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Internationales Fotofestival, Bangladesch 2006, veranstaltet von Drik und Partnern.
Von Fariha Karim | Nov 2006Mit großen Augen und offenem Mund beobachteten die Einheimischen, wie sich der Menschenzug auf seinem Weg vom Nationalmuseum durch die chaotischen Straßen von Dhaka schlängelte. Die Hauptstadt Bangladeschs wurde seit Wochen von politischen Unruhen erschüttert. Demonstrationen, Blockaden und Streiks erinnerten ständig an eine ungewisse Zukunft. Aber dieser Umzug brachte die Menschen dazu, stehen zu bleiben, verdutzt von den Trompetenstößen einer Volkslieder spielenden Blaskapelle ohne irgendein sichtbares politisches Anliegen. Er war der Startschuss für Chobi Mela IV, das internationale Festival der Fotografie.
Die Eröffnungsveranstaltung fand am selben Abend im Rahmen einer mitternächtlichen Bootsfahrt auf dem Buriganga statt. Festivalleiter Shahidul Alam, der noch unter den Nachwirkungen des Umzugs litt, bei dem ihn seine Studenten durch die Luft gewirbelt hatten, wurde aus seinem Schlummer gerissen, um auf der provisorischen Tanzfläche an Deck zu zeigen, was er konnte. Um sechs Uhr morgens kehrte das Boot ans Ufer nach Dhaka zurück. Chobi Mela war in vollem Gange.
Das "Bilderfestival", wie der Name wörtlich übersetzt heißt, präsentierte in 49 Ausstellungen mehr als 1 000 Fotografien zum Oberthema "Grenzen". Die 23 Teilnehmerländer sorgten dafür, dass die einzigen nicht vertretenen Kontinente Nord- und Südpol waren. Chobi Mela ist wahrscheinlich das einzige Festival der Welt, das auch eine kleinere Mobilversion seiner Veranstaltungen betreibt und sie mit Last-Rikschas zu Schulen, Fußballplätzen und Basaren bringt, wo sie mehr als 5 000 Zuschauer anlocken. Shahidul erklärte: "Das hat damit zu tun, dass wir Galerien für ziemlich elitär halten. Die Rikschas erreichen Orte und Menschen, die noch nie eine Galerie gesehen haben."
Aber Chobi Mela IV erweiterte auch die Grenzen der künstlerischen und fotografischen Vorstellungskraft. Bei den beliebten abendlichen Diskussionsrunden über Themen, die sich von Urheberrechten bis hin zu Präsentationen persönlicher Projekte erstreckten, verblassten die Trennlinien zwischen Herz, Verstand und Kunst, wenn das faszinierte Publikum feststellte, dass die Abläufe hinter den Fotografien ebenso beeindruckend und wichtig sind wie das Endprodukt. Es waren Reisen in die emotionellen Welten von Künstlerinnen und Künstlern, Geschichten über Geschichtenerzähler.
Bahnbrechende Bilder bot "Contact/s 30": "The Art of Photojournalism" zeigte 30 Bögen mit Kontaktabzügen von führenden Fotografinnen und Fotografen, darunter Annie Leibowitz, Sebastião Salgado und Kenneth Jarecke. Robert Pledge, Kurator und Chef der Agentur Contact Press Images, sagte: "Jetzt, wo sich die Welt vollständig im digitalen Zeitalter befindet, ist fraglich, ob es eine Präsentation wie diese in dreißig Jahren noch geben wird. Kontaktabzüge... sterben aus, es ist ihr Schicksal, zu Artefakten der Fotografiegeschichte zu werden, Seite an Seite mit Daguerreotypien und Glasplatten-Negativen." Während Fotos einen einzelnen Moment einfangen, erzählen Kontaktabzüge den Ablauf eines Ereignisses fast wie ein bewegter Film. Sie zeigen, was der Fotograf zwar erlebte, aber gezielt wegließ, ähnlich dem Skizzenbuch eines bildenden Künstlers. Genregrenzen wurden durchlässig, da hinter den Kulissen entstandene Aufnahmen als eigenständige Ausstellungsstücke präsentiert wurden und so den gleichen Status wie das am Ende ausgewählte, zur Kunst erhobene Bild erhielten.
Der junge australische Fotojournalist Trent Parke aus dem Stall der Agentur Magnum stellte Sammelalben und alte Familienfotos aus und gewährte damit sehr persönliche Einblicke in sein Leben. Er zeigte uns seine zwei kleinen Söhne, seine Frau Narelle und seine Eltern und Schwiegereltern. Trent beschrieb, wie das Fotohandwerk sein Leben bestimmt, vom Erwachen bis zum Einschlafen. Er erzählte dem beeindruckten Publikum im Goethe-Institut: "Es ist wichtig, die Grenzen dessen, was bereits gemacht wurde, zu erweitern." Und die Fotos in "Minutes to Midnight" hielten, was er versprochen hatte. Seine Bildmotive reichten vom Materiellen bis zum Jenseitigen.
