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Über visuelle Kommunikation und die Lehrtätigkeit der Autorin in Beirut. Arbeiten von Studenten.
Von Nathalie Fallaha | Sep 2004Lokales Flair: Grafikdesign-Unterricht im Libanon
Mittlerweile ist für mich ein Punkt erreicht, wo Design als visuelle Sprache in regelmäßigen Abständen neu zu definieren ist; statische Definitionen haben heute eine wesentlich kürzere Lebensdauer.
Ich sehe Grafikdesign als einen Prozess an, bei dem Verbales und Nonverbales in eine visuelle Sprache übersetzt wird; als eine Suche nach weiteren Möglichkeiten, Bedeutungsinhalte mittels Typographie, Bildsprache, Darstellung und Struktur zu vermitteln, eine Suche, bei der Grenzüberschreitungen zu einer alltäglichen Erscheinung werden. Design ist die vermittelnde Kraft, die zwischen dem schwingt, was die Bedeutung für uns Designer ausmacht und dem, was beim Publikum ankommt.
In der Art und Weise, wie Design Informationen vermittelt, berücksichtigt die Botschaft deren Eigenart, aber auch die visuellen Parameter, auf die sich die Empfänger beziehen. Visuelle Sprache ist ein Vektor der Kommunikation zwischen Sender und Empfänger; beide sprechen und teilen denselben Code oder dieselbe Sprache.
Sprache ist das Markstück des Zusammenspiels von Mythen, Erinnerungen und anderen bedeutsamen Symbolen, die für das Entstehen eines Zugehörigkeitsgefühls so wesentlich sind.
Wie können wir - als Designlehrer in einem eklektischen kulturellen Kontext – die Erkenntnis von dem vermitteln, was lokal ist, wenn dieses sich fortwährend verändert?
Und müssen wir das überhaupt?
Das libanesische Bildungssystem: Über Sprachgebrauch und Mehrsprachigkeit
Das libanesische Bildungssystem verdankt sein heutiges Erscheinungsbild mannigfachen Faktoren. Die libanesische Bevölkerung besteht aus verschiedenen religiösen Gemeinschaften, einige davon sind christlich, vornehmlich maronitisch, griechisch-orthodox und griechisch-katholisch, andere wiederum islamisch, sunnitisch-islamisch, schiitisch-islamisch und drusisch. Die meisten Schulen im Libanon sind konfessionell gebunden. Sich auf gemeinschaftliche Strukturen stützend, fördern sie eine differenzierte Sozialisation und die konfessionelle Abspaltung des libanesischen Volkes.
Über Sprache und visuelle Kultur
Sprache ist nicht nur Vermittlerin von Kultur und Identität, sondern auch ein Quelle, aus der sich selbige speisen und über die sie bewahrt werden.
Zusammen mit der Religion erschafft die Sprache die tägliche Kultur und das Feld, das Anthropologen für die die bestimmenden Artefakte eines Ethnos halten. Eine Sprache ist das Markstück des Zusammenspiels von Mythen, Erinnerungen und anderen bedeutsamen Symbolen, die für das Entstehen eines Zugehörigkeitsgefühls so wesentlich sind.
Jede Sprache trägt sowohl verborgen als auch ganz offenkundig ein ganzes Spektrum von Erinnerungen, Emotionen, Gefühlen und Projektionen in sich. Sie formt die Art und Weise, wie die Umwelt wahrgenommen wird. In ihr wurzeln die Systeme und Modelle, die die jeweilige Kultur strukturieren, die Denkweise und das Empfinden der von dieser Sprache vermittelten Kultur beeinflussen.
Diese kulturelle Mischung im Libanon bringt Generationen hervor, die insgesamt kein einheitliches Verständnis von ihrer kulturellen Identität und von ihrer visuellen Kultur im Speziellen haben.
