Für eine optimale Ansicht unserer Website drehen Sie Ihr Tablet bitte horizontal.
Die Galerie in Kairo, ein Zentrum alternativer Kunst, im Kontext der aktuellen ägyptischen Kunstszene.
Von Negar Azimi | Aug 2004Die Townhouse Gallery war im Jahre 1998 im ersten Stock eines klapprigen Baudenkmals vorrevolutionärer Ästhetik im Herzen von Kairos zentralem Mechanikerviertel gegründet worden - einem Innenstadtviertel mit Boheme-Flair, einstmals besonders beliebt bei Büchernarren, Kunststudenten und sonstigem buntem Völkchen. Während der Direktor William Wells keinerlei Vorstellung davon hatte, in welcher Richtung sich die Galerie schließlich entwickeln würde, war die Reaktion auf die Eröffnung der Townhouse Gallery beachtlich - der Impuls, der davon ausging weit mehr.
Wells Timing war hier von besonderer Bedeutung. Historisch gesehen hatten sich mangelnde Finanzierungen in Ägypten außerhalb von staatlichen Kanälen (der Staat war lange Zeit primärer Schirmherr der Künste), ein Mangel an strengen Kritikern und der fehlende Zugang zu alternativen Medien neben zahllosen anderen Faktoren als sehr kräftezehrend erwiesen und für den Erhalt des Status Quo bei den Künsten gesorgt. Unter solchen Gegebenheiten fand die den bildenden Künsten zuströmende Energie naturgemäß ein Zuhause in der Handvoll Privatgalerien (darunter auch im Townhouse), an Orten also, die sich der dekorativen und kommerziellen Mannigfaltigkeit widersetzten, die so lange Zeit Kairos Nobelbezirke und in großem Maße auch den Sammlermarkt dominiert hatten. Der Boden war bereitet für eine der aufregendsten und umwälzendsten Bewegungen in der zeitgenössischen Kunst – eine, die sich über die Diktate der Kulturmakler oder wenig differenzierende Massenprojekte im Stil der Postmoderne hinwegsetzt.
Das Nitaq-Festival, das sowohl im Jahre 2000 als auch 2001 abgehalten worden war, ist vielleicht eines der offenkundigsten Anzeichen dafür, dass die ägyptische Kunstszene, so wie wir sie kannten, eine drastische Veränderung erfahren hat. Dieses Kunstfestival im Stadtzentrum - eine Initiative von drei privaten Galerien (Karim Francis, Mashrabia und das Townhouse) - löste eine beispiellose Begeisterung in der Stadt aus und, was vielleicht noch wichtiger ist, eröffnete eine neue Sicht auf die Ambitionen einer neuen Generation von Künstlern, die innerhalb von Idiomen arbeiten, die sich den vorherrschenden Auffassungen von zeitgenössischer Kunst widersetzten. Speziell das zweite Nitaq-Festival, das am Tag der Eröffnung der Biennale von Kairo 2001 startete, sollte eine Off-Version sein, und zwar in jeder Hinsicht. Während man sich bei der Biennale auf die Tradition verließ – was sowohl das Konzept als auch die kuratorische Arbeit betraf, erwies sich Nitaq als äußerst unkonventionell, brach mit starren Konzepten bezüglich der Verwendung von Raum und Medium und veränderte drastisch das Potential für die Dematerialisierung des Kunstobjekts. Wie es sich für wahrhafte Vertreter der Postmoderne gehört, war für die Künstler der Nitaq die mit konzeptuellen Tendenzen umgesetzte Multimediainstallation die bevorzugte Ausdrucksform. Etliche Nitaq-Künstler, darunter Lara Baladi, Amina Mansour, Hassan Khan, Wael Shawky und Mona Marzouk, sind seitdem verstärkt auf internationalen Ausstellungen vertreten.
Während die Nitaq-Initiative nach dem zweiten Jahr in der verschwommenen und chaotischen Kulturpolitik unterging, sind eine Reihe von Veranstaltungen initiiert worden, die diese Energie wieder erschaffen haben, darunter besonders hervorzuheben die PhotoCairo und das Offene Studio-Projekt des Townhouse (Letzteres ist ein zweiwöchiges internationales Residency-Programm). PhotoCairo, Ägyptens erstes der Fotografie gewidmetes Ausstellungsprogramm, lieferte den Beweis für die Macht der Fotografie in diesem Kontext - bislang ein weitestgehend unerforschtes Feld. Die Mission des Programms, das 2002 ins Leben gerufen und 2003 erneut durchgeführt wurde, besteht darin, die Aufmerksamkeit auf das enorme Potential der Fotografie als Medium und auf ihren Wert als ein Mittel zum Selbstausdruck zu lenken. Die Galerie bereitet gegenwärtig die 2004er Versionen sowohl von PhotoCairo als auch vom Offenen Studio-Projekt vor.
