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Khaled Ramadan präsentiert in Kopenhagen über 40 Videos von arabischen Künstlern
Von Kean Wong | Okt 2006Zu einer Zeit, in der in den westlichen Gesellschaften die Angst vor muslimischen Mitbürgern und das Unbehagen über die offensichtliche Realität von "Eurabien" wachsen, belegen offenbar die mehr als 40 Videoarbeiten arabischer Künstlerinnen und Künstler, die an einem Veranstaltungsort in einer ehemaligen Kirche im Herzen Kopenhagens gezeigt werden, dass Widerstand gegen derartige Invasionen zwecklos ist.
Überfrachtete Bilder in grellen Grundfarben, die im Vergleich mit der kargen levantinischen Landschaft übersättigt wirken und eine buntes Gemisch von Tönen und Klängen – schrille Sirenen, Verkehrslärm, trauernde Mütter und ausgelassene Kinder – die Ausstellung "Coding: Decoding" darf ruhig innerhalb der weißen Wände der Kunsthallen Nikolaj unter Quarantäne gestellt werden. Dänemarks kühler Anstand bleibt gewahrt.
Trotzdem sickern die unterschiedlichen Realitäten, die von diesen Künstlern eingefangen wurden und als neu zusammengestellte Mosaike präsentiert werden, auch unter dem prunkvollen Eingangsportal der Nikolaj-Kirche hindurch: der vielgestaltige Kampf gegen das zerstörerische Erbe des Postkolonialismus, die Verdrängung der Palästinenser und die nicht enden wollenden Kriege.
Die Arbeiten strafen die politisch motivierte Paranoia vor einem monolithischen muslimisch-arabischen Pöbel, der an den Toren Europas rüttelt, Lügen, auch wenn sich führende dänische Sozialdemokraten jetzt mit ehemals verrufenen Anti-Einwanderer-Demagogen auf populistischen Veranstaltungen gemein machen und in ihren Bestsellern vor einer bevorstehenden, angeblich muslimisch inspirierten Apokalypse warnen.
Somit stellen vielleicht Taysir Batnijis rhythmische Dokumentaraufnahmen eines blutigen Stücks Hammelfleisch, das auf einem Schlachttisch in die richtige Form gehackt wird – mit dazwischen geschnittenen Schnappschüssen von einem für kurze Zeit "normalen" Gaza mit seinen Schulkindern, Märkten und den stoischen Narben der Intifada – einen Schlüsselpunkt der gesamten Ausstellung dar, einfach und brutal.
Das weiße Europa ist nicht der einzige Ort, an dem man sich scheinbar belagert fühlt, denn den Bewohnern Gazas geht es ebenso. Aber die Belagerung Gazas ist das Resultat einer äußerst realen israelischen Blockade als Reaktion auf den Wahlsieg der Hamas, was unweigerlich zur Implosion des Gebiets führen wird, wenn Nahrung, Geld und Hoffnung erschöpft sind. Aber anders als ihre dänischen Kollegen werden die palästinensischen Populisten von der Außenwelt abgestraft. Wie Batnijis "Gaza–Journal Intime" es in einer angemessen deutlichen Metapher ausdrückt, werden die Palästinenser in Stücke gerissen und verachtet wie ein Stück Aas.
Obwohl die von Khaled Ramadan ausgestellten Künstlerinnen und Künstler in "Coding: Decoding" den Wunsch gemeinsam haben, dem kolonialen Verrat und der Auslöschung der arabischen Erinnerung entgegenzutreten, gibt es in ihrer Einordnung der zugrunde liegenden Sehnsucht nach arabisch-nationalistischem Widerstand und der damit in Zusammenhang stehenden Ambivalenz gegenüber dem Kolonialerbe der Säkularisierung doch deutliche Unterschiede.