Der indische Künstler Pablo Bartholomew faszinierte ebenfalls, als er schilderte, wie ihn das eigene Ausgegrenztsein als Siebzehnjähriger nach Schulabbruch und Drogenkonsum dazu brachte, das Leben der Ausgestoßenen in den Slums von Delhi zu dokumentieren: der Drogenabhängigen und Transvestiten, der Hippies und Straßenkünstler. Es war die Geburtsstunde einer überaus erfolgreichen Karriere. Dies inspirierte den führenden norwegischen Künstler Morten Krogvold dazu, die eigene Position innerhalb seines Arbeitsgebiets zu überdenken. wie er die Zuhörerinnen und Zuhörer in der Alliance Française bezüglich seiner Arbeit "The Heart of Photography" wissen ließ: "Als Trent und Pablo ihre wundervollen Reden hielten, war ich seit langer Zeit zum ersten Mal wieder von der Fotografie inspiriert. Darauf setzte ich mich hin und schrieb einen Artikel über UV-Lampen." Dieses mutige Bekenntnis kam immerhin von einem Mann, der mit seiner Leidenschaft und Inspiration die Studierenden in Pathshala, dem südasiatischen Institut für Fotografie, zu Tränen rührte, als sein Workshop zu Ende ging. Als Abschiedsgeschenk überreichten sie ihm einen Lungi (das traditionelle Kleidungsstück bangladeschischer Männer) und einen Kuchen, auf dem geschrieben stand: "We love you Morten".
"InSight Out" befasste sich auf ganz andere Weise mit dem Thema "Grenzen". Nicht professionelle Fotografen, sondern eine Gruppe von 119 Kindern, die durch den Tsunami in Asien Familien, Freunde und die Heimat verloren hatten, stellten hier ihre Fotos vor. Die berührenden, mit Kompaktkameras fotografierten Bilder dokumentierten, unter welch großen Anstrengungen die Kinder versuchten, ihr junges Leben neu aufzubauen. Sie erzählten Geschichten, die in der westlichen Presse keinerlei Beachtung gefunden hatten.
In "World Portraits" erweiterten die einheimischen Fotojournalisten Amin, Mohammed Main Uddin und Shehab Uddin in Zusammenarbeit mit der niederländischen Agentur ANP Photo die Grenzen des Metiers. Hier erhalten "normale, schöne Menschen", die in Bangladesch fotografiert wurden, für jedes verkaufte Porträt einen Anteil am Gewinn, nicht nur der Fotograf oder die Agentur. In der weltweit ersten Initiative dieser Art können Fotograf und Fotografierter gleichermaßen Anspruch auf den kommerziellen Erfolg erheben.
Die preisgekrönte südafrikanische Fotografin Neo Ntsoma thematisierte das aufkeimende Identitätsbewusstsein unter den Jugendlichen ihres Heimatlandes, um an Grenzen zu rühren. Sie machte energiegeladene, freche Fotos von Menschen, die, statt vor der aus ihrer kollektiven Geschichte resultierenden politischen Situation zu kapitulieren, diese Geschichte für sich reklamierten.
Einige Fotografen aus Bangladesch nutzten geographische Grenzlinien als Ausgangspunkt. Abir Abdullahs Bilder erkundeten Flüsse, die häufig selbst als Grenzen, als Orte fungieren, wo sich soziale Grenzen überschneiden, indem sie Lebensunterhalt, Wasser und Plätze der Spiritualität bieten. "Rivers and People" war eine Zusammenstellung, die aufgrund ihrer Sensibilität und Originalität hervorstach.
In "Living Boundaries: The story of tainted tea" erforschte Munem Wasif die Welt der Arbeiterinnen und Arbeiter innerhalb der Grenzen einer Sylheti-Tee-Plantage. Es war ein außergewöhnliches Werk, mit dem er sich als herausragender Nachwuchsfotograf auszeichnete. Der fantasievolle mexikanische Fotograf Cristobal Trejo war jedoch der einzige Künstler, der Grenzen als Brücken zwischen unterschiedlichen Welten sah. "Windows Experience" besteht aus traumartigen Bildern, die direkt aus dem Herzen kommen und "die innere spirituelle Reise" widerspiegeln, "wenn man tief in Gedanken versunken wie durch ein Fenster schaut". Unvergessliche Werke steuerten auch die Teilnehmer am von der Zeitschrift "National Geographic" initiierten "All Roads Photography Program" bei, das talentierte einheimische Fotografen unterstützt, denen oft zugunsten weißer, westlicher Starkünstler der Zugang zum Mainstream verwehrt bleibt. Diese Fotografinnen und Fotografen aus Minderheitskulturen hatten einiges zu erzählen. Saiful Huq aus Bangladesch, der gebürtige Amerikaner Larry McNeil, die Iranerin Newsha Tavakolian und die Fotojournalistin Sandra Sebastián Pedro aus Guatemala schufen bemerkenswerte Arbeiten und unterstrichen damit die Überlegenheit, die persönliche Erfahrungen und Vertrautheit mit regionalen Gegebenheiten mit sich bringen.
Die Organisation von Chobi Mela überschritt mit ihrem Herangehen an die Kunst der Fotografie Grenzen, indem man Kuratoren, Archivare, Historiker, Juristen und Fotografiedozenten für Workshops und Diskussionsrunden verpflichtete. Shahidul sagte: "Die wichtigste Auswirkung von Chobi Mela IV wird sein, ein Bewusstsein für die enormen Verdienste der Fotografie im Süden, speziell in Südasien, geschaffen zu haben. Während Fotojournalismus im Westen aus der Mode gekommen ist, ist er in großen Teilen der Welt gelebte Erfahrung. Dies sollte aufhorchen lassen."
Fariha Karim
Freischaffende Autorin und Fotografin. Lebt in Dhaka, Bangladesch, und London, Vereinigtes Königreich.
Chobi Mela IV
Internationales Fotofestival, Bangladesch 2006
9. - 30. November 2006
Veranstaltet von Drik Picture Library Ltd. und Partnern