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Videoinstallation von Hayati Mokhtar & Dain-Iskandar Said bei der Sydney Biennale 2006.
Von Gina Fairley | Aug 2006In unserer modernen Welt werden herkömmliche Grenzen zunehmend obsolet. Romantische Vorstellungen von Landschaft werden durch Landerschließung und Bebauung erodiert; als Grenzgänger navigieren wir in den Zwischenzonen, in einer den modernen Kontaktformen angemessenen Sprache – kulturell, physisch und in unserer Vorstellung. Charles Merewether machte 2006 diese Kontaktzone zum Thema seiner Sydney Biennale. Die malaysischen Künstler Hayati Mokhtar und Dain-Iskandar Said erkunden sie als "intervisible lines" (gegenseitig sichtbare Linien), ein Begriff aus dem Vermessungswesen und Titel ihres auf Mereweathers Biennale gezeigten Films.
"In der Bahasa-Melayu-Sprache gibt es keine treffende Übersetzung für das Wort 'Landschaft' ... die Landschaftstradition ist ein westliches Konzept. Uns hier ist sie fremd. Wörtlich übersetzt bedeutet 'tanah' Land und 'ayer' Wasser. Setzt man diese zwei Worte zusammen, so erhält man 'Heimat' oder 'Heimatland'. Im Film betrachten wir 'Landschaft' als abstraktes Konzept eines Ortes." Mokhtar & Said [1]
Wie ein kommerzieller Regisseur und darstellender Künstler dazu kam, auf einer abgelegenen Sandbank – einem verwitternden Gelände zwischen den Ölreserven von Terengganu und dem Inseltourismus entlang der malaysischen Ostküste – einen Film zu drehen, zieht sich als roter Faden durch das Werk. Hayati und Dain kannten beide diese Landschaft aus ihrer Kindheit. Sie weckt in ihnen ein Gefühl des Dazugehörens/ Nichtdazugehörens zu diesem Teil Malaysias; Erinnerungsfragmente, die eine Art von Unruhe erzeugen. Der Film zeigt eine Geschichte von Entwurzelung, veränderten Realitäten und Globalisierung, wie sie in der zeitgenössischen Kunst oft erzählt wird, und Mereweathers Biennale nahm sie leidenschaftlich auf. Natürlich ist sie die perfekte Metapher für eine sich rasch verändernde Umwelt in Asien, aber auf regionaler Ebene ist die Geschichte für Malaysia viel komplizierter: Wie legt man in einer erodierenden Welt, die wild entschlossen zu Landerschließung und Bebauung ist und die Tradition nicht würdigt, die Fundamente für "Landschaft"?
Das Verschwimmen von Genregrenzen
Das Konzept für "Near Intervisible Lines" entstand schon weit vor der Sydney Biennale und wurde zwei Jahre lang zum gemeinsamen Ausdruck für einen Ort, an dem ein Gemeinwesen existiert.
"... [Es gibt eine Art von] symbiotischer Beziehung zwischen Menschen und ihrer Umwelt. Wir bemerken, dass wir beim Filmen eines Landes auch die Menschen innerhalb der Landschaft auf Film bannen ... diese beiden Elemente lassen sich nicht voneinander trennen. Wir sind uns des Akts des 'Schauens' in unserem Film sehr bewusst – wir als Filmemacher schauen, die Figuren der Handlung schauen heraus, das Publikum schaut hinein." Mokhtar & Said
Die Figuren sind real – Pak Ing, Pak Supa, Pak Ta, Wai Jin, Mak Yong Mara – ihre Identität wird nicht verschleiert, romantisiert oder exotisiert. Sie werden als sie selbst abgebildet, als Teil der Landschaft, wie ihre Musik und ihre Geschichten. Sie sind nicht passiv oder exotisch-unterwürfig. Sie nehmen an einem Prozess teil, der auf ungewöhnliche Weise ihre traditionelle Rolle in ethnographischen Dokumentationen mit ihrer Rolle als "Kunstwerk" bei der Biennale kontrastiert. Genregrenzen verschwimmen hier.
Landschaft als Überschneidung
Für das Publikum ist "Near Intervisible Lines" eine körperliche Erfahrung. Das zimmergroße Panorama aus mehreren Leinwänden versetzt den Zuschauer in eine ausnehmend schöne aber entschieden zwiespältige Umgebung. Es vermittelt ein Gefühl von Distanz, Nostalgie und Romantik, ist dabei jedoch auf seltsame Weise beruhigend und rätselhaft in seiner Schönheit. Der Aufbau besteht aus vier Leinwänden. Drei davon scheinen statisch und zeigen den Horizont – einen minimalistischen blauen Streifen auf weißem Untergrund, der wie ein in der Hitze schmelzendes Rothko-Bild glitzert. Auf der vierten schwenkt die Kamera pausenlos durch eine abstrakte Geschichte, die in der bei diesem Küstenvolk üblichen, mündlichen Tradition des Geschichtenerzählens verwurzelt ist. Der Film beruht auf Überschneidungen.
