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Über das Schaffen des aus Syrien stammenden Künstlers in seinen frühen Berliner Jahren.
Von Matthias Flügge | Sep 2006Es gibt ein Bild von Marwan, in dem sind wie in einer Matrix alle Bilder enthalten, die er seither gemacht hat. Es hängt in einer wunderbaren Ausstellung, die die Berlinische Galerie dem Maler, dessen Werk sie seit Jahren vorbildlich pflegt, eingerichtet hat: "Khaddousch oder das unbekannte Frühwerk". Das Bild hat einen trefflichen Titel, es heißt "Ohne Titel" und stammt von 1964, aus der Zeit also, als Marwan seine Studien in Berlin beendet hatte und dort in engem Kontakt zu den Gefährten seiner jungen, aufbrechenden Malergeneration stand, deren existentielles Ausdruckswollen und pandämonischer furor teutonicus auf den poetisch gestimmten arabischen Maler eine ebenso merkwürdige wie nachhaltige Strahlung abgab. Marwan hatte bei Hann Trier an der Hochschule für Bildende Künste, im Zentrum des deutschen Informel, studiert. Und dann begab er sich mit seinem eigenen Werk ins Zentrum einer neuen Figuration, die die expressiv-konvulsivische Schönheit wiederentdeckte und die Marwan auf seine eigene, die westliche mit der heimatlich orientalischen Kultur verbindende Weise prägte. Dieses Zentrum hat er bis heute nicht verlassen; in den Köpfen und Porträts, den die Bildformate oft sprengenden Gesichtslandschaften, ist alles das aufgehoben. Auch für den, der Marwans Werk zu kennen glaubt, ist diese Ausstellung eine Entdeckung. Sie zeigt neben Gemälden vor allem Zeichnungen und Aquarelle: Selbstbilder, Menschenbilder, einige Landschaften und freie Kompositionen, die die Sujets in magisch traumgleiche Verbindungen bringen.
Marwan, der Syrer im politisch wie klimatisch kalten Berlin, der literarisch, poetisch und poetologisch gebildete Farbenzauberer, der besser als seine Kollegen das südliche Licht kennt, den Stoff, aus dem noch immer die meisten Schönheiten der Welt gewebt sind, entdeckte in einem Bild ohne Titel, gemalt mit Eitempera und Ölfarben im Jahre 1964, die Dunkelheit und den Zwiespalt und wohl auch das eigene künstlerische Ziel.
In den figürlichen Bildern aus Marwans früher Zeit in Berlin ist diese Melancholie gelebter wie geträumter Augenblicke allgegenwärtig. Auch und gerade dann, wenn sie Berührungen zeigen, zarte oder flüchtig tastende, sind es eher Abschiede als Ankünfte. Der Vitalismus seiner Generation ist ihm fremd geblieben, sein Begriff von Einsamkeit war immer ein einverständlicher. Sein Ich ist sein Ich und ist nicht ein anderer, wie Rimbaud es empfand, der mit diesem Satz die Kernfrage der Moderne nach der Identität des Subjekts aufwarf.
Das erwähnte Bild ohne Titel zeigt zwei Wesen in einem metaphysischen Raum. Man könnte sie deuten als in schwarzer Nacht dahingelagerte Tiere, freundlich ruhend das eine, fletschend bedrohlich das andere, aber das bringt uns nicht weiter. Auch nicht der Hinweis auf die kunstgeschichtliche Verankerung der malerischen Sensationen rohen Fleisches, jener phosphoreszierenden Schächterinterieurs, die wir von Rembrandt kennen und von Soutine – Maler des Leuchtens auch sie. Eher ist es – Marwan selbst hat darauf hingewiesen – ein Spiegelungsphänomen über eine horizontale Achse, die aber auch im Wortsinn ein Horizont ist, vor dem etwas liegt und hinter dem auch etwas liegt, das wir nicht ahnen könnten, gäbe es den Maler nicht und nicht sein Bild. Eines jener wunderbaren, knappen, schmerzlichen Gedichte, die Giuseppe Ungaretti in seiner frühen Zeit schrieb, könnte einen Schlüssel geben. Es heißt "Zwietracht": "Mit meinem Wolfshunger / ziehe ich / meinen Schafskörper ein. / Ich bin / wie das elende Schifflein / und wie das trunkene Meer". Ungaretti, der seine Kindheit in Ägypten verbrachte, war der Dichter des Autobiographischen, Marwan ist dessen Maler. Das schreibe ich nicht nur, weil man die lange Kette von Köpfen, Gesichtslandschaften mit und ohne spiegelnde und enthüllende Horizonte als Arbeit an dem einen, nie erreichbaren Selbstporträt deuten könnte, sondern vor allem, weil Marwans Thema das Einssein in der Fremde ist. Und der eigene Ort darin: Schiff und Meer. Die lange Fremde einer anderen Kultur, die mit den Ereignissen der jüngsten Zeit noch fremder geworden ist. Deren malerische Metapher ist die Dunkelheit, zu der er sich vor über 40 Jahren auf die Reise begeben hat, wie einst Kapitän Marlowe ins Herz der Finsternis. Doch Marwans Dunkelheit ist keine Finsternis. Erst als Marwan die Dunkelheit gefunden hatte, konnte das Licht im Bilde selbst erscheinen, aus seiner innersten Tiefe heraus Körperlichkeit und Dimension entwickeln. Und so birgt Marwans Dunkelheit nicht das Grauen des Marlowe, wohl aber die Essenz von dessen Erfahrung: etwas lebenslang Prägendes. Die Einsicht, die Joseph Conrad seiner Figur in den Mund legt, scheinen auch die sehnsüchtigen Münder in Marwans Köpfen aussprechen zu wollen: "Wir leben, wie wir träumen. Allein."
Matthias Flügge
Freischaffender Kunsthistoriker, Autor und Kurator; lebt in Berlin.
Marwan
Khaddousch oder das unbekannte Frühwerk
8. September 2006 - 7. Januar 2007