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Arbeiten von 6 Künstler/innen aus Bangladesch, Indien und Pakistan in den ifa-Galerien in Berlin und Stuttgart.
Okt 2005Mit der Ausstellung "Zeitsprünge, Raumfolgen" stellen die ifa-Galerien Berlin und Stuttgart Künstlerinnen und Künstler aus Südasien vor, die sich mit Fragen des gesellschaftlichen Wandels zwischen Tradition und Globalisierung auseinander setzen. Die Erfahrung von Gleichzeitigkeit und die Aufhebung von Entfernung, das Zusammenfallen von Nähe und Ferne prägen im Zeitalter der Globalisierung nicht nur das Leben in der westlichen Welt, sondern verändern auch grundlegend die Lebensweisen in Ländern mit kolonialer Vergangenheit.
Eine junge Künstlergeneration Südasiens beginnt die Normen der traditionellen, der "nationalen" visuellen Kultur kritisch zu diskutieren und neu zu interpretieren. Die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung "Zeitsprünge, Raumfolgen" kommen aus Bangladesch, Indien und Pakistan; einige leben und arbeiten in Dhaka, in New Delhi oder Karachi, andere haben sich in westlichen Metropolen niedergelassen und sind mit ihren Erfahrungen mit multiplen Kulturen Teil der internationalen Kunstszene. Gleichzeitig zu den in den vergangenen Jahrzehnten zu verzeichnenden Auswanderungswellen aus Südasien nach Europa, Amerika, Australien und in den Mittleren Osten fand eine auffallend hohe Migration auch innerhalb Südasiens statt. Die Vielzahl der Kulturbegegnungen, von Konflikten und Kulturvermischungen prägen die Arbeiten dieser Künstlerinnen und Künstler. Das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen verläuft keinesfalls immer reibungslos: "Zeitsprünge" finden statt, "Raumfolgen" tun sich auf, verschiedene Schichten von Raum und Zeit überlagern sich, die klassische Einheit von Ort und Zeit ist aufgelöst. Jede Epoche erträumt die folgende, wie Walter Benjamin sagte, und dabei revidiert sie die vorangegangene.
Die in der Ausstellung vertretenen Künstlerinnen und Künstler haben sowohl innerhalb als auch jenseits ihrer eigenen Gesellschaft politische, kulturelle und religiöse Grenzen überschritten, teilweise Tabus gebrochen und individuelle Strategien und künstlerische Ausdrucksformen entwickelt, die für den Balanceakt zwischen Tradition, Konvention und internationalem Idiom tragfähig sind. Viele junge Künstlerinnen und Künstler aus Pakistan, Indien und Bangladesch orientieren sich heute ganz selbstverständlich an der internationalen Kunstszene, setzen sich mit Formensprache und Inhalten auseinander, die weltweit in der Kunst diskutiert und thematisiert werden. Allerdings setzen sie diese Fragestellungen in Beziehung zur eigenen, reichen und neu entdeckten Kultur. Die Ausstellung "Zeitsprünge, Raumfolgen" zeigt Positionen zeitgenössischer Kunst Südasiens, die selbstbewusst mit den vorgefundenen Mustern und Traditionen umgehen und im kreativen Prozess neue, interkulturelle Sichtweisen durchsetzen. Sie fordert dazu auf, gängige Klischees zu hinterfragen und die eigene Haltung anderen Kulturen und Religionen gegenüber zu überdenken.
Die Ausstellung im Rahmen der Reihe "Islamische Welten" wurde in Zusammenarbeit mit der österreichischen Kuratorin Simone Wille konzipiert.
Beteiligte und Werke:
Hamra Abbas
* 1976 Kuwait. Lebt in Berlin, Deutschland, und Lahore, Pakistan.
Hamra Abbas geht es in der künstlerischen Auseinandersetzung stets um Fragen nach kulturellem Besitz und Stereotypen. Mit Skepsis und Humor untersucht die Künstlerin Relikte kolonialer Autorität. "MoMA is the Star" basiert auf Videoaufnahmen, die die Künstlerin anlässlich der Ausstellung "MoMA in Berlin: the art event of 2004" am letzten Ausstellungstag vor der Neuen Nationalgalerie machte. Durch die Kamera beobachtet Abbas, wie sich Menschen stundenlang in die Warteschlange stellen, um eine der bedeutendsten Sammlungen moderner Kunst zu sehen. Abbas kombiniert diese Aufnahmen vom bunten Treiben rund um das Museum mit dem Film, mit dem sich das MoMa selbst in Berlin präsentierte. Während Abbas Kamera zwischen der wartenden Masse und der filmischen Selbstrepräsentation des MoMA schwenkt, verweist die Künstlerin auf kulturelle Hegemonie, die die Verteilung von Macht in der Welt reflektiert.
