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Videoanimation \"Der purpurne künstliche Wald\" von Amal Kenawy (Ägypten), gezeigt in \"Nafas\".
Von Simon Njami | Mai 2006Bevor ich über Amal Kenawys Arbeit spreche, gestatten Sie mir einige Anmerkungen zu ihrer Person. Mir scheint nämlich, dass ein wahres Kunstwerk immer in der Persönlichkeit seines Schöpfers verwurzelt ist. Auch wenn es über ein Eigenleben verfügt, ist seine Interpretation trotzdem mit dem Künstler verknüpft, der es geschaffen hat. Amal Kenawy ist eine doppelbödige Persönlichkeit. Doppelbödig in dem Sinne, dass – im Gegensatz zu anderen – das, was sie zu sein vorgibt, nicht notwendigerweise dem entspricht, was sie tatsächlich ist. Daraus resultiert das leichte Unbehagen, das ihren Arbeiten immer innewohnt. Sie sind von einer subtilen Spannung durchzogen, immer in der Schwebe zwischen der Verinnerlichung eines akzeptierten Schmerzes und dem Verlangen, in ziel- und namenloser Wut aufzuheulen. Eine Zeit lang hatte sie sich entschlossen, Theaterregisseurin und Schauspielerin in einem zu sein, wobei sie Körper und Gesicht als ein Instrument einsetzte, das man durchbringen musste und mit dem man noch eine Rechnung zu begleichen hatte. In The Purple Artificial Forest (Der purpurne künstliche Wald) scheint diese Balance gestört. Die Künstlerin scheint sich entschlossen zu haben, eine neue Schaffensphase zu beginnen. Man muss hinzufügen, dass sie jetzt ihre Werke allein signiert, nachdem zuvor neben ihrem Namen auch immer der ihres Bruders zu finden war. Liegt es an dieser Trennung, nach der jeder von beiden sich seine eigene Welt allein schaffen musste? Hat dieses Erlebnis sie in stürmische Verwirrung gestürzt, wodurch sich schließlich ihr grenzenloses inneres Chaos schlagartig freisetzte? Keine Kontrolle, keine Beherrschung, der schiere Wahnsinn einer zerfallenden Welt, unerbittlicher Verwesung im Mutterleib, einer Welt, von der keine einzige Blüte erhalten bleiben wird? Wir könnten das Gefühl haben, wir seien in einer völlig enthemmten Nachrichtensendung unvermittelt mit Bildern vom Irrsinn der Welt konfrontiert. Aber das ist keineswegs der Fall. Der Film, den wir sehen, ist von grausamer Intimität. Wie die Beobachtung einer schmerzhaften, tödlichen Krankheit unter dem Mikroskop. Die Frau ist da, gleichzeitig machtlos, wunderschön und traurig. Das Kind ist grausam und egoistisch. Die Tiere, der Tod. Und diese qualvolle Negierung des Lebens. Eine alles verschlingende Zerstörungsmaschine. Mit ihren unbeschreiblichen Geschöpfen. Und der Rhythmus. Alles hier ist eine Sache des Rhythmus. Er führt uns und lockt uns an. Er misst die Zeit jedes Bildes und erzeugt dieses ständige Unbehagen. Als hätte man uns mehr gegeben, als wir je verkraften können. Unerbittlich. Wie der Stiefelklang einer marschierenden Armee. Wir alle müssen es erdulden. Wie in einer kafkaesken Erzählung fühlen wir uns von der Macht des Unentrinnbaren erbarmungslos erstickt. Kein Entkommen. Ist es ein Selbstporträt der Künstlerin als Kameliendame? Nein. Es gibt hier keinen Narzissmus. Keinen Egoismus, der uns davon abhielte, uns auf die Gewalt dieses totalitären und alles verzehrenden Universums einzulassen. Und das alles überziehende Purpur, wie ein Jungbrunnen, eine reinigende Taufe, die uns eine zweite Chance gibt. Aber dieses Purpur ist nicht die Farbe der Erlösung, sondern vielmehr des Blutes, dass durch unsere Fehler vergossen wurde. Das Urteil ist gefällt. Berufung kann nicht eingelegt werden. Wir sind überführt.
Simon Njami
Freischaffender Kurator und Kunstkritiker aus Kamerun, lebt in Paris, Frankreich. Mitbegründer und Chefredakteur von Revue Noire.
Der purpurne künstliche Wald. 2005
Videoanimation, 8:50 min