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Vergegenwärtigung palästinensischer Identität und existenzielle Metaphern im Schaffen des Fotokünstlers.
Von Pat Binder & Gerhard Haupt | Jul 2004Bei der letzten Sharjah Biennale (April 2003, Vereinigte Arabische Emirate) gehörte die Serie "Selbstporträt" von Tarek Al-Ghoussein zu den Arbeiten, die uns am meisten beeindruckt haben. Auf Fotos in Leuchtkästen hat er sich mit dem Palästinensertuch um den Kopf an verschiedenen Orten wie auf einem endlosen Weg dargestellt (siehe sein Statement). Wir lernten ihn persönlich kennen, als er mit einer Gruppe von Studenten durch die Biennale ging. Er ist Professor für Fotografie an der Schule für Architektur und Design der American University of Sharjah (AUS), deren Name übrigens nichts mit den USA zu tun hat, sondern sich nur auf das Lehrsystem bezieht. In unserer nächsten Ausgabe werden wir einen größeren Beitrag über die Schule veröffentlichen.
Dank Tarek Al-Ghousseins Unterstützung waren wir im April 2004 erneut in Sharjah, um an der Hochschule, an der er lehrt, einen Vortrag zu halten. Dadurch konnten wir jetzt mehr über seine Auffassungen erfahren und sehen, womit er sich im zurückliegenden Jahr beschäftigt hat.
Die Vergegenwärtigung seiner palästinensischen Identität ist für ihn, der in Kuwait geboren wurde und nie in Palästina war, eine Konstante seines Schaffens geblieben. Aber auch die neuen Fotos sind darüber hinaus existenzielle Metaphern. Wie Tarek Al-Ghoussein sagte, sollte seine Ende 2003 entstandenen Serie "Mounds" (Haufen) schon vom Format her intimer sein, als die großen "Selbstporträts" in Leuchtkästen. Natürlich denkt man sofort an das Schicksal der Palästinenser, wenn man hört, dass die "Haufen" unterschiedlicher Art auf den Bildern "Land" repräsentieren sollen, das einem fehlt, nach dem man sucht. Doch Tarek meinte, es gehe ihm in einem weiter gefassten Sinne darum, welchen Einfluss "Barrieren, Land und Sehnsucht" auf das Identitätsbewußtsein haben.
In diesem Zusammenhang kamen wir auf die Sperranlagen zu sprechen, die Israel an der Grenze zu den Palästinensergebieten im Westjordanland errichtet und sich dabei gleich weitere Teile davon einverleibt. Im offiziellen Sprachgebrauch ist von einem "Schutzzaun" die Rede, was impliziert, dass man sich vor den Menschen auf der anderen Seite schützen muss. Tarek Al-Ghoussein interessiert sehr, wie bestimmte Sichtweisen durch derartige Sprachregelungen oder Termini manipuliert werden. Immer wieder reagiert er in seiner Kunst auf einseitige, stereotype Darstellungen der Palästinenser, Araber und der islamischen Welt an sich in den westlichen Massenmedien. Er kennt sie nur zu gut, weil er selbst lange im "Westen" lebte. Seine Frustration darüber sei einer der Gründe gewesen, weshalb er in den Mittleren Osten zurückkehrte. Tarek betonte aber ausdrücklich, dass er in den USA und in Europa viele anders Denkende getroffen hätte und er eine wesentliche Aufgabe darin sehe, in seiner Lehrtätigkeit als Vermittler zwischen den Kulturen zu agieren. Gerade diese persönliche Erfahrung im Westen in Verbindung mit seiner arabischen Herkunft gebe ihm besondere Möglichkeiten der Argumentation in Gesprächen mit den Studenten, bei denen er übrigens sehr beliebt ist, wie wir selbst erleben konnten.
Die letzte größere Arbeit "War Room" (Kriegs-Raum) ist ein Gemeinschaftsprojekt mit Chris Kienke, einem Freund aus den USA, der ebenfalls an der Schule für Architektur und Design in Sharjah unterrichtet. Schon während des Irak-Krieges 1991 hatte Tarek Al-Ghoussein Fernsehbilder von Nachrichtensendungen abfotografiert und künstlerisch weiterverarbeitet. Diese Prozedur wiederholte er - nunmehr mit einer Digitalkamera - ab März 2003, als der letzte Irak-Krieg begann. Er wollte festhalten, auf welch verschiedene Weise BBC, CNN, Aljazeera, Dubai Tv und andere Sender über dieselben Ereignisse berichten und damit den Zuschauern ein unterschiedliches Verständnis der Realität vermitteln.
Beim Hin- und Herschalten zwischen den Kanälen fielen ihm Parallelen zwischen den "realen" Bildern der Nachrichten und den fiktiven der Spielfilme und Cartoons auf, weshalb er dann auch letztere in seine Zappingsequenzen einbezog. Er erzählte Chris Kienke davon und beide stellten fest, dass sie unabhängig voneinander annähernd das Gleiche gemacht hatten. So entstand die Idee, die über 1.500 Fotos zu sichten und aus einer Auswahl die gemeinsame Installation zu entwickeln. Zu ihrem Konzept gehört der Gedanke, dass all die Bilder, die man täglich zu Gesicht bekommt und die maßgeblich zur Meinungsbildung beitragen, zuvor etliche Filterprozesse - und auch Manipulationen - durchlaufen haben.
Pat Binder & Gerhard Haupt
Herausgeber von Universes in Universe - Welten der Kunst. Leben in Berlin.