Sarnath Banerjee
* 1972 Kalkutta, Indien. Lebt in New Delhi, Indien.
Um fragmentierte Realitäten in den Städten Südasiens geht es in Sarnath Banerjees Comics, in seinen grafischen Romanen und Animationen, in denen Vergangenheit und Gegenwart in Beziehung gesetzt werden, um Stereotypen, Mythen und Moral im postkolonialen Indien zu untersuchen. In der Ausstellung "Zeitsprünge, Raumfolgen" sind Animationen sowie sein erster Comic "Corridor - a Graphic Novel" zu sehen. Die Veröffentlichung errang 2004 sofort die Aufmerksamkeit der indischen Öffentlichkeit. In "Corridor" gibt sich der Autor mondän und wortgewandt und untersucht die gesellschaftlichen Verhältnisse im heutigen Indien. Er nimmt den Leser mit auf eine Reise durch die brüchigen, im Westen wenig bekannten postkolonialen Räume der Großstädte New Delhi und Kalkutta. Sarnath Banerjee verschafft mit seinen Arbeiten dem Comic-Buch, welches sich traditionell durch Humor, Action und Phantasie auszeichnet, einen Platz in der Welt der Literatur.
Naiza Khan
* 1968 Karachi, Pakistan; lebt dort.
Naiza Khans künstlerische Arbeiten sind ein persönlicher Aufschrei nicht nur gegen Klischees und Tabus, sondern auch gegen eine Erwartungshaltung mit der sich die Künstlerin immer häufiger in der muslimischen Welt konfrontiert sieht. Dinge, wie modische Dessous und mittelalterliche Keuschheitsgürtel, eingebettet in dekorative Pflanzenmotive, erhalten in der isolierten Darstellung fetischartigen Charakter.
Bharti Kher
* 1969 London, Großbritannien. Lebt in New Delhi, Indien.
Wie viele zeitgenössische indische Künstler spiegelt auch Bharti Kher ein modernes oder vielmehr postmodernes Lebensgefühl wider, eine Welt, in der Begriffe wie "Authentizität" selten ohne Anführungszeichen gebraucht werden und nationale Grenzen dank der Globalisierung für Produkte, Ideen und Bilder höchst durchlässig geworden sind, die zuvor nicht unbedingt weltweite Verbreitung genossen. Khers eigener kultureller Hintergrund - als Inderin in England geboren und aufgewachsen, lebt und arbeitet sie heute wieder in Indien - prädestiniert sie geradezu zur Beschäftigung mit Konzepten nationaler Identität.
Shahzia Sikander
* 1969 Lahore, Pakistan. Lebt in New York, USA.
Die in New York lebende Pakistanerin Shahzia Sikander arbeitet mit traditionellen sowie zeitgenössischen Techniken. Die verschiedenen Miniaturmalschulen des Indischen Subkontinents, auf die sie sich bezieht, werden Schicht für Schicht frei gelegt und neu zusammengesetzt. Auf diese Weise schafft sie einen virtuellen Raum, in dem Fragen der Identitäten neu diskutiert werden können. Die DVD-Animation "Pursuit Curve" (Pursuitkurve) bezieht sich im Titel auf eine mathematische Definition, die den Weg beschreibt, welcher von einem Objekt eingeschlagen wird, um einem anderen Objekt hinterher zu jagen. Der Verfolger wird aber seine Beute auf der Pursuitkurve nie erreichen. "Pursuitkurve" liefert uns einen Bilderzyklus, in dem Hierarchien verwischt werden und Gegensätze wie alt und neu, Zentrum und Peripherie, minimal und stilisiert hinterfragt werden.
Farhana Syeda
* 1972 Khulna, Bangladesch. Lebt in Dhaka, Bangladesch.
Farhana Syeda dokumentiert in ihren poetischen Fotoreportagen die Probleme muslimischer Migranten aus Bangladesch in den Slums von Delhi und Kalkutta. Sie reagiert auf international einseitige, sensationslüsterne Fotoberichterstattungen über Hungersnöte und Katastrophen in ihrer Heimat Bangladesch. Es entstand das "Dilliwale Projekt", welches von unterschiedlichen Migrationsformen, Hierarchien und städtischer Fragmentierung handelt. "Dilliwale Kaun" bedeutet rechtmäßiger "Bürger von Delhi" und ist genau das, was der illegale, arme muslimische Einwanderer aus Bangladesch nie sein wird. Die Reportage vermittelt den Eindruck von Entwurzelung, Ausgrenzung, sozialen Barrieren und religiöser Zuflucht.
Kuratorin: Simone Wille
Künstler*innen:
Hamra Abbas
Sarnath Banerjee
Naiza Khan
Bharti Kher
Shazia Sikander
Farhana Syeda
21. Okt 2005 - 22. Jan 2006