kuratorin, eine Kunstform hervorzuheben, die nur sehr wenig mit zeitgenössischer oder moderner Kunst zu tun hat. Die Ankäufe zeitgenössischer Kunst aus dem Nahen Osten durch das British Museum begannen Mitte der 1980er Jahre. Zugunsten einer eher auf handwerkliche Aspekte ausgerichteten Kategorisierung, die sich speziell auf religiöse Texte konzentriert, verzichtete man bei den Sammlungsaktivitäten auf "globale, gewöhnliche Formen zeitgenössischer Kunst" [1]. Die gegenwärtige Ausstellung ist zum größten Teil Ausdruck dieser Haltung.
"Word into Art" gewährt uns Einblicke in ein beeindruckendes Konvolut von Kalligraphien und textbezogenen Arbeiten von mehr als 60 Künstlerinnen und Künstlern. Selbst denjenigen, die sich nur am Rande für bildende Kunst des Nahen Ostens und seiner Diaspora interessieren, eröffnet sich eine Fülle an Einzelwerken, wie sie nur selten in London zu sehen ist. Insbesondere die Arbeiten der wortorientierten arabischen Hurufiyya- und der fast zeitgleich existierenden iranischen Saqqakhaneh-Bewegung sind historische Belege für die synthetisierende Arbeitsweise bildender Künstlerinnen und Künstler der Region. Die Vorstellung von einer "künstlerischen Bewegung" impliziert bereits, dass deren Angehörige sich mit den größeren globalen Zusammenhängen befassen, in denen sie arbeiten, auch wenn die eigentliche Absicht, wie im Falle von Saqqakhaneh, darin besteht, das eigene nationale Erbe widerzuspiegeln.
Leider wird die im Westen existierende Kategorie der grafischen Gestaltung und ihre Beziehung zur kalligraphischen Tradition des Islam an keiner Stelle thematisiert. Hussein Madis "Alphabet" (1994), beispielsweise, ist ein Raster aus 30 Quadraten mit arabischen Lettern, die in unterschiedlichen Kreisanordnungen wiederholt werden. Es ist eine typographische Übung. Da das Publikum wohl kaum mit dem Kontext der Entstehung einer solchen Arbeit vertraut ist, hätte es Aufgabe der Veranstalter sein sollen, zu erklären, warum ein solches Werk unter Umständen über das Thema hinausgeht oder warum diese möglicherweise kulturspezifische Kategorie unnötig ist.
Obwohl im Katalog der Begriff "Avantgarde" verwendet wird, verträgt sich der aus der Sammlung des British Museum bestehende Teil dieser Schau im Großen und Ganzen nicht mit der erklärten Absicht, die zeitgenössische Kunst des Nahen Ostens zu repräsentieren. Wie Ausstellungen an diversen Orten der Welt belegt haben, gibt es im Nahen Osten tatsächlich eine ganze Menge Kunst, die sich in einem globalen Dialog engagiert, ohne dabei der unglücklichen Charakterisierung als "gewöhnlich" zu entsprechen. In der jetzigen Londoner Ausstellung bestätigen die Arbeiten von Shirin Neshat, Shadi Ghadirian, Walid Raad, Chant Avedissian, Shakir Hassan al-Said und Sabah Naim die Existenz einer solchen zeitgenössischen Kunstproduktion. Tatsächlich nutzen die interessanteren Kunstwerke, wozu jene von Walid Raad und Shirin Neshat gehören, die arabische Schrift als Kommunikationsmittel und haben höchstens einen marginalen Bezug zur Kalligraphie. Bezeichnenderweise stammen die meisten dieser Arbeiten nicht aus der Sammlung des Museums. Andererseits postuliert die Ausstellung allein schon durch Quantität eine Vorrangstellung von Künstlerinnen und Künstlern, deren Schaffen von Jahrtausende alten Traditionen inspiriert ist und die hinsichtlich der Inhalte und Materialien nur wenig von ihren Vorbildern abweichen. Als Folge davon sind die Veranstalter auf die Ergänzung durch Leihgaben angewiesen, die einen zeitgenössischen Zusammenhang herstellen.
Eine Ausstellung ähnlicher Ausrichtung könnte aus fast jeder Region der Welt zusammengestellt werden, die über eine kalligraphische Tradition verfügt. Wollte man beispielsweise eine über chinesische Kultur zeigen, so gäbe es zahlreiche zeitgenössische Kalligraphen Chinas, in deren Arbeiten moderne westliche Methoden Anwendung finden. Auch könnte man die Geschichte chinesischer Politik, Verwaltung, Poetik und Religion aufzeigen, die Kunstformen des Landes geprägt haben. Ähnlich wäre dies für die japanische, indische und sogar amerikanische Kultur möglich. Durch die Bevorzugung der kalligraphischen Tradition zeigt die Kuratorin, dass sie dieses Handwerk für wichtiger und wertvoller erachtet als andere, im Katalog "gewöhnlich" genannte Kunstformen. Wäre aber bei einer vergleichbar strukturierten Ausstellung von Kunst Europas bzw. speziell auf Kalligraphie bezogener europäischer Kunst das religiöse Element ebenso stark vertreten? Tatsächlich setzen fundamentalistisch-christliche Künstlerinnen und Künstler der USA häufig kalligraphische Pinselstriche ein, um ihre überaus heiligen Phrasen und Plattitüden zu verewigen. Trotzdem werden Arbeiten dieser möglicherweise sogar hochtalentierten Menschen nicht plötzlich zu zeitgenössischer oder avantgardistischer Kunst, nur weil man sie mit Werken Barbara Krugers oder Christopher Wools in einen Topf wirft. Die Ausstellung "Word into Art" beweist zweifellos, dass im Nahen Osten und seiner Diaspora religiöse und säkuläre Kunsttraditionen koexistieren, aber sie vermeidet es, den Bedeutungsunterschied zwischen beiden anzusprechen. Die Werke beider Gruppen von Künstlern stehen in keinerlei Zusammenhang.
Im Rahmen der eng begrenzten Thematik ist in "Word into Art" der Lernaspekt gut ausgearbeitet, und der ästhetische Wert vieler Arbeiten ist bemerkenswert. Allerdings definieren die Ausstellung und die Sammlung, aus der die meisten Werke stammen, zeitgenössische und moderne Kunstformen aus dem Nahen Osten aus europäischer Sicht. Mit einer derartigen Einengung erweist man sowohl den Künstlerinnen und Künstlern, die aus der Region stammen, als auch dem Publikum einen schlechten Dienst.
Anmerkung:
Dustin Ericksen
Bildender Künstler. Lebt in London, Vereinigtes Königreich.
Word into Art
Künstler des modernen Nahen Ostens
18. Mai - 3. September 2006
Kuratorin: Venetia Porter