In der Zwischenzeit hat das Townhouse seit seiner Entstehung vor sechs Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung genommen. Ohne jemals ein traditioneller Galerieraum gewesen zu sein, hat das Townhouse in Bezug auf die Bedürfnisse seiner Umwelt einen regelrechten Wachstumsschub erfahren. Hier ist der Begriff Raum vor allem für das Selbstkonzept von entscheidender Bedeutung, dient doch das Townhouse all jenen als Plattform, die anderenfalls keinen Zugang zu einer solchen haben würden - angefangen von Theatergruppen, die Probenräume brauchen, bis hin zu Film- und Videomachern, deren Ankündigungen es bis in die monatlichen Filmprogramme schaffen, oder sogar Kindern, die aus Flüchtlingsfamilien stammen (die Galerie hat im vergangenen Jahr regelmäßig Kunst-Workshops in diesem Bereich durchgeführt). Gegenwärtig ist man dabei, eine anspruchsvolle Präsenzbibliothek für den Bereich der Künste aufzubauen.
Geographie. Die geographisch zentrale Lage begünstigt das Agieren des Townhouse im Raum. Die Galerie, die an der Kreuzung zweier Straßen inmitten des erwähnten Automechanikerviertels liegt, ist eine Art städtischer Mikrokosmos. Die Beziehungen der Galerie zur Straße und ihren Bewohnern hat einen nahezu anthropologischen Ansatz in der Arbeit bewirkt. Die jungen Männer, die die Galerie führen, arbeiten hier täglich und stammen aus der besagten Nachbarschaft, während die Galerie die Dienstleistungen der Straße unentwegt beansprucht - sei es für Elektro- oder Bauarbeiten oder andere handwerkliche Leistungen. Mit den Bewohnern der Straße werden regelmäßige Treffen durchgeführt, auf denen über Beschlüsse gesprochen wird, die eine Auswirkung auf die örtliche Dynamik haben, während das Erdgeschoss der Galerie von der Nachbarschaft als Gebetsraum genutzt wird. Es ist in der Tat so, dass sich die Galerie und ihre Befindlichkeiten umfassend aus dem Umfeld speist und umgekehrt.
Während die Townhouse Gallery Mittelpunkt einer Vielzahl eigenständiger Aktivitäten in Ägypten war und ist, gibt es eine wachsende Zahl von Initiativen, die ortsunabhängig in der Stadt laufen. Während der PhotoCairo 2003 beispielsweise haben etliche Studenten der städtischen Kunsthochschule im Rahmen ihrer autonom organisierten Ausstellungen Straßenfassaden, Internetcafes und leer stehende Studioräume genutzt, um ihre Arbeiten zu zeigen.
Eine Reihe von kulturellen Institutionen, unter anderem das El-Sawy Zentrum und Al Mawred Al Thaqafy, haben Tätigkeitsfelder, die die bildenden Künste gewissermaßen mit einbeziehen. Alle diese unabhängigen Aktivitäten verheißen für die Kunstszene viel Gutes.
Das kollektive Bewusstsein ist ein anderes geworden; Kunstmagazine widmen inzwischen ganze Ausgaben der arabischen Welt (ein bequemes, wenn nicht gar naives Schutzschild), Künstler werden von Galerien nach Europa und Amerika geholt, und zum ersten Mal in der Geschichte kann sich Ägypten dreier unabhängiger, ausgewählter Beiträge auf der jüngsten Biennale in Venedig rühmen (Sabah Naiem, Moataz Nasr und Shawky). Kuratoren, Spitzenleute und weniger bekannte gleichermaßen, kommen weiterhin über das Mittelmeer - wenn auch mitunter auf kriminell schnelle Weise (sprich, als eine Art abgesegneter Einkaufstouren).
Trotz der aufgezeigten Impulse gibt es nach wie vor Hindernisse in Ägypten und der Region insgesamt. Besonders auffällig (unter den Hindernissen) ist hier vielleicht der Umstand, dass die Politik eigentlich mit den Künsten verbandelt bleibt - möglicherweise unvermeidlich in einem Staat, wo Ausdruck prämiert wird. Im Ergebnis ist besonders die ägyptische Kunstszene ganz offensichtlich gespalten, der Schnitt verläuft zwischen dem offiziellen Kunstbereich …und allen anderen. Alle anderen wickeln ihre künstlerischen Aktivitäten gewöhnlich über die Handvoll autonomer Galerien ab, auch über Einzelinitiativen von Künstlern und sporadisch entstehenden Kulturzentren. Auch wenn die erwähnte Spaltung mitunter hochgespielt wurde (zweifellos um bestimmte Interessen zu bedienen), ihre Existenz ist dennoch unbestritten.
Nichtsdestotrotz machen die Kulturschaffenden weiter. Künstler beschreiten weiter kühn neue Wege. Während der Zugang und die Plattform für die neue Generation von ägyptischen Künstlern zweifelsohne mit der verlockenden Kulturpolitik einer Welt nach dem 11. September verbunden ist, bleibt die Frage, ob diese Aktivität und das Interesse vielleicht nur eine vorübergehende Erscheinung sind, oder aber ob ihre Fundamente vielmehr für etwas viel Größeres als das errichtet worden sind. Ich neige dazu, Letzteres zu glauben.
Negar Azimi
Studentin im Aufbaustudium an der Harvard Universität. Sie hat von 2002 bis 2004 als kuratorische Assistentin in der Townhouse Gallery gearbeitet.
Leitung: William Wells