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Junge pakistanische Künstler machen die Miniaturmalerei zu einer modernen Sprache.
Von Sara Wajid | Dez 2006Junge Künstlerinnen und Künstler aus Pakistan verwandeln historische Miniaturmalerei in zeitgenössische Kunst, indem sie mit deren Formensprache experimentieren und eine internationale Bildsprache verwenden, die Hard-core Porno, Burkas und Raketen einschließt. Nie hat Pakistan sie nötiger gebraucht, Kulturbotschafter mit Sexappeal wie diese jungen, radikalen, globtrottenden Künstler: die "Neuen Miniaturmaler". Die meisten von ihnen haben das National College of Art (NCA) in Lahore absolviert und kennen sich sehr gut aus in der filigranen Tradition der Miniaturmalerei, die sich zwischen dem 14. und 19. Jahrhundert an islamischen und hinduistischen Höfen entwickelte.
Jetzt haben sie diese in Mischtechniken, Installationen und Plastiken "jenseits des Bildes" gebracht. Auf dem internationalen Kunstparkett erschienen sie genau zu dem Zeitpunkt, da das Pendel von ungemachten Betten zurück zur Malerei schwang. Nach Aussage der anerkannten pakistanischen Kunstkritikerin Salima Hashmi fiel die Wiedergeburt der Kunstform zeitlich mit "einer Sehnsucht (in Pakistan) nach dem Erzählerischen, nach einer irgendeiner Verbindung mit der Tradition" zusammen.
"Beyond the Page" (Jenseits des Bildes), eine Gruppenausstellung in der Manchester Art Gallery (MAG) und dem Asia House in London, ist die umfangreichste Präsentation Neuer Miniaturmalerei in Großbritannien. Sie versammelt Arbeiten von acht Künstlerinnen und Künstlern und fällt zeitlich mit einer neuen Phase in der rasanten Entwicklung dieser sich im Aufwind befindenden, viel versprechenden jungen Kunstform zusammen. Der schnell und beständig wachsenden internationalen Anerkennung während der letzten zehn Jahre folgte im vergangenen August in New York die Verleihung des mit 500.000 Dollar dotierten MacArthur-Preises an Shahzia Sikander, während Rashid Rana und Muhammad Imran Qureshi für die Biennale 2006 in Singapur ausgewählt wurden. Kritiker machen sich bereits Sorgen, ob nicht die Vereinnahmung durch den internationalen Kunstmarkt den Künstlern ihren Reiz nimmt.
Bisher scheint dies noch nicht der Fall zu sein, wenn man sich die groß angelegte, ortsgebundene Installation von Rashid Rana an der 20 Meter hohen Glasfront am Eingang zum Hauptatrium der Galerie ansieht. Aus einem Abstand von gut neun Metern, überlagert sich die hinter dem Glasdurchgang sichtbare Straßenansicht von Manchester, eine übermächtige Gebäudefront, auf raffinierte Weise mit ihrem Abbild auf dem Glas – ein netter optischer Effekt. Aber die Dopplung ist so verblüffend und ansprechend, dass sie den Betrachter dazu bringt, näher zu treten, bis er schließlich aus einem Abstand von drei Metern erkennt, dass das Bild aus Abertausenden kleinerer quadratischer Bilder oder Bildpunkte besteht, wie aus lauter einzelnen Farbtupfern. Und wenn man mit dem Gesicht ganz nah herangeht, wird auf winzigen staubigen Straßenschildern Urdu-Schrift sichtbar. Als ich schließlich erkannte, dass die Fotos die Innenstadt von Lahore zeigen, errötete ich vor Selbstgefälligkeit, denn für einen Moment erfassten mich eine reflexartige Lust an der Heimat und patriotischer Stolz auf die deutlich sichtbare Virtuosität meines Landsmanns, der eine einzigartige pakistanische Kunstform beherrschte. Ich kann zwar kein Urdu, aber was soll’s? Heimatland bleibt Heimatland, richtig? Das Imperium malt zurück und so weiter. Britische Pakistanis brauchen in diesen Zeiten den Glanz allen Ruhmes, den sie bekommen können.
