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Interview mit der unabhängigen Kuratorin Mai Abu ElDahab über aktuelle Entwicklungen in Ägypten.
Von Pat Binder & Gerhard Haupt | Mär 2005Haupt & Binder: Wie erklären Sie die neue Dynamik in der Kunstszene Ägyptens seit den 1990er Jahren? Hat diese Erneuerung mit einem Generationswechsel zu tun? Wie geht die etablierte Kulturbürokratie mit solchen Veränderungen um? Oder, um die Frage anders herum zu stellen, wie kommen die jungen Künstler mit der Kulturadministration klar?
Mai Abu ElDahab: Ich wäre vorsichtig, das eine "neue Dynamik" zu nennen und würde eher von einem Wechsel der Mittel und Modalitäten der Produktion reden, der aber nur eine kleine Gruppe von Künstlern betrifft, deren Kunstausübung im weitesten Sinne unter den Begriff zeitgenössische Kunst fällt.
Natürlich waren die neunziger Jahre die Dekade des Informationsflusses und -überflusses und der, sagen wir mal, Verabschiedung des Makro-Narrativen, der relativistischen Politik, etc.. Solche soziokulturellen Veränderungen haben sich global ausgewirkt. (Ich bitte um Entschuldigung für die starke Simplifizierung, aber ich denke, Sie verstehen genau, was ich damit meine.) In Ägypten haben solche kulturellen Veränderungen - die der Technologie inhärent oder damit assoziiert sind sowie andere, die mit der Verbreitung des religiösen Extremismus und einem tiefgreifenden Wandel sozialer Strukturen zu tun haben - eine wichtige neue visuelle Kultur hervorgebracht. Die visuellen Codes und Sensibilitäten der Künstlergeneration der Neunziger wuchsen aus jenem diffusen Terrain hervor, wo Traditionalismus, Politik, zeitgenössische Kultur und Reste des Modernismus zusammentreffen. Man könnte diese neuen Praktiken im allgemeinen als kritisch gegenüber dem zeitgenössischen Leben in Ägypten und aus diesem hervorgehend ansehen. Sie stehen der propagandistischen Version offizieller populärer Kultur der Regierung deutlich antagonistisch gegenüber.
Gleichzeitig begann eine Reihe neuer kommerzieller Galerien (Townhouse, Espace Karim Francis, Cairo-Berlin, Mashrabia) damit, die neuen Künstler zu präsentieren und ihr Werk zu promoten. Erwähnt werden sollte auch das von diesen Galerien im Jahr 2000 initiierte und organisierte unabhängige Kunstfestival al-Nitaq, das leider nach nur zwei Editionen wieder eingestellt wurde. Nachdem sie die Unterstützung seitens der Regierungsstellen verloren hatten, wurden viele dieser Künstler als unabhängig abgestempelt. Aber sie haben keine gemeinsame Vision oder Position gehabt und sind nur in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber den öffentlichen Institutionen vereint. Da ist nichts Subversives im Spiel.
Das bringt mich zu Ihrer Frage nach der Beziehung zwischen solchen jungen Künstlern und der Kulturadministration. Das ägyptische Ministerium für Kultur ist gleich nach dem Verteidigungsministerium das am zweitbesten ausgestattete. Ägypten hat als Erbe der sozialistischen Ära des Landes eine ziemlich komplexe Infrastruktur für die Förderung kultureller Produktion und Aktivitäten. Allerdings ist diese Infrastruktur nur über die institutionalisierten Kanäle des Filzes und der Vetternwirtschaft zugänglich. (Ich will mich aber nicht weiter in die aktuelle politische und ökonomische Krise Ägyptens vertiefen. Solche Informationen sind ganz sicher für die Diskussion über die Lage der Kunst- und Kulturproduktion in Ägypten nützlich, aber ich denke, sie sind all jenen, die mehr darüber wissen möchten, leicht verfügbar.) Letztendlich gibt es eine tiefe Kluft zwischen den beiden Fraktionen, überschattet von Animosität, aber obschon sich die Distanz vergrößert, prallen sie selten ernsthaft aufeinander. Diese Künstler sind mehr und mehr in die internationale Kunstszene involviert und können aus einer Verbindung mit den offiziellen Institutionen ohnehin kaum noch Gewinn ziehen.