Es bleibt abzuwarten, ob diese Themen im algerischen Maghreb-Gebiet und westlich davon stärker gären, oder ob verunsicherte Künstler, verleitet von ihren zersplitterten Erinnerungen und dem Verlust ihrer Kulturszenen in Beirut, Kairo und Palästina, sich nach dem 11. September und dem diesjährigen Libanonkrieg gezwungen sehen, in die islamische Richtung umzuschwenken.
Das weltlich orientierte arabisch-nationalistische Projekt ist vielleicht endgültig tot, in den Bankrott getrieben vom neuen populistischen Widerstand im Stil von Hisbollah und Hamas und der westlichen Feindseligkeit gegenüber der neuen iranischen Regierung. Die Ausstellung nimmt hier und da Bezug auf diese Formen des Widerstands, aber es war wohl vorauszusehen, dass viele der Werke eher auf einen in der weltlichen Kunstszene angesiedelten Glauben schließen lassen, der die Erkundung des Himmelreichs zugunsten der Abbildung und Deutung des Hier und Jetzt vorerst vertagt hat.
Die humoristischen Elemente in der angespannten Beziehung zwischen dem Libanon und Israel erforscht Mahmoud Hojeij in seinem trügerisch simplen Videofilm über drei junge Männer, die an einem kalten, trüben Tag auf einem nicht näher bezeichneten Platz in Europa herumlungern. Die aufgesetzte Biederkeit zweier israelischer Soldaten und eines libanesischen Jugendlichen in "We Will Win" wird in einer Reihe von an den Zuschauer gerichteten Randbemerkungen erzählt, wobei die Frage des "Gewinnens" eines offenbar ungebändigten verbalen Schlagabtauschs weniger mit der Anerkennung der nationalen Identität des anderen zu tun hat als vielmehr damit, den Zuschauer als Komplizen in die kleinen Verschwörungen der Protagonisten hineinzuziehen.
Anrührender ist Lina Khatibs Dokumentarfilm "Quelle Revolution" über die so genannte "Zedernrevolution", während der die Verheißung eines neuen florierenden Libanons unter der Herrschaft des Plutokraten Rafik Hariri sogar Künstler mitriss, die den Bestechungs- und Korruptionsaffären der Hariri-nahen Wahlkandidaten mit Zynismus begegneten. Die Millionen von Dollar, die der Wiederaufbau des "Paris des Ostens" nach fast zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg verschlang, erscheinen heute wie eine der vielen Fußnoten an den Rändern von Khatibs Videoschirm; ihre lebhaften Videobilder von überschwänglichen Beirutern, die sich für einen neuen, von syrischem und israelischem Einfluss (aber nicht von unberechenbarem globalisiertem Kapital) befreiten Libanon zusammentun und schließlich den brutalen Auswirkungen von Hariris Ermordung und den israelischen Versuchen weichen, den Libanon "zurück in die Steinzeit" zu bomben.
Aber zumindest für einige Minuten geben sich die Libanesen bei Khatib dem Fahnenschwenken hin, während sie die Stände für Wahlbuttons umlagern. Sie ignorieren die grellen kommerziellen Werbetafeln, gedenken feierlich der Opfer des Bürgerkriegs und genießen die flüchtigen Freuden der angebotenen Snacks.
Ähnlich bewegend, aber elliptischer strukturiert ist Rabih Mroués zehnminütiges Video "FaceA/FaceB". Der Regisseur trägt Fragmente von auf Kassetten aufgezeichneten Hörbriefen zusammen, mithilfe derer man den Kontakt zu Familienmitgliedern aufrechterhielt, die der Bürgerkrieg aus Beirut vertrieben hatte und kombiniert sie mit Familienfotos, melancholischen Bemerkungen des Erzählers und einem gekonnt eingesetzten schwarzen Bildschirm. So erforscht Mroué eine verlorene Kindheit, die von Krieg, Tod, Exil und dem Kampf ums Überleben überschattet war.
