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International aktive palästinensische Kunstinstitution in Ost-Jerusalem, geleitet von Jack Persekian.
Von Alia Rayyan | Mär 2005Wie die palästinensische Al Ma'mal Foundation for Contemporary Art im Umgang mit alltäglichen schwierigen Bedingungen überzeugende Maßnahmen findet
Ehemalige Krisenherde entdecken das Potenzial "Kunst", Biennalen abseits des Establishments erleben ihren High-noon, und Fragen zum Umgang mit neuen kulturellen Identitäten, fortschreitender Mobilität sowie Infragestellung und Veränderung des Ortes im Zeichen der Globalisierung sind ein nicht abreißendes Thema. Die Kunst der Peripherie fordert die Metropolen heraus, und ihre Künstler und Kuratoren versuchen mit neuen Präsentationsformen zu reagieren. Inmitten der Suche nach Darstellungsformen und Lösungen im Umgang mit wandelnden Bezugsrahmen kommt eine kreative Antwort aus Palästina, wo die Konfrontation mit dem "Nicht-Ort" zur täglichen Übung gehört. Wie das?
Besatzung, Oslo, Interimsabkommen und Intifada geben die Koordinaten vor, innerhalb derer Künstler und Aussteller agieren müssen. Koordinaten, deren Willkürlichkeit eine enorme Flexibilität im Reaktionsvermögen voraussetzen. Cyberspace Palestine. Bereits vor dem Einzug der virtuellen Lebenswelt mussten Palästinenser lernen, mit irrealen und extrem anmutenden Existenzformen umzugehen. Was ursprünglich als Nachteil galt, kann sich im Zuge der Globalisierung und des Infragestellens fester Formate als Vorteil erweisen. Eine Ironie des Schicksals, die die palästinensische Stiftung für Gegenwartskunst Al Ma'mal Foundation for Contemporary Art begriffen hat und in ihrer Arbeit umsetzt. Das jüngste Zukunftsprojekt der engagierten Stiftung kann als Spiegel der gesellschaftlichen Situation und Resultat der vorgegebenen Lebensbedingungen angesehen werden: CAMP, Contemporary Art Museum Palestine. Ein Museum, dass der "gegenwärtigen kulturellen Identität des palästinensischen Volkes nicht nur die internationale Anerkennung zusichern möchte, sondern auch der ungleichen Erfahrungen der palästinensischen Bevölkerung Raum geben soll", so der Initiator und Stiftungsleiter Jack Persekian. Ein Museum ohne festen Ort - ein Bruch mit Erwartungshaltungen, Vorgaben und herrschenden Dogmen - passend zum Dasein derer, die es reflektiert.
Der Leiter der Stiftung, Jack Persekian, ist selbst ein Beispiel für das Infragestellen von Identitätsvorgaben und führt unsere Vorstellungen in die Irre. Mit seiner markanten schwarzen Brille erinnert der heute 42jährige eher an einen französischen Existenzialisten der 60iger Jahre, sein Name verrät die armenischen Wurzeln und sein Kleidungsstil die Liebe zum Detail. Allein der schwarze Humor lässt Rückschlüsse auf eine typisch palästinensische Eigenart zu, die erschwerte Lebenssituation zu meistern. Doch was heißt schon typisch palästinensisch? Heute gilt der ursprüngliche Wirtschaftswissenschafter als einer der wichtigsten Ansprechpartner, Promoter und Kuratoren der gegenwärtigen jungen Kunst.
Die Kunstszene in Palästina ist nicht groß, enthält nicht die hyperszenische Eleganz Beiruts und kann als Peripherie innerhalb der Peripherie bezeichnet werden. Dennoch hat sie im letzten Jahrzehnt eine rasante Entwicklung an den Tag gelegt und ist auf der internationalen Plattform angekommen. Die Kunstszene hat scheinbar das erreicht, was in der Politik noch vermisst wird: als gleichberechtigter Partner aufzutreten.
Ein wichtiger Katalysator dieser positiven Entwicklung ist die genannte Al-Ma'mal Foundation, an deren Anfang zunächst die Galerie Anadiel stand, gegründet in den frühen neunziger Jahren von Jack Persekian. Mit der Gründung dieser ersten palästinensischen Galerie hat Persekian eine Entwicklung in Gang gesetzt, deren Ausmaße damals nicht absehbar waren. Die zunächst kommerziell ausgerichtete Galerie entwickelte sich bald zum Dreh- und Angelpunkt der jungen palästinensischen Szene. Wirtschaftlicher Druck und das wachsende Interesse an Palästina jenseits des Klischees nach dem Osloer Abkommen öffneten die Tür für Besuchs- und Austauschprogramme von Künstlern, deren Aufenthalte die Existenz der Galerie sicherten und lokalen Künstlern den Zugang zur internationalen Kunstwelt erschlossen. Mit der Einbeziehung von palästinensischen Vertretern der Diasporakunstszene, wie Mona Hatoum, Nasser Soumi oder Jumana El-Husseini, erprobte man den innerpalästinensischen Diskurs um Repräsentationsformen, Reflexionen zu Identität und Moderne, Beziehung zu Heimat, Ursprung und Geschichte und thematisierte damit bereits früh die Paradigmen multipler Identitäten, bevor das Thema auf dem internationalen Parkett zur Worthülse schrumpfte.