H&B: Wie sehen Sie im Kontext dieser Entwicklung Ihre Rolle als junge unabhängige Kuratorin? Entsteht in Ägypten auch eine neue Generation von Kuratoren? Ausgehend von Ihren Erfahrungen als freischaffende Kuratorin, Kulturmanagerin, Kunstspezialistin in Ägypten und Ihrer Beteiligung an internationalen Projekten und Aufenthalten in Ausland, was würden Sie als die größte Herausforderung bei der Realisierung unabhängiger Projekte in der Region bezeichnen?
Abu ElDahab: Wenn man als Kurator in Ägypten arbeitet, vor allem freischaffend, muss man verschiedene Rollen ausfüllen, die zum großen Teil in die Zuständigkeit der Kulturadministration fallen würden. Im Gegensatz zu den Verhältnissen in Europa, wird man als freischaffender Kurator in Ägypten nie für ein lokales Projekt verpflichtet; es gibt dafür weder die Institutionen noch die Rahmenbedingungen. Das heißt, jedes Projekt muss man selbst von A bis Z (Konzept, Ort, Finanzierung, Öffentlichkeitsarbeit, etc.) in einem Kontext organisieren, in dem das Publikum nicht an diese Art der Aktivität gewöhnt ist. Deshalb ist das ein extrem schwieriger Prozess.
Ich denke nicht, dass ich für die ganze Region sprechen kann, aber ich kann über Ägypten reden. (Die aktivsten Kunstszenen der Region sind in Ägypten, Libanon und Palästina; ich bin keine Autorität für die Lage in Libanon, und die Probleme in Palästina dürften bekannt sein.) Es gibt ein Defizit an Finanzierungsmöglichkeiten, sei es im Regierungs-, im privaten oder im institutionellen Sektor; es gibt Zensur, und es fehlt ein kunstkritischer Diskurs. Die größte Herausforderung in Ägypten ist, wie auch immer, die Tatsache, dass man unter diesen zunehmend schwierigeren Bedingungen immer wieder die Motivation für die eigene Arbeit finden muss. Wenn man aber unter diesen permanent instabilen Umständen ein Projekt letztendlich realisieren konnte, ist man zutiefst von dem Gefühl erfüllt, etwas erreicht zu haben zutiefst.
H&B: Hat das wachsende internationale Interesse an zeitgenössischer ägyptischer Kunst in den letzten Jahren die Situation im Lande selbst in irgendeiner Weise beeinflusst? Meinen Sie, dass dieses Interesse tatsächlich zugenommen hat - und wird es anhalten?
Abu ElDahab: Wenn Sie von der "Situation im Lande selbst" reden, vermute ich, Sie beziehen sich auf den Bereich der zeitgenössischen Kunst. Diesbezüglich würde die Antwort eindeutig positiv sein. Jetzt haben die Künstler mehr praktisches Know-how, wenn sie mit der Dynamik des internationalen Marktes zu tun haben, und sie sind sich des "modischen Augenblicks", den sie erleben, durchaus bewusst. Positiv ist, dass die Künstler besser über die Praxis und die Diskurse des internationalen Kunstgeschehens informiert sind, ebenso über institutionelle Rahmenbedingungen und Möglichkeiten. Die hiesige Kunstszene ist viel weniger isoliert als bisher; die regionalen Verbindungen haben sich entwickelt, es gibt mehr Zugang zu Produktionsmöglichkeiten. Negativ ist, dass dieser Aufschwung der Produktion und die sie begleitende Aufmerksamkeit, die ihr von verschiedenen privaten und institutionellen Kanälen entgegengebracht wird, langfristig wenig Auswirkungen auf die Entwicklung der lokalen Kunstszene haben werden, wenn nicht eine gemeinsame Vision entsteht, die zur Entwicklung einer Infrastruktur der Kunst führt, die Bildung, Fortbildung und Entwicklung von Ressourcen einschließt. Andernfalls würden die Vorzüge dieses internationalen Interesses nur vorübergehend sein.