Wie der Kurator Khaled Ramadan in einem Interview feststellte, zwinge das gegenwärtige geopolitische und soziokulturelle Klima im Nahen Osten Videokünstler dazu, die Komplexitäten in ihren Werke zu erklären. Videokünstlerinnen und –künstler befänden sich in einem Zwiespalt zwischen der historischen Notwendigkeit, kolonisierte arabische Bilder und Identitäten zurückzuerobern und dem Wunsch, die instabile Ästhetik und experimentellere Auffassungen der zwar zersplitterten, in ihrer Ablehnung der amerikanischen und israelischen Außenpolitik jedoch zunehmend vereinten arabischen Diaspora zu artikulieren.
Die palästinensisch-dänische Künstlerin Larissa Sansour nimmt diese Politik, die auch für den Bau der israelischen "Sicherheitsmauer" mitten durch ihr Heimatland verantwortlich ist, ins Visier. Nach ihrer Rückkehr aus mehrjährigem Exil nach Bethlehem spielt sie in "Bethlehem Bandolero" die Rolle eines mexikanischen Revolverhelden. Das groß angelegte Sechs-Minuten-Video nimmt uns mit in die biblischen Straßen der Stadt.
Sansours Augen lugen unter einem großen roten Sombrero hervor und ihr Gesicht ist mit einem Cowboy-Halstuch vermummt. Die Künstlerin hat ihre pistolenschwingende Besichtigungstour Bethlehems im Stil eines "Spaghetti-Westerns" gedreht und den Film mit flotten Surfgitarrenklängen unterlegt. Auf den Straßen wird sie von neugierigen Männern, faszinierten Priestern, Kindern und sogar einer Katze neugierig angestarrt. Sie alle finden schließlich Eingang in ein Kaleidoskop aus Kitschbildern, als wir den Höhepunkt erreichen: Sansours Duell mit der Sicherheitsmauer. Ihr Video ist ein scharfsinniger, wenn auch etwas eigenwilliger Kommentar zur Absurdität der Mauer, genauso lächerlich wie Clint Eastwood, wenn er um 12 Uhr mittags seinen Colt zieht, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
Während Sabah Naims Montage aus Video- und Standbildaufnahmen von Menschen auf den Straßen und in der U-Bahn Kairos eine fast dekorative Hommage an Ägyptens pulsierende Hauptstadt am Nil zu sein scheint, kommt das Werk "People of the City" im Vergleich zu früheren Aufführungen, z.B. bei der Biennale in Venedig, eher bescheiden daher. Im Vergleich ist Rami Abdul Jabbars "Snow" eine gefühlvoll inszenierte Meditation über die Vergänglichkeit der Jugend. Gekonnt gefilmte Szenen illustrieren ein japanisches Haiku-Gedicht, das bei viel kälterem Wetter spielt, und werden mit arabischer Schrift überlagert.
Trotzdem ist es das Hollywood-Abziehbild des Arabers, das westliche Populärvorstellungen nach wie vor prägt; das stellt jedenfalls Jacqueline Salloum in ihrem neunminütigen Werk "The Planet of the Arabs" fest. In ihrer humorvollen Abrechnung mit über 30 amerikanischen Filmen und deren erbarmungsloser Entmenschlichung des Orientalisch-Andersartigen zerpflückt sie die als Filmhandlung daherkommenden Vorurteile. In den Hauptrollen sehen wir unter anderem Arnold Schwarzenegger, Michael J. Fox und Chuck Norris. Wie Taysir Batnijis blutiges Hammelfleisch in Gaza lassen sich auch westliche Klischees auf ganz ähnliche Weise zerlegen.
Kean Wong
Freischaffender Journalist aus Malaysia (ansässig in Australien). Schreibt u.a. über modernen Islam, Pop-Kultur und Medien.
Video- und Filmprogramm kuratiert von Khaled Ramadan.
Teil des Festivals Images of the Middle East in Dänemark.
2. Sep - 5. Nov 2006