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Über das Interesse des \"Westens\" an Kunst aus arabischen bzw. islamisch geprägten Ländern.
Von Tony Chakar | Aug 2003Tony Chakar
Beirut, August 2003
Um diese spezielle und scheinbar einfache Frage zu beantworten, ist man versucht, Bakhtin heranzuziehen, der behauptete, dass "jedes Wort auf eine Antwort gerichtet ist und sich nicht dem tiefen Einfluss des antwortenden Wortes, das es antizipiert, entziehen kann". [1] Damit verbunden sind zwei wesentliche Themen: die Natur der künstlerischen Produktion als solche und deren potenzielle Rezipienten.
Denjenigen, die die zeitgenössische künstlerische Produktion in der arabischen Welt (eigentlich in einigen arabischen Städten) verfolgen, müßte klar sein, dass es dieser Produktion mehr um das Verführerische von Ideen als um das Schaffen von (ästhetischen) Formen geht. Unter Künstlern wächst ein Bewusstsein dafür, dass kritische Ideen nicht von den (zumindest in diesen Regionen der Welt) noch nicht so alten Medien der Malerei oder Skulptur transportiert werden können, und dass diese statt aktiver Subjekte eher ein passives Publikum hervorbringen. Auf gewisse Weise können diese Arbeiten als soziale Äußerungen gesehen werden, welche die antizipierten Antworten erfordern und selbst von diesen geformt sind. Dabei sind die Elemente austauschbar, seien es Fotografien, Zeichnungen, Diagramme oder Texte.
Es sollte beachtet werden, dass die massenhaft produzierten Bilder irgendeiner "Dritte-Welt" Gesellschaft ihre Referenzpunkte einerseits im Westen haben, in einer sich immer weiter expandierenden globalisierten Welt, andererseits aber Signifikanten nicht unbedingt dieselben Signifikate als eingeschlossene Essenz in sich tragen.
In einer widersprüchlichen Situation wie dieser, würde der Außenblick des individuellen Betrachters gewiss ein Element sein, das die künstlerische Produktion formt, besonders in einer "idealen" und unmöglichen Situation, in der das produzierte Werk ausschließlich für Konsumenten bestimmt ist, die den unmittelbaren Raum des Künstlers/Produzenten teilen. Mit dem "unmittelbaren" Raum ist nicht unbedingt die Gesellschaft des Künstlers gemeint, sondern die Leute, mit denen zuvor schon ein Dialog etabliert ist (und nur in diesem Sinne wäre es eine ideale Situation).
Wenn nun das Werk nach Europa "transportiert" wird (weil ein Interesse daran besteht, das wieder nachlassen wird - diesbezüglich sollte man sich keine Illusionen machen), müssen doppelte Anstrengungen unternommen werden. Es überrascht niemanden, das dort im "Westen" schon ein "Rezeptionssystem" existiert, ein Netz von Vorstellungen davon, was der "Osten" ist, was er sein sollte und welche Äußerungen von ihm erwartet werden. Ich wage zu behaupten, dass sich dieses Netz von Vorstellungen in direkter Nachfolge des alten orientalistischen Diskurses befindet, der nicht abzuklingen scheint. Es sind diese Ideen, die gewisse US-amerikanische Akademiker nach den Ereignissen des 11. September 2001 veranlassten, den Koran zu lesen oder dessen Lektüre zu empfehlen, weil sie ernsthaft glaubten, das könnte einen Einblick in die arabischen Gesellschaften geben.
Diese Ideen generieren auch Situationen, die (gelinde gesagt) peinlich sind - zum Beispiel die sanfte und schlecht verborgene Überraschung auf dem Gesicht von jemand, wenn sich ein arabischer Künstler auf Walter Benjamin bezieht. Manchmal kann das selbst bei Leuten mit den besten Intentionen zu Fehlinterpretationen eines bestimmten Werkes führen, weil es die vorgefasste Annahme gibt, dass eine kritische Äußerung eines Westlers gegenüber einer arabischen Gesellschaft (auf der Basis der universellen Menschenrechte, z.B.) notwendigerweise mit den kritischen Äußerungen einer Person übereinstimmt, die tatsächlich in dieser Gesellschaft lebt.
Ich behaupte, dass diese Verallgemeinerungen nicht auf dem Niveau von Individuen ablaufen, sondern auf einer breiteren sozialen Ebene, und deshalb sind sie mehr insinuierend und von einzelnen Künstlern schwerer zu durchbrechen. Darüberhinaus operieren sie in beide Richtungen, denn auch arabische Künstler haben eine Menge Ideen über den Westen, die abgelegt werden müssten, bevor ein wirklicher Dialog beginnen kann, ein "idealer" Dialog in dem Sinne, den ich oben beschrieben habe, ein Dialog, der zeitlich unbegrenzt geführt wird und über das hinausgeht, was gerade "trendy" ist und was nicht.
Anmerkung:
Tony Chakar
Architekt und Künstler, geboren 1968 in Beirut, Libanon, wo er lebt.
Tony Chakar
* 1968, Libanon