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Kunstevent für besseres Umweltbewusstsein, veranstaltet von La Source du Lion, Casablanca.
Von Helen Adkins | Aug 2006Organisation und Geschichte
Das jährlich stattfindende Künstlertreffen "Passerelle Artistique" wird von der Initiative "Source du Lion" (Löwenquell) organisiert, die 1995 von den Künstlern Hassan Darsi, Mohamed Fariji und Rachid L’Moudenne gegründet wurde. Sie ist nach einem Stadtteil Casablancas (Aïn Sebâa) benannt, in dem Hassan Darsi direkt nach Abschluss der Kunsthochschule für zwei Jahre mit anderen Künstlern arbeitete. Die Initiative, deren Motivation darin liegt, in einer urbanen Realität lebende Menschen für soziale, städtische und politische Themen zu sensibilisieren, widmet seit 2001 die "Passerelle"-Treffen dem Umweltbewusstsein. Ziel der künstlerischen Intervention ist es, den katastrophal verwahrlosten Hermitage Park in Casablanca zu säubern und wieder herzurichten. Dieser einst wunderschöne Stadtpark in Marokko, zwischen 1917 und 1927 angelegt, war in einem erbärmlichen Zustand: Ein Drittel seiner Fläche von 17 Hektar wurde als illegale Müllkippe genutzt. Die ehemalige Gartenanlage in einem dicht besiedelten Teil der Stadt war außerdem zum Terrain für Vergewaltigungen, Diebstähle und illegale Geschäfte geworden. Anfänglich bestand das Projekt darin, ein detailliertes Modell des Parks (im Maßstab 1:100) zu bauen und so den gegenwärtigen Zustand des Verfalls auf drastische Weise zu veranschaulichen. Als "Das Modellprojekt" im Mai 2003 schließlich fertig war, nahm Mohamed Drief, der Wali von Casblanca, an dessen öffentlicher Präsentation im Garten der Villa des Arts im Stadtzentrum teil; drei Tage später hatte man den Hermitage Park bereits von 2.000 Lastwagenladungen Abfall befreit!
Im Juli 2002 veröffentlichte Hassan Darsi folgende "Erklärung":
"Das Modellprojekt zeigt nicht einfach eine verkleinerte Abbildung.
Es ist ein Prototyp der Verantwortungslosigkeit.
Das Modellprojekt verweist nicht auf die Vergangenheit und nicht auf die Zukunft.
Es verweist auf den heruntergekommenen Zustand der Gegenwart.
Das Modellprojekt erzeugt keine Willenskraft.
Es beweist das Fehlen von Willenskraft.
Das Modellprojekt ist eine kollektive Umsetzung.
Ebenso ist seine Nicht-Umsetzung gleichermaßen kollektiv."
Aufgrund des Erfolgs des "Modellprojekts" und der offenkundigen Notwendigkeit weiter reichender Maßnahmen beschäftigte sich "Passerelle Artistique" 2004 und 2006 zwei weitere Male mit dem Hermitage Park. Beide Male fungierte Florence Renault-Darsi als Kuratorin.
Passerelle Artistique V – Vom Park in die Stadt und zurück
In diesem Jahr konzentrierte man sich darauf, das Projekt über seine lokalen Grenzen hinaus bekannt zu machen – sowohl künstlerisch als auch geographisch –, um dem Hermitage Park eine neue Reputation zu verschaffen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Anlage wiederherzustellen. Dies wurde durch die Öffnung des Parks in Richtung Stadt mittels Kunstwerken und Performances außerhalb des Parkgeländes symbolisiert, im Zusammenspiel mit Projekten innerhalb des Parks. Eine Lehr- und Forschungsveranstaltung stellte die Geschichte des Projekts vor und machte das endgültige Renovierungsprogramm publik. Die Instandsetzung wird von der Landschaftsgartenbaufirma Atelier Vert in Zusammenarbeit mit Source du Lion realisiert. Dabei wurden viele künstlerische Ideen integriert, die mit den Jahren aufkamen oder in Workshops erarbeitet wurden. Dazu zählen ein Sportplatz im Baukastensystem und Zebrastreifen von Kamiel Vershueren und Lauran Schijvens (Rotterdam), der "Park der Farben" von Michel Moffarts, das Hermitage-Geogramm von Paul Gonze (Brüssel), das Projekt "Gärten der Welt" von Hassan Darsi (unter der Mitwirkung von Studentinnen und Studenten der Willem-de-Kooning-Akademie in Rotterdam), die künstlerischen Gartenworkshops und der von Source du Lion (Hassan Darsi und Florence Renault) veranstaltete Kinderspiel-Wettbewerb.