"Near Intervisible Lines" ist langsam, aber nicht träge. Die Figuren bewegen sich in Echtzeit von einer Leinwand zur nächsten. Wir bewegen uns mit ihnen durch die Landschaft, über die sonnengebleichte Sandbank; ihre Stimmen werden Teil dieser Landschaft, und ihre Geschichten Teil der Realität. Landschaft ist mehr als Geographie, sie verändert uns, während wir sie verändern. Die Zeit verändert eine Landschaft in physischer, kultureller und sozialer Hinsicht, und diese langsame Entwicklung (der Film dauert eine knappe Stunde) ist das Überzeugende an diesem Film. Das Tempo erlaubt es dem Publikum, die Komplexität der Umgebung körperlich zu erleben, und zwar in würdevoller und kultivierter Form.
"... Viele unserer Panoramen sind so statisch, dass sie fast Gemälde sein könnten... Sie folgen eher der Tradition von Landschaftsbildern als der von Videokunst." Mokhtar & Said
Im Biennale-Kontext, wo Sensation der Didaktik vorgezogen wird und Videoinstallationen und neue Mediengenres als zeitgemäße, moderne Kunstformen dominieren, hat die professionelle High-Tech-Machart dieses Films eine Aktualität, die im krassen Gegensatz zu dessen low-tech Kampung-Drehort steht.[2] Dieser Widerspruch spiegelt sich in der Anwesenheit der Landvermesser im Film und in den weniger gelungenen, schnell geschnittenen Bildern eines Autos in der Landschaft wider. Die Schnitttechniken werden eingesetzt, um das Publikum aus der romantischen Vorstellung von Landschaft herauszureißen und es mit der aktuellen Wirklichkeit der malaysischen Landschaft zu konfrontieren.
Gestaltung der Landschaft
Wie Konturlinien auf einer Landkarte, die sich nie kreuzen, erzählt "Near Intervisible Lines" verschiedene Geschichten, Historie, in Gegenwart und Zukunft. Wir erleben eine Landschaft, aber es gibt eine weitere hinter ihr und noch eine dritte, die die erste überlagert. Der Film ist eine Art Abbild der Gesellschaft mittels Interaktion und sensorischer Wahrnehmungen wie z.B. der Sphärenklänge des Meeres oder des Liedes des Mak Yong [3], die an diesem Ort tief verwurzelt sind – zwei Schlüsselelemente, die Hayati und Dain auf großartige Weise einsetzen. Während diese Klänge im Zusammenwirken mit dem gleich bleibenden Horizont des Drei-Leinwand-Panoramas – einer konstanten Größe, die alles auf den Boden der Realität zurückholt – eine Geschichte erzählen, ist gleichzeitig die zerbrechliche Landschaft bedroht, durch ein Wortspiel, durch den von einem benachbarten Ausstellungsstück herüberdringenden Klang. Keine Landschaft ist rein in ihrer romantischen Vision.
In unserer modernen, schnelllebigen Welt, in der es nicht erlaubt ist, sich an der Vergangenheit festzuhalten, einer Welt, in der Grenzen Orte der Auseinandersetzung sind und Cybertechnologie alles in einen größeren Zusammenhang stellt, ist es unmöglich, die Implikationen von "Kontakt" außer Acht zu lassen. Der Film macht deutlich, dass Landschaft selbst die lakonische Realitätsprüfung ist.
"Near Intervisible Lines" ist ein eleganter Film. Hayatis und Dains im Bild festgehaltene Abstraktionen bewegen sich zwischen Subjektivität und einer globalen Neutralität. Eine Bauch-und-Kopf-Landschaft abstrahiert fortwährend Erinnerungen und Konstrukte des "Ortes" durch die Einbeziehung des Zuschauers. Ebenso wie die Gezeiten ist sie ständig im Fluss.
Anmerkungen:
Gina Fairley
Freischaffende Publizistin, pendelt zwischen Australien und auf den Philippinen. Sie lebte 2005 in Malaysia.
Near Intervisible Lines. 2006
Vierkanalprojektion, HDV (hochauflösendes Video), 60 Min.
Gezeigt bei der Sydney Biennale 2006