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Künstler, Theoretiker, Kunstpromotor in Dubai; Leitfigur einer nach neuen Wegen suchenden Szene. Ein Besuch in seinem Atelier 2004.
Von Pat Binder & Gerhard Haupt | Jul 2004Nach einem fünfjährigen Kunststudium in London kehrte Hassan Sharif 1984 nach Dubai zurück. Bei sich zu Hause wollte er zu einer neuen Kunstauffassung beitragen, den Blick für das internationale Geschehen öffnen und eine produktive Auseinandersetzung damit erreichen. In den Vereinigten Arabischen Emiraten wurde er zum Initiator eines experimentellen Bemühens um künstlerische Entsprechungen für ein hybrides Identitätsbewusstsein, in dem die Erinnerung an die noch nicht lange zurückliegende Vergangenheit nomadisierender Beduinenstämme mit einer hypermodern daherkommenden Gegenwart vereinbar ist. Seit Hassan Sharif Mitte der 1980er Jahre die Gruppe der Fünf [1] gründete, ist er die Leitfigur einer sich immer wieder verjüngenden Szene geblieben, die nach neuen Wegen in der Kunst und im Leben sucht.
Sein Haus sei schwer zu finden, sagte Hassan Sharif am Telefon und schlug uns ein nahe gelegenes Hotel als Treffpunkt vor. Er und ein Freund, der aus Indien stammende Filmemacher Valsalan Kanara, warteten in der Lobby einer Nobelherberge an der futuristisch anmutenden Sheikh Zayed Road, im südlichen Teil von Dubai, auf uns. Schon auf dem wilden Parkplatz 100 Meter weiter begann das staubige Hinterland der Boomtown, die an dieser Stelle im Grunde nur ein beidseitig bebauter Highway ist. Gleich daneben liegt das ältere Viertel mit einfachen, höchstens zweigeschossigen Gebäuden, in dem Hassan Sharif wohnt.
Solange es noch etwas Schatten gab, saßen wir auf dem Hof des kleinen Hauses zwischen Hibiskus- und Juccapflanzen. Hier entstehen die Arbeiten von Hassan Sharif, hier reißt, faltet, schichtet, klebt, bindet, knüpft er seine rustikalen Objekte aus Pappe, Kartons, Tuch, Baumwollresten, Draht und anderen "unedlen" Materialien. Viele fragen ihn, was daran Kunst sein soll. Tatsächlich, meint er, "ist das so simpel, jeder könnte das machen, und das betone ich ja gerade auch. Aber zu diesen Werken gehört ein nicht sichtbarer Teil: mein Denken, mein Schreiben, meine Theorie, meine Philosophie."
Ein wichtiger Faktor sei die Zeit. Jedes Werk entstehe durch eine längere Wiederholung immer derselben Handgriffe, wie eine Meditation, aber nicht in der islamischen Tradition, sondern vielmehr in einem modernen bzw. postmodernen Sinne. In gewisser Weise materialisiere sich dieser Prozess in jedem Objekt, das die für seine Erschaffung aufgebrachte Zeit in sich trägt. Bei den jüngeren Werken kommt eine weitere Dimension hinzu. Hassan Sharif hebt nunmehr die Markennamen auf den verarbeiteten Kartons deutlich hervor, "denn wir leben in einem Land von Konsumenten, die Logos repräsentieren unsere Epoche. Ich muss meine Objekte nicht mehr datieren, man erkennt ihr Entstehungsjahr allein schon an der Verpackung, die ich dafür benutzt habe."
Diese Kunst steht der märchenhaft reichen Glitzerwelt, auf die das Image von Dubai so gern beschränkt wird, diametral entgegen. Es verwundert nicht, dass sie der vom schönen Schein faszinierten Oberschicht für Repräsentationszwecke völlig ungeeignet erscheint und auf Unverständnis stößt. Hassan Sharif meinte zu diesem Thema: "Immer kommt neue Kunst erst dann zum Zuge, wenn sich eine Gesellschaft bereits etabliert hat, und unsere Gesellschaft ist sehr jung, denn die Vereinigten Arabischen Emirate wurden 1971 gegründet. Wir haben kein Problem mit der Regierung, aber viele Autoritäten unseres Landes bevorzugen nun mal traditionelle Künstler, die ihnen die Pferde und Kamele malen, die sie so sehr mögen. Wir können auch malen, aber wir versuchen, etwas Neues auf ganz andere Art auszudrücken. Man hat in uns investiert, indem man uns zum Kunststudium ins Ausland schickte, und nun bemühen wir uns, die Resultate eben dieser Ausbildung und unsere Erfahrungen unserem Land zurückzugeben, aber das scheint einigen dann doch zu modern zu sein. Man nimmt uns nicht fest oder zensiert uns, wir werden durchaus respektiert, aber unsere Kunst wird nicht verstanden und deswegen nicht genügend unterstützt."
Allerdings hat sich die Lage durchaus schon geändert. Seit Mitte der 1990er Jahre war der Kreis um Hassan Sharif in wichtigen Ausstellungen im In- und Ausland vertreten. Die Gruppe der Fünf wurde u.a. 1994 nach Holland und 2002 ins Ludwig Forum in Aachen (Deutschland) zu größeren Präsentationen eingeladen. Bei der 6. Sharjah Biennale im April 2003 erhielt Sharif eine der speziellen Ehrungen. In unserem Gespräch relativierte das zuvor Gesagte denn auch, indem er betonte, er beziehe sich weniger auf die Regierungen der Emirate Dubai und Sharjah als vielmehr auf die Zentralregierung in Abu Dhabi. Aber mittlerweile könne die Kunstauffassung, die er und andere Künstler vertreten, kaum noch ignoriert werden, wozu die Anerkennung aus dem Ausland maßgeblich beigetragen hätte. "Nach mehr als 30 Jahren Kampf hat die junge Generation jetzt bessere Chancen, anerkannt zu werden, und das macht mich glücklich und hinsichtlich der Zukunft zuversichtlich und optimistisch."
Hassan Sharif unterstützt jüngere Künstler aktiv durch seine Texte, sein Wissen, seinen Rat und die Ermutigung, die er ihnen zuteil werden lässt. Früher gab er selbst Workshops, aber das überlässt er jetzt lieber seinen Kollegen der nächsten Generation. Zwei von ihnen, Mohammed Kazem und Khalil Abdul Wahid, kamen später zu unserem Treffen hinzu und erzählten uns ausführlich über ihre Aktivitäten und ihre Pläne [2].
Anmerkungen:
Pat Binder & Gerhard Haupt
Herausgeber von Universes in Universe - Welten der Kunst. Leben in Berlin.
Hassan Sharif
1951 - 2016 Dubai
Vereinigte Arabische Emirate