Aber es handelt sich dabei um ein tiefgründiges und ausgesprochen selbstreferenzielles postmodernes Genre. Bevor Zahoor ul Akhlaq, der in der Ausstellung vorgestellte Vater der modernen Miniaturmalerei, in den 1980er Jahren zu experimentieren begann, war sie zu einem statischen Handwerk verkommen, zu hübschen Bildchen, die hauptsächlich vom Bürgertum als wohlgefällige Erinnerungen an die gute alte Zeit gekauft wurden. Die Miniaturmaler von heute hüten sich ständig vor diesem kitschig-dekorativen Erbe, allen voran Rana, ein Schüler Akhlaqs.
Als ich zwei Tage später im dichten Innenstadtverkehr von Lahore in einer knarrenden Rikscha saß, wurde mir klar, dass man mir einen Streich gespielt hatte und dass Rana noch raffinierter war, als ich ihm zugetraut hatte. Als ich an einer neuen Filiale der Fast-Food-Kette "Subway’s" vorbeiraste, erinnerte ich mich an sein zweites großflächiges Werk mit dem Titel "A Day in the Life of Landscape" (Ein Tag im Leben einer Landschaft), das die Arbeiten eines bekannten Landschaftsmalers parodiert – romantisierende Versionen des bukolischen Punjab-Hinterlandes – und dessen gleichförmige Bildpunkte aus Miniaturansichten der Smog verpesteten Innenstadt von Lahore bestehen, jenem Lahore, an dem ich jetzt fast zu ersticken drohte. Ein fernes Rufen aus den Mangowäldern und Zuckerrohrfeldern der rosaroten Kindheitserinnerungen meiner Mutter hatte wiederum meine eigene Phantasievorstellung von Pakistan geprägt. "See Through" erschien jetzt wie eine Deutung des Mythos der Rückkehr und ein Kommentar zu dem konservierten Pakistan aus den Träumen der Exilanten. Meine Mutter hat nie das Café Zouk erwähnt, den beliebten Treffpunkt im Stadtzentrum Lahores, wo trendige Einheimische in engen Diesel-Jeans Marlboro Lights rauchen.
Viele der Künstlerinnen und Künstler wenden ausgeklügelte Strategien an, um der Exotisierung zu entgehen und das Publikum davon abzubringen, einfach nur lustvoll auf die präzisen Formen, unglaublich feinen Linien und höllisch komplexen Details zu starren. "Infinite Justice" (Grenzenlose Gerechtigkeit) von Aisha Khalid ist ein verlockend flauschiges Meer aus wehenden Baumwollfäden, die unbewegt in der Luft zu hängen scheinen. Man möchte gerne mit den Fingern hindurchfahren, lässt es aber besser sein, denn die Fäden sind an Hunderten spitzer Nadeln festgebunden, die in der farbenprächtigen Leinwand stecken. Tritt man zurück und schaut von vorne auf das Werk, erscheint in der Mitte der weichen, verschwommenen Wolke ein schwarzes Ziel, das einem den Titel dieser unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September entstandenen Serie in Erinnerung ruft. Die betörende Schönheit der Form scheint die Darstellung unangenehmer Inhalte zu erleichtern.
Die von Imran Qureshi direkt auf die Galeriewände gemalten, großformatigen Bilder schlängeln sich aus Durchgängen und vermeintlichen Rissen im Mauerwerk hervor wie wuchernder blauer Efeu. Qureshi verwendet in diesen Arbeiten eine stilisierte Version der Basohli-Büsche, die charakteristisch für Pahari-Gemälde sind, eine Miniaturmalerei-Schule, die von Malern des Mogulreiches, die nach dessen Auflösung Zuflucht in den Hügeln des Punjab suchten, ins Leben gerufen wurde. Qureshi setzt dieses beziehungsreiche Symbol auf bemerkenswerte Weise neu ein, indem er das Rot, Weiß und Blau der britischen und US-amerikanischen Nationalflaggen benutzt und dem Werk den Titel "Politically Incorrect" gibt. In der Manchester Art Gallery geht allerdings ein wenig von der hintergründig-schaurigen Qualität der Arbeiten verloren, da die meisten von ihnen auf begrenztem Raum an der eigens errichteten, frei stehenden Wand präsentiert werden. Im Londoner Ableger der Ausstellung hingegen, dem Asia House, winden sich die Büsche aus Lüftungsschlitzen in den Ecken des Raums hervor und erfüllen ihn unmerklich, wodurch sie den alles durchdringenden Einfluss der amerikanischen Außenpolitik widerspiegeln und auf die makabre Dschihad-Faszination anspielen, die die fernen Krisenherde auf manche im Westen ausüben.