Veränderungen und Neudefinition
Wir leben in einem Zeitalter, in dem Identität zunehmend zeitbezogen ist, d.h. unsere Identitätsbezüge sind zufällig und verändern sich im Laufe der Zeit und mit neuen Ereignissen. Die Medien, denen wir täglich ausgesetzt sind, werden mehr und mehr globalisiert und nehmen das Lokale in seiner ursprünglichen Definition immer weniger wahr.
Wenn ich von lokal spreche, dann meine ich das Milieu, in dem ich aufgewachsen, die Schule, in die ich gegangen bin, die Kinderreime, die ich gesungen, die Comics, die ich gelesen, die Musik, die ich gehört, die Zeitschriften, die ich durchstöbert und die Bücher, die ich verschlungen habe, nicht zuletzt, die Sprache, die ich benutze, um mich selbst auszudrücken oder zu zählen!
Beirut ist eine riesiger Moloch, der alles und jeden verschlingt, um es dann wieder auszuspeien – als eine undefinierbare Einheitsmasse, die sich jeglicher Form von Klassifizierung im ursprünglichen Sinne dieses Wortes widersetzt; all dieses zusammen genommen lässt eine neue Kategorie entstehen; diese neue Kategorie, die unsere visuelle Kultur von heute bestimmt, ist:
- hybrid
- zusammenhanglos
- eklektisch
- innovativ
- vielfältig
Die Studenten, denen ich bisher begegnet bin, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, waren in unterschiedlichem Maße von den Kulturen beeinflusst, wie sie von den verschiedenen Sprachen, die sie sprechen, vermittelt worden waren. Sie haben unterschiedliche Vorstellungen von visueller Kommunikation als einer Designsprache, die ihre Ideologien und kulturellen Bezüge verkörpert.
Die vorgestellte Arbeit wurde in den letzten drei Jahren an der libanesischen Amerika-Universität (Beirut Campus) entwickelt, seit wir das “Abschlussprojekt“ eingeführt haben, bei dem die Studenten einen Forschungsbereich zu bearbeiten haben, sei es Soziologie, Anthropologie, Politikwissenschaft, Philosophie, Sprachwissenschaft oder Designtheorie. Es spiegelt das breite Spektrum ihrer jeweiligen kulturellen und sozialen Motivationen wider.
Der Kurs ist zu einer Plattform für Selbstbeobachtung geworden, die von den verschiedenen Mitgliedern der Fakultät gefördert und angeleitet wird. Im Ergebnis sind die Studenten viel reifer geworden, haben ein besseres Verständnis dafür bekommen, wo sie in Bezug auf ihre kulturelle, soziale und politische Umwelt stehen, und sie lassen sich immer weniger bevormunden.
Was die Sprache betrifft, so hat Nahla Kotob Jargonet ersonnen und entwickelt; Jargonet ist ein Glossar aller hybriden Begriffe, die von den Menschen in Beirut benutzt werden, mit einer visuellen Interpretation der Phonetik.
Aida Soubra lässt den Geist von Beirut in den 60er Jahren wiederaufleben, und zwar in Form einer Zeitung mit dem Titel „Retro Beirut“, in der Utensilien aus dieser Ära vorgestellt werden.
Tamima Salam vergleicht in ausländischen Medien wiedergegebene Klischeevorstellungen - insbesondere über die arabische Welt - mit einer Verpackung.
Bahije Jaroudi & Nabeel el Sheikh präsentieren ein neues, illustriertes Porträt der jungen Generation von heute und berühren damit die Problematik der visuellen Darstellung der direkten Umwelt.
Alia Noueihed greift mit den Mitteln des Designs eine politische Problematik auf und entwickelt eine ganze Erzählung über/für die Palästinensische Sache.
Wissam Karout schreibt mittels Buchstaben und Formen eine persönliche Geschichte über einen Moment seines Lebens, da er zwei Menschen in Brno begegnet ist. Er hat das Quadrat als Grundform gewählt, die den “Elefanten” symbolisiert, eine langsame traurige Form, wie er sie selbst in der Geschichte verkörpert.
Andererseits ist ein gutes Stück Arbeit in dem von meinem Kollegen geführten Designstudio geleistet worden. Im Ergebnis bewegt man sich weg von jeglichem visuellen Bezug auf das Lokale im landläufigen Sinn, wie Frau Silia Abou Arbid (Architektin und Designerin) festgestellt hat:
"Design muss keine eigene Identität annehmen, sondern ein inhaltliches Element darstellen, das unterschwellig die Entkörperlichung des Körpers in wesentliche Zustände beabsichtigt, das heißt, in abstrakte Ideen, die die Möglichkeiten der Dinge sichtbar machen."
Aus diesem Blickwinkel offeriert Walid Mohanna eine Lesart der industriellen Kultur, die in den frühen 80er Jahren durch die Theorien von Deleuze, Baudrillard und Foucault entstanden ist (in Film, Performance und Musik).
Malek Anouti nimmt uns auf seine Reise mit und bietet eine neue Lesart von Musik an, sozusagen als Stimulus, Musik mittels unserer Körper umzusetzen.
Rania Bitar
stellt ihr Verständnis von Gott dar und zeigt anhand der 4 Elemente, was göttlich ist:
Gott ist Licht spendend.
Gott ist überall so präsent wie die Luft.
Gott zieht uns an wie die Erde.
Gott ist ein so lebensnotwendiges Element wie Wasser.
Auf spärliche und vage Erinnerungen an Geschichten über den libanesischen Krieg zurückgreifend, die erzählt wurden, als sie weit weg von dessen physischen Schauplatz aufwuchs, schafft Hanna Abi Hanna ihre Bedeutungslosigkeit. Es handelt sich hier um eine audiovisuelle Präsentation, die aus einem animierten Kurzfilm besteht, der von einer Live-Musikdarbietung begleitet wird.
Fazit
Die Vielfalt der Arbeiten ist eine Reflexion der Vielfalt visueller Kulturen heute.
Die im Grafikdesignprogramm an der libanesischen Amerika-Universität entwickelte visuelle Sprache begründet neue Ausdrucksformen, die mit dem Aufbau unserer zukünftigen Gesellschaft zutiefst verbunden sind.
Der Kurs ist eine Art Sprungbrett, von dem man aus dem Zustand totalen Unwissens über sich selbst hin zu einem weitaus klareren Verständnis vom eigenen Selbst und dem sozialpolitischen Kontext gelangt. Das Abschlussprojekt spiegelt das visuelle und kulturelle Bezugssystem eines jeden Studenten wieder, sei es die Umgangssprache von der Straße, die Musikkultur der 80er Jahre oder eine neue Lesart des libanesischen Krieges.
Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, Informationen mit sozialem Bezug in innovative visuelle Sprachlösungen zu integrieren, die den Kontext, aus dem sie hervorgehen, stark reflektieren.
Die Herausforderung, Design in der heutigen Zeit in diesem Teil der Welt zu unterrichten, bleibt an die Notwendigkeit geknüpft, dem Kontext treu zu bleiben.
Wir alle sind dazu eingeladen, zeitgenössisches Grafikdesign als Informationsmanager und Übermittler und Fortsetzer von Kultur neu zu überdenken.
Wir tragen nunmehr Verantwortung für die Ausweitung der Grenzen von visueller Sprache, die Übertragung wesentlicher Informationen, auf denen unsere heutige Gesellschaft basiert, in klare Formen, Gebilde, Farben und Buchstabenformen … Diese Grenzen sind in permanenter Veränderung begriffen, da sie das globale Zeitalter reflektieren, in dem wir leben.
Dem müssen wir uns stellen.
Nathalie Fallaha
Graphikdesignerin; lehrt seit Februar 2000 Grafikdesign an der Lebanese American University, Beirut.