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\"Terroristen\"-Serie des iranischen Künstlers; gegen Klischees, für das Recht auf Selbstdarstellung.
Von Mirjam Shatanawi | Nov 2006"Diese Serie ist das Resultat zweijähriger Überlegungen, Forschungen und Reisen. Sie spiegelt eine Welt wider, in der man gedankenlos mit dem Wort ‚Terrorist‘ um sich wirft. Was ist ein Terrorist? Wie wird jemand zum Terroristen und wer definiert ‚Terrorismus‘ im internationalen Kontext? Der Westen nimmt sich aufgrund seiner persönlichen Definition von Terrorismus das Recht, ein Land einzunehmen, während man ihn im Nahen Osten offen beschuldigt, selbst ein Meister des Terrors zu sein. Um diese Fragen zu ergründen, porträtierte ich die Menschen, denen ich am meisten vertraue: meine Mutter und meine Schwestern." Mit diesem Worten stellt Khosrow Hassanzadeh sein jüngstes Werk "Terrorist" (2004) vor. In der vierteiligen Serie porträtiert Hassanzadeh sich und seine Familie vor Hintergrundbildern mit Bezügen zu ihren religiösen Überzeugungen und beschriftet die Porträts der abgebildeten "Terroristen" mit persönlichen Charakteristika wie Nationalität, Konfession und biografischen Daten. Die Kombination aus Bildern und Texten offenbart, dass Hassanzadeh hier die gegenwärtige westliche Wahrnehmung anspricht, in der der Islam gedankenlos mit Terrorismus assoziiert wird. Seine "Terroristen" sind muslimische Terroristen und gleichzeitig einfache Gläubige, die wegen ihrer Religion misstrauisch beäugt werden.
Die Entdeckung des Islam
Das Gewicht, das Hassanzadeh in seiner Serie "Terrorist" auf den Islam legt, reflektiert seine Entwicklung als Künstler, dessen Karriere zunehmend mit der westlichen Kunstszene und der ihr eigenen Wahrnehmung des Iran als islamisches Land verflochten ist. Mitte der Achtzigerjahre fertigte Hassanzadeh nach kurzer Ausbildung an der Teheraner Kunsthochschule seine ersten Gemälde. Internationale Anerkennung wurde ihm erst 1999 zuteil, als seine Serie "War", ein düsteres Tagebuch seiner Erinnerungen als freiwilliger Soldat im Iran-Irak-Krieg, im Diorama Arts Centre in London ausgestellt wurde. Die Ausstellung erwies sich als Wendepunkt in Hassanzadehs Karriere. Seine Arbeit, die sich in zunehmendem Maße an Außenstehende, nämlich an ein westliches Publikum richtete, änderte von Grund auf seine Orientierung. Der Künstler fing an, die iranische Gesellschaft von außen zu betrachten, "schaute mit äußerst kritischem Blick auf sein eigenes Land" und "hielt Ausschau nach kulturellen und identitätsstiftenden Merkmalen"[1]. An diesem Punkt hielt der Islam Einzug in die Gemälde Khosrow Hassanzadehs. Während seine Frühwerke keinerlei Bezüge zum Islam oder zur muslimischen Gesellschaft erkennen ließen, waren seine neueren Serien voll davon. Sowohl "Chador" (2000), eine Reaktion auf die westliche Wahrnehmung des Schleiers als Symbol der Unterdrückung von Musliminnen, als auch "Ashura" (2000), eine Neuinterpretation einer schiitischen Zeremonie zu Ehren der weiblichen Heiligen des Schiismus, traten an, die im Westen vorherrschenden Ansichten über muslimische Frauen infrage zu stellen. Mit "Prostitutes" (2002), einem Tribut an sechzehn von einem religiösen Fanatiker in Maschhad ermordete Prostituierte, erwarb sich Hassanzadeh im Westen zunehmend den Ruf, eine vermeintliche iranische "Gegenkultur" zu repräsentieren. Gleichzeitig begann er nach und nach, sich neben direkten Kommentaren zur iranischen Gesellschaft auch mit der westlichen Besessenheit vom Islam auseinander zu setzen.