Ein Großteil der Arbeiten, die in einem mehrmonatigen intensiven E-Mail-Austauschs entwickelt wurden, bestand aus öffentlichen Aktionen und Performances. In diesem Jahr fand "Passerelle Artistique" großen Anklang bei der Bevölkerung, das anfängliche Misstrauen ist inzwischen voll und ganz verflogen. Auf kommunaler, nationaler und internationaler Ebene gilt die Hermitage-Park-Initiative als höchst interessantes Pilotprojekt. Im Folgenden gebe ich eine kurze Einführung in einige der künstlerischen Arbeiten.
Gabi Farage entwarf eine mobile Straßentribüne zur öffentlichen Diskussion von Fragen zum Hermitage Park, und Younès Rahmoun fertigte eine Reihe von handgezeichneten und am Computer vervielfältigten Broschüren zu den Attraktionen des Parks (Vögel, Bäume, Spielplätze usw.). Im Rahmen seiner Forschungen über das "menschliche Antlitz des Parks" beklebte Hassan Darsi die 327 Meter lange Mauer, die den Park von der El-Bidaoui-Eisenbahnlinie trennt, mit einer Auswahl von 78 Fotografien von Menschen, die er im Lauf eines Tages im Park traf. Die Arbeit wurde durch ein Flugblatt mit detaillierten Informationen über die Anreise zum Park abgerundet, das an Bahnhöfen und Taxiständen verteilt wurde.
Mit seinem Triptychon "Rekonstruktion von San Simon" schuf Mahmoud Khaled ein illusionistisches dreidimensionales Gartengelände einschließlich einer Matratze zum Ausruhen. Zu den Mitmachprojekten unmittelbar vor den Toren des Parks auf der Rue Nador gehören Hasnâa Sabirs Wahlurne für die Bewohner des Stadtviertels, in die sie ihre Gedanken und Anregungen einwerfen können, sowie Abdelwahid Nouras Performance am Haupteingang: Der Künstler schlingt Nylonfäden, die aus den Haustüren der Straße kommen, um sein Gesicht und schafft so eine unsichtbare Verbindung zwischen dem Park und den Menschen in dessen Umgebung.
Im "Park der Arabischen Liga" inszenierte Mohamed El Baz mit zumeist jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine schweigende Manifestation des schlichten Wunsches, existieren – sein – zu dürfen. Innerhalb des Parks lud Michel Moffarts dazu ein, sich auf einer zweisitzigen, orangefarbenen Holzplattform mit zugehörigem Tisch "bei einem Glas Orangensaft zu unterhalten". Ebenfalls im Park fand Christine Quoirauds "Walk and Dance" statt, an dem die Kinder der Workshops von 2006 teilnahmen.
Und schließlich drehten Wanda Hoescht und Rym Benyahia einen Dokumentarfilm über all die verschiedenen Facetten der diesjährigen "Passerelle Artistique".
Helen Adkins
Freiberufliche Kunsthistorikerin und Ausstellungskuratorin, lebt in Berlin, Deutschland.
Passerelle Artistique V
26. Mai - 5. Juni 2006
Casablanca, Marokko
Konzept und Realisierung:
Hassan Darsi, Florence Renault-Darsi
Kuratorin: Florence Renault-Darsi
Organisation: Source du Lion
(Hassan Darsi, Mohamed Fariji, Florence Renault-Darsi, Marion Renoud-Grappin)
Assistenten:
Tarek Fayed, Hicham Ramch, Abderrahim Chawky, Saïd Rami
Publikation:
Martine Derain (Marseille), Editions Le Fennec, "Echo Hermitage", erscheint im November 2006