1997 folgte der naheliegende Schritt einer sich abzeichnenden Entwicklung - die Gründung der Stiftung Al-Ma'mal. Am Anfang noch als loser Zusammenschluss von Künstlern, Kuratoren und Aktivisten angelegt, ist Al-Ma'mal heute eine klar strukturierte kleine Kunstwerkstatt mit 13 Vorstandsmitgliedern aus der palästinensischen Kulturszene, vier Vorstandsdirektoren sowie fünf MitarbeiterInnen. Im Herzen der Altstadt von Jerusalem liegt die Schaltzentrale mit dem kleinen Ausstellungsraum der Stiftung, von der aus die drei Hauptprogramme gesteuert werden: Artist-in-Residence, das Jerusalem-Netzwerk und das Informationsprogramm. Lokale und externe Künstler leben und arbeiten für 4 bis 8 Wochen in Jerusalem, nehmen an Workshops in der West Bank und Gaza teil und sind vor allem an Jugendprogrammen mit palästinensischen Schulen, Vereinen und Universitäten beteiligt. Welch hohes Niveau die Arbeit erlangen konnte, ist in der 2001 veröffentlichten Publikation "Xposure", einem Fotoband mit Arbeiten u.a. von Beate Streuli, Peter Riedlinger und Raeda Saadeh, sowie im Bildband "Workbook" aus dem Jahr 2004 dokumentiert.
Die inspirierende Arbeitssituation hat sich mittlerweile in der internationalen Szene herumgesprochen und zieht immer mehr Interessenten von außerhalb an, darunter zum Beispiel die KünstlerInnen Jananne AI-Ani, Eyse Erkmen, Ayreen Anastas und Phil Collins. Die direkte Konfrontation mit der extremen Lebenssituation inspiriert zu einer Entsprechung in den Arbeiten, wie kürzlich durch Collins Dance-Video Marathon Installation "They shoot horses" vor Augen geführt wurde: einer Dokumentation zweier Gruppen palästinensischer Jugendlicher, die 18 Stunden ununterbrochen bis zum Umfallen tanzen - eine Arbeit über Heroismus, Kollaps, Ausbeutung und Überlebenswillen. Durch seiner Rolle als Kurator konnte Persekian das Jerusalem-Netzwerk über die eigenen Grenzen hinweg weiterspinnen und mittlerweile nicht nur jungen palästinensischen, sondern auch anderen arabischen KünstlerInnen den Sprung auf die internationale Kunstplattform ermöglichen. Beispiele dafür sind die Biennale von São Paulo 1998 sowie die von Persekian kuratierten Ausstellungen "In weiter Ferne so Nah" in den ifa-Galerien Stuttgart und Berlin 2001-2002 und "DisOrientation" im Haus der Kulturen der Welt in Berlin 2003.
Aber die Bedeutung des Netzwerks für das Überleben der Stiftung ist nicht nur rein finanzieller Natur. Verschärfte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in den letzten Jahren, der damit verschlechterte Zugang zu Ressourcen und die Stagnation des Friedensprozesses stellen das Durchhaltevermögen von Künstlern und Stiftungsmitarbeitern auf eine harte Probe. Um so bedeutender ist das neue Projekt der Stiftung, das die Kräfte auf die Zukunft richtet: das Contemporary Art Museum Palestine (CAMP), das ohne festen Sitz auskommen soll. Mit einer Wanderausstellung von Werken aus dem Besitz der Al-Ma'mal Foundation und der Anadiel Galerie sowie weiteren Projekten und Aufträgen soll das CAMP jedes Jahr in einem anderen internationalen Museum gemeinsam mit einem Gastkurator präsentiert werden. Während der Vorbereitung solcher Ausstellungen sollen zusätzlich eine oder mehrere Personen aus Palästina an Trainingsprogrammen für Kultur- bzw. Museumsmanagement teilnehmen. Ein Kreis aus Repräsentation palästinensischer Gegenwartskultur, Ausbildung und politischer Aussage beginnt sich zu schließen. Es ist ein ambitioniertes Projekt mit multiplen Funktionen, dessen Dasein einem intelligenten Statement mit Ausrufezeichen gleichkommt, ein Stück Cyberspace Palestine mehr. Betrachtet man die Charakteristika der palästinensischen Identität und den gegenwärtigen Stand der Dinge, ist ein Museum ohne Ort ein logischer Umkehrschluss, dessen Umsetzung allerdings nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten gehen dürfte. Aber was geschieht in den palästinensischen Gebieten schon ohne schwierige Umstände für die Bewohner? Auf die Frage, wie lange das CAMP als Wanderausstellung geplant ist, folgt erwartungsgemäß die ebenso konsequente Antwort: "Solange wie wir auf die Gründung des palästinensischen Staates warten müssen". Wir hoffen, nicht zu lange.
Alia Rayyan
Geb. 1974, palästinensisch/deutscher Herkunft. Pendelt zwischen Berlin, Beirut und Ramallah. Arbeitet als auf den Mittleren Osten spezialisierte Kulturmanagerin und Beraterin. Schreibt für verschiedene Publikationen.