Sicher ist das Interesse (und Desinteresse) an der arabischen Welt als ganzes immens gewachsen, insbesondere nach dem 11. September und dem Irakkrieg. Das steht außer Frage. Doch konzentrierte es sich bislang im allgemeinen darauf, ägyptische oder arabische Künstler im westlichen Kontext in Ausstellungen zu zeigen, deren Themen geographisch strukturiert sind und die in den meisten Fällen in offiziellen Kultureinrichtungen stattfinden. Schaut man sich solche Ausstellungen an, wie Contemporary Arab Representations, Dis-Orientation und andere, dann wird klar, dass Fragen der Repräsentation und ihrer Modelle noch lange nicht befriedigend beantwortet sind. Arabische Künstler werden in Schubladen gepackt, sei es durch aufkommende nationalistische Strömungen oder durch eine internationale Repräsentationen, die von einer manipulativen politischen (oder oft naiven kulturellen) Polemik geleitet sind. Die Auseinandersetzung mit solchen Aspekten wird in der arabischen Welt zunehmend komplexer.
H&B: Wie gehen Sie selbst mit dieser Situation um? Was würden Sie empfehlen? Welche Projekte planen Sie in der nahen Zukunft in Ägypten?
Abu ElDahab: Ich finde es sehr schwierig, sich in einer so komplexen Angelegenheit zu positionieren. Doch versuche ich, mich von der Repräsentationsdebatte zu distanzieren. Ich denke, wenn man sich auf die Rhetorik eines "Wir und die Anderen" überhaupt erst einlässt, bestätigt man unweigerlich deren Gültigkeit, egal welche Position man selbst dazu haben mag. Einen bestimmten Ansatz kann ich nicht empfehlen. Ich finde es aber wichtig, politisch bewusst und immer wachsam gegenüber der Dynamik dieses sogenannten Ost-West-Wechselspiels zu bleiben. Es ist letztendlich gefährlich - und das Ergebnis kann besonders schwerwiegend sein - wenn komplexe Sachverhalte erörtert werden sollen, indem man ganz allgemeiner Begriffe benutzt - und das ist etwas, was ich an der vermeintlich linksorientierten Politik vieler Kulturpraktiker satt habe.
Zur Frage nach meinen Projekten in naher Zukunft: Ich habe derzeit einige zeitaufwendige (aber auch spannende) Verpflichtungen in Europa, und das könnte meine Möglichkeiten, mich mit Projekten in Ägypten zu beschäftigen, einschränken. Trotzdem versuche ich gegenwärtig, die Idee eines internationalen Programms für Künstleraufenthalte in Kairo zu entwickeln, das gleichzeitig als Plattform für Verbindungen zu interessanten internationalen Institutionen und als Stätte für die künstlerische Produktion funktionieren soll. Ich hoffe, das kann im nächsten Winter anlaufen.
Anmerkungen:
Pat Binder & Gerhard Haupt
Herausgeber von Universes in Universe - Welten der Kunst. Leben in Berlin.
Mai Abu ElDahab
Freischaffende Kuratorin. Lebt in Kairo, Ägypten.
Wirkte an der Produktion von Projekten der visuellen Kunst mit, kuratierte Ausstellungen und schrieb für Institutionen über zeitgenössische Kunst, darunter: Ford Foundation (Kairo), Townhouse Gallery (Kairo), Young Arab Theatre Fund (Brüssel), Visiting Arts (London), Officina para Proyectos de Arte - OPA (Guadalajara, Mexiko), The Museum of Contemporary Art - MACRO (Rom), Platform Garanti (Istanbul), Centro de Arte Santa Mónica (Barcelona), e-flux (New York).
Curator-in-residence am ISCP, New York, 2005. Ko-Kuratorin der Manifesta 6 in Nikosia, Zypern, 2006.