Ethnisches Marketing
Hassanzadehs Schwerpunktverlagerungen sind eng mit der veränderten Stellung verknüpft, die Kunstschaffende aus dem Nahen Osten in der internationalen Kunstszene innehaben. Seit den Terroranschlägen vom 11. September boomen im Westen Ausstellungen von Künstlerinnen und Künstlern aus dem "Nahen Osten" und der "islamischen Welt". Die meisten dieser Ausstellungen gehen von der – fragwürdigen – Voraussetzung aus, dass zeitgenössische Kunst dem Publikum hinsichtlich der aktuellen politischen Lage in der Region als Informationsmedium dienen kann[2]. Davon abgesehen ist der Nahe Osten "heiß" und Museen und Galerien brauchen – ebenso wie Verlage und andere kommerziell ausgerichtete Institutionen – den werbewirksamen Reiz des Ethnischen, um Besucher- und Verkaufszahlen in die Höhe zu treiben[3]. Trotzdem ist die Vorstellung, die nationale oder religiöse Herkunft eines Künstlers habe nachhaltige Auswirkungen auf sein Schaffen, in der Kunstwelt höchst umstritten, speziell im Nahen Osten. Neben Khosrow Hassanzadeh kämpfen auch viele andere Künstlerinnen und Künstler seit Jahren gegen diese Auffassung. Sie sind der Ansicht, dass Begriffe wie "islamisch", "Naher Osten" oder selbst "Iran" mit religiösen und politischen Assoziationen befrachtet seien und dass die Verwendung solcher Begriffe im Rahmen von Ausstellungskonzepten vom künstlerischen Wert ihrer Arbeit ablenke. Ironischerweise sind es gerade Hassanzadehs deutliche Kommentare zur iranischen Gesellschaft, die viele Kuratoren veranlassen, seine Werke in ihre Ausstellungen aufzunehmen.
Die Zurückgewinnung der Unabhängigkeit
Vor diesem Hintergrund kann man die Serie "Terrorist" als eine Kritik am Umgang der internationalen Kunstwelt mit Künstlern aus dem Nahen Osten verstehen. So sieht es beispielsweise Sohrab Mahdavi in seiner Besprechung der Serie. Durch die Darstellung von sich selbst, seiner Mutter und seinen Schwestern als Terroristen wolle Hassanzadeh die anklagende Position des "Anderen", d. h. des Westens, einnehmen. Damit scheine das Werk die gängige Praxis innerhalb der Kunstszene zu kritisieren, die von Künstlern aus dem Nahen Osten verlange, ihre Identität auf den Prüfstand zu stellen und sie westlichen Bedürfnissen gemäß umzuformulieren. Obwohl "Terrorist" darauf abziele, das Recht auf Selbstdarstellung und Unabhängigkeit zurückzugewinnen, "versagt es in beiderlei Hinsicht: ‚Selbstdarstellung‘ bedeutet hier eine Annäherung an westliche Werte und das Werk kann nur ‚unabhängig‘ werden, wenn das Zielpublikum des Künstlers aus dem Westen stammt."[4] Nichtsdestoweniger untermauert dieses "radikale Versagen" die künstlerische Botschaft sogar noch und macht das Werk in der nicht-westlichen Kunstszene zu etwas Einzigartigem. Künstler wie Khosrow Hassanzadeh befinden sich in einer Zwickmühle. Um in einer immer globaler werdenden Kunstszene bestehen zu können, sind sie auf den westlichen Kunstmarkt angewiesen, missbilligen jedoch dessen plumpe Marketingstrategien, die ihre "Andersartigkeit" hervorheben und sie in die ihnen zugewiesenen Schubladen "muslimisch" oder "nahöstlich" stecken. Seinem Selbstverständnis nach ist Hassanzadeh ein Okzidentalist, der sich zwischen den im Osten wie im Westen produzierten Bildern vom jeweils Anderen hin- und herbewegt. Die Frage ist, ob es für Künstlerinnen und Künstler im überreizten politischen Klima unserer Zeit möglich sein wird, eine derart souveräne Haltung einzunehmen.
(Veröffentlicht mit Genehmigung des International Institute for the Study of Islam in the Modern World, ISIM, Leiden, Niederlande, in dessen Newlsetter ISIM Review 18 dieser Artikel zuerst erschienen ist.)
Anmerkungen:
Mirjam Shatanawi
Kuratorin für den Nahen Osten und Nordafrika am Tropenmuseum in Amsterdam, Niederlande. Forscht und schreibt über visuelle Künste und Alltagskultur in diesen Regionen.
Inside Iran
Retrospektive der Werke von Khosrow Hassanzadeh
22. September 2006 - 7. Januar 2007