Aber trotz aller kontroversen politischen Inhalte vermute ich, dass die meisten Besucher von der technischen Virtuosität und der Schönheit der alten Schule überwältigt sein werden, die das Werk "Passionate Beings in Flight II" (Leidenschaftliche Wesen im Flug II) von Nusra Latif Qureshi für sie bereithält. Und es ist auch gerade dieses Bild, das die Werbeprospekte ziert und das die meisten Menschen zu dem Schluss kommen lassen wird, dass man "alles Fremde kennen lernen kann". Qureshi greift auf die "Company Paintings" zurück. Hierbei handelt es sich um naturgetreue kunsthandwerkliche Darstellungen von "Eingeborenen", die die East India Company seinerzeit zu Dokumentationszwecken in Auftrag gegeben hatte. Qureshi erzeugt mit ihrer Hilfe ein Bild, das sowohl die große Detailfreude der Miniaturmalerei als auch eine unverkennbar europäische Ästhetik widerspiegelt.
Hammad Nasar, Kurator der Ausstellung und eine Schlüsselfigur hinter den vielen Gastdozenturen, Ausstellungen und Veröffentlichungen zeitgenössischer pakistanischer Künstler in England, sagt, dass dies die erste Künstlergeneration sei, die in Pakistan lebe und trotzdem international erfolgreich sei. Der wirtschaftliche und künstlerische Boom in Indien bedeutet für Khalid und ihren Mann Qureshi, dass sie Lahore nicht verlassen müssen, um die weite Welt zu erreichen, da sie von der Londoner Galerie Corvi-Mora vertreten werden. "Beyond the Page" erzielte lobende Kritiken. Die für ihre Scharfzüngigkeit berüchtigte Londoner Zeitschrift "Time Out" gibt der Ausstellung vier von sechs Sternen.
Aber auch in heimatlichen Gefilden gibt es viele Bewunderer. Die leitende Direktorin der Galerie Croweaters, Nayab Shami, erzählte mir, dass sie sich immer noch ohrfeigen könnte, weil sie keine Werke von Qureshi eingekauft habe, als sie noch erschwinglich waren. Heute sammeln Young Professionals Arbeiten von Künstlern wie Hasnat Mehmood, dessen filigran verzierte Zigarettenschachteln in "Beyond the Page" zu sehen sind.
Daher war ich äußerst überrascht, als ich in der Abteilung für Miniaturmalerei am NCA Studentinnen und Studenten vorfand, die von der "Neuartigkeit" dieser Kunstform relativ unberührt waren und stattdessen rigoros an traditionellen Methoden festhielten. Muhammad Imran Qureshi lehrt seit seinem Abschluss vor über zehn Jahren am Institut und er erklärte mir, dass es innerhalb des NCA starken Widerstand gegen seinen Ansatz gibt. Die Traditionalisten haben das Institut immer noch fest im Griff und sehen sich als Bewahrer einer edlen Tradition vor den korrumpierenden und sogar zersetzenden Ansichten Qureshis und seinesgleichen.
Die in dieser Ausstellung vertretenen Künstlerinnen und Künstler sind eher international als durch die Diaspora sensibiliert. Salima Hashmi sagt, die Bewegung dürfe nicht mit der explosionsartigen Popularität postkolonialer Literatur in englischer Sprache verglichen werden, deren Leitfiguren Rushdie und andere sind. Eine bessere Parallele sei die Zunahme moderner Literatur auf Punjabi und Sindi. "Beyond the Page" zeigt das Werk einer Generation, die zwar in spezifisch pakistanischen Zusammenhängen und künstlerischen Traditionen fest verankert ist, sich jedoch auch mit dem internationalen Kunstdiskurs perfekt auskennt und so dem englischen Publikum erfreulich zugänglich ist.
Sara Wajid
Freischaffende Autorin u.a. für Kunst und Kulturpolitik; lebt im Vereinigten Königreich.
Kurator: Hammad Nasar
Künstler*innen:
Hamra Abbas
Aisha Khalid
Hasnat Mehmood
Mohammed Imran Qureshi
Nusra Latif Qureshi
Rashid Rana
Usman Saeed
Beyond the Page
Contemporary Art from Pakistan
31. Aug - 11. Nov 2006