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Sozial engagierte Künstlerin, eine Schlüsselfigur der aktuellen Kunstszene Indonesiens.
Von Pat Binder & Gerhard Haupt | Aug 2003Zur Zeit vertritt Arahmaiani ihr Land zusammen mit Dadang Christanto, Tisna Sanjaya und Made Wianta im nationalen Pavillon bei der 50. Biennale Venedig. Die Präsentation Indonesiens hat den Titel "Paradise Lost: Mourning of the World" (Verlorenes Paradies: Trauer der Welt). Ausgehend vom Terroranschlag am 12. Oktober 2002 auf Bali, bei dem 202 Menschen getötet wurden, setzen sich die Künstler mit Gewalt und deren Folgen im eigenen Land und in der Welt auseinander. Wie aktuell diese Problematik ist, machte der Anschlag auf das Marriott-Hotel in Jakarta am 5. August 2003 erneut deutlich.
Aus westlicher Perspektive mag das Thema des indonesischen Pavillons in erster Linie als Verlust des exotischen Ferienparadieses erscheinen. Für Arahmaiani und ihre Landsleute haben die Anschläge aber ganz andere Konsequenzen. Obwohl sie selbst zu den Opfern einer kleinen Gruppe von Terroristen gehören - und das in mehrfacher Hinsicht -, werden sie in westlichen Ländern nun noch argwöhnischer als potentielle Täter behandelt und diskriminiert.
Arahmaiani zeigt in Venedig eine Arbeit über ihre persönlichen Erfahrungen damit. Am "11. Juni 2002" (so der Titel der Installation) musste sie auf dem Weg nach Kanada in Los Angeles auf den Anschlussflug warten. Sie wurde von der Einwanderungsbehörde festgenommen, weil sie für die Zwischenlandung kein Visum hatte. Nach vierstündigem Verhör sollte sie in eine Zelle gesperrt werden. Erst nach langen Verhandlungen durfte sie in dem von ihr gebuchten Hotelzimmer übernachten - allerdings unter strengster Bewachung. Um ganz sicher zu gehen, blