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Die kritische Auseinandersetzung der Künstlerin aus dem Iran mit ihrer Heimat.
Von Annette Tietenberg | Apr 2003Dokumentation, 2003 ►
Installation die Parastou Forouhars vergeblichen Versuche dokumentiert, Auskunft über die Hintermänner des Mordes an ihren Eltern zu erhalten.
Sensibilisiert für die verborgenen Mechanismen von allmählicher Gleichschaltung und Intoleranz, steht Parastou Forouhar stets auf der Seite derer, die sich für die Einhaltung der Menschenrechte, für die Ächtung von Gewaltherrschaft und die Stärkung einer Zivilgesellschaft einsetzen. Sie scheut sich nicht davor, ihre persönliche Geschichte im Kontext der Kunst zu erzählen und das öffentliche Forum, das ihr als Künstlerin zuerkannt wird, zu nutzen, um den vom iranischen Geheimdienst initiierten Auftragsmord an ihren Eltern publik zu machen. In Form einer betont sachlichen Dokumentation versammelt sie Briefe, Zeitungsartikel und Fotos, die sich wie viele kleine Mosaiksteine zu einem Bild von einem repressiven, skrupellosen Machtapparat zusammensetzen lassen, der sich unbequemer Oppositioneller durch feigen Mord entledigt. Wer mehr wissen will, als er auf die Schnelle bei einem Ausstellungsrundgang zu durchdringen vermag oder zur Verbreitung des Wissens beitragen möchte, kann die Korrespondenzen, Pressemitteilungen und schriftlichen Reaktionen auf einem bereitgestellten Kopiergerät vervielfältigen und mit nach Hause tragen. So nutzt Parastou Forouhar den Raum der Kunst, um Informationen und Gedanken kreisen zu lassen. Statt dem Gefühl von Ohnmacht nachzugeben und in lähmende Traurigkeit zu versinken, hält sie das aktive Gedenken an Parwaneh und Darius Forouhar wach, die 1998 in ihrer Wohnung inTeheran überfallen, mit Messern attackiert und blutüberströmt liegengelassen wurden.
Trauerfeier, 2003 ►
Installation: 22 Bürostühle, Stoff
Denn allen Schrecken, Rückschlägen und Drohungen zum Trotz glaubt Parastou Forouhar noch immer an die Möglichkeit von Veränderung. Und sie vertraut darauf, dass das Leben nicht aus simplen Gegensätzen besteht. Sie, die schmerzlich lernen musste, sich in der Ambivalenz der Zeichen einzurichten, konfrontiert uns mit einer Kunst, die Schrecken und Schönheit, Vergangenheit und Gegenwart, Fremdes und Vertrautes in sich vereint. Wiewohl sie um die politische Vereinnahmung des Ornaments weiß, hat ihre Liebe zu der sanften, rhythmischen Schrift ihrer Muttersprache und zu den suggestiven persischen Mustern, die in der Wiederholung und Variationsbreite einzelner Motive ein kleines Stück Unendlichkeit zeigen, niemals nachgelassen. Profanen Schreibtischstühlen, die sich in allen muffigen Bürostuben dieser Welt ähneln, verordnet sie daher reich ornamentierte, kontextuelle Gewänder: In ihrer Arbeit "Trauerfeier" stülpt sie den scheinbar neutralen Symbolen einer durch und durch bürokratisierten Moderne einen Bezug aus beschrifteten Stoffbahnen über, der trotz aller Farbenpracht bestenfalls ein blasses Nachbild der einstigen Blütezeit persischer Hofkunst darstellt. Wer des Persischen nicht mächtig ist, darf sich unbeschwert an der Vielfalt der in unbegrenzter Auflage technisch reproduzierbaren Schriftzeichen erfreuen. Erst auf Nachfrage wird er erfahren, dass er die blutrünstige Totenklage um den schiitischen Märtyrer Imam Hossein bewundert hat.
Tausendundein Tag, 2003 ►
Tapete, Freehand-Zeichnung
Auch die Tapete "Tausendundein Tag", eigens für diese Ausstellung entworfen, entfaltet, aus der Distanz betrachtet, eine dekorative Wirkung. Doch wer sich ihr nähert, erschrickt ob des zuvor so beiläufig Gemusterten: Er erblickt grausame Folterszenen, denen Parastou Forouhar – auf der Grundlage einer untrennbaren Mixtur aus Phantasien, Lektüren und Erzählungen Betroffener, – anschaulich Gestalt verliehen hat. Die Zurichtungen des menschlichen Körpers, von anonym bleibenden Folterknechten erdacht, um ihren vielen gesichtslosen Opfern größtmögliche Schmerzen zuzufügen, übersetzt die Künstlerin in schematische Computerzeichnungen. Der piktogrammartige Stil steigert die Ambivalenz zusätzlich: Es bleibt offen, ob es sich dabei um eine dem digitalen Zeitalter angemessene Form handelt, eine aus Einsen und Nullen des Computercodes gewobene Klagemauer zu errichten, oder ob hier die emotionslos festgehaltenen Handlungsanweisungen zur Unterwerfung des Menschen zusammengetragen wurden, denen eine Heerschar von Systemtreuen täglich skrupellos Folge leistet.
Annette Tietenberg
Kunsthistorikerin und -kritikerin. Lebt in Köln, Deutschland.
Kuratorinnen:
Britta Schmitz und Alexandra Karentzos
Katalog:
Texte von Britta Schmitz, Alexandra Karentzos und Annette Tietenberg,
80 Seiten, zahlreiche Abbildungen.
Hrsg.: Staatliche Museen Berlin und Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln
Preis: 12 Euro
Parastou Forouhar:
Tausendundein Tag
10. Mai - 29. Juni 2003