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Geschichte, Gebäude. Der Direktor über künstlerische Ausbildung und das Verhältnis zum Westen.
Von Knut Ebeling | Jun 2005Die Ecole Supérieure des Beaux Arts (ESBA) in Algier ist aus zwei Gründen eine ausgezeichnete Schule: Einmal, weil sie seit 1985 die einzige Kunsthochschule mit dem Supérieure-Prädikat in Algerien ist; und zweitens, weil sie sicher zu den best gelegenen künstlerischen Ausbildungsstätten der Welt gehört. Aus einem Palmengarten erhebt sich das in den fünfziger Jahren errichtete Gebäude auf einer Terrasse über das Mittelmeer. Kein Atelier, aus dem man nicht auf das Blau des Meeres schauen würde.
Interessanterweise spielt das Mittelmeer an der ESBA nicht nur eine optische Rolle. Gerade in jüngerer Zeit wird das Mittelmeerbecken in Algerien zu einem identitätspolitischen Reservoir, mit dem sich diverse Kulturprojekte neu zu positionieren suchen. Zwischen einem aufgeklärten Europa und einem islamischen Mahgreb bietet das Mittelmeer eine ebenso überzeugende wie funkelnde Alternative der Selbstbeschreibung - und nirgendwo funkelt es so wie von den Terassen der ESBA.
Wie studiert man Kunst in einer verschleierten Kultur? "Sehen Sie diesen Katalog", fragt Mohammed Djehiche, der Direktor der Hochschule, und zeigt eine Publikation mit einiger entblätterter Haut. "Den hat mir ein Künstler aus Frankreich geschickt, der gern hier ausstellen möchte. Ich werde ihn nicht zeigen können", sagt er ohne Bedauern. Warum sollte er auch etwas bedauern, das nicht in den kulturellen Wertekanon seines Landes passt. Er sehe sich nicht als Vorkämpfer westlicher Werte in der islamischen Welt. Die von Vanessa Beecroft ausgestellten nackten Frauen in der Berliner Nationalgalerie, die man auf ARTE aufmerksam verfolgte, stoßen in einem Land wie Algerien auf wenig Verständnis.
"Die verschiedenen Kulturen sind kein Problem, sondern ein Reichtum", verkündet Djehiche zunächst moderat. Später schlägt er kämpferischere Töne an: "Wir haben das Recht anders zu sein, wir haben das Recht auf eine eigene Vision der zeitgenössischen Kunst. Die Dinge mimetisch vom Westen zu übernehmen, kann uns zerstören". "Wir würden uns zum Subokzidenzialismus degradieren. Gerade in der Kunst haben wir genug Diktate gehabt", erklärt der mächtigste Kunsthochschuldirektor eines Landes, das über hundert Jahre französische Kolonie war und erst seit knapp einem halben Jahrhundert unabhängig ist.
Dabei war die Ecole Supérieure des Beaux Arts von Algier selbst eine Frucht des Kolonialismus, wie ihr Name bereits erkennen lässt. 1870 im Stil der französischen Belle Epoche gebaut, zog sie in den fünfziger Jahren in einen modernistischen Neubau, in dem die Kunsthochschule bis heute logiert. Erst nach der Unabhängigkeit im Jahre 1962 erhielt die Schule den ersten algerischen Direktor. Das koloniale neoklassizistische Erbe ist noch heute in den zahllosen Gipsabgüssen präsent, die alle Teile des Gebäudes und den Garten säumen, in dem sogar ein von Paul Belmondo, dem Vater des Schauspielers Jean-Paul Belmondo, in den vierziger Jahren gestiftetes Skulpturenpaar steht.
Eine Kunsthochschule in der Kolonie ist eine Kopierwerkstatt, und das Kopiergeschäft verläuft in beide Richtungen: Durch die Schule wurde nicht nur die abendländische Bildtradition samt ihrer enthüllenden Körperdarstellungen in das arabische Land importiert; der style arabisé - die abendlandkompatible Version einheimischer Formen und Formate - wurde seit 1905 in einem eigens eingerichteten Kopieratelier auch wieder retour nach Europa exportiert. "Auch wenn sich der Okzident für den Orient interessiert, will er ihn mit einer abendländischen Sauce essen", weiß der Saucenfreund Djehiche unter dem Bild seines Staatspräsidenten zu berichten, der in seiner wie in jeder algerischen Amtsstube hängt. Es gebe einen westlichen Blick auf die arabische Welt, von dem man sich erst dekolonialisieren müsse. Keine leichte Aufgabe, sich gerade von dem postkolonialen Erbe zu trennen, das heute mit dem Anschluss an die westliche Kunstwelt lockt.
Der Anschluss Algeriens nicht nur an die westliche, sondern auch an die internationale Kunstwelt ist auch bitter nötig. Das größte Problem der Kunsthochschule sei ihre Isolation in den neunziger Jahren gewesen. Während im Westen der Durchbruch der Spasskunst passierte, versank Algerien im dark age eines bürgerkriegsähnlichen nationalen Terrorismus, dem Hunderttausende zum Opfer fielen. Die Nachwehen dieses nationalen Traumas sind überall zu spüren - besonders in der Kunst. Die Beschäftigung mit dem Terrortrauma ist Thema Nummer eins der Kunst in Algerien. In der historischen Zitadelle von Algier, in der vor den Franzosen schon die Türken hausten, wird heute Kunst gezeigt - Gedächtniskunst. Hingebungsvoll widmet man sich nicht nur der nationalen Befreiung im Jahre 1962; präsenter noch spukt den algerischen Künstlern die Unfreiheit des Terrors im Gedächtnis herum.
Auch Kunsthochschulen beteiligen sich in Algerien an der Gedenkkultur - besonders dann, wenn ihr früherer Direktor Ahmed Asselah, der Vorgänger des jetzigen, einem brutalen Attentat auf dem Schulgelände zum Opfer fiel. Nicht nur eine Gedenktafel, auf der die exakte Uhrzeit des Anschlags vermerkt ist, verweist auf diesen Tag im Jahre 1994, auch mit einem alljährlichen Kunstfestival erinnert sich die Hochschule an die Zeiten des Terrors, die heute - inschallah (so Gott will) - vorbei sind.
Knut Ebeling
Autor zahlreicher Texte zu Philosophie und zeitgenössischer Kunst; lebt in Berlin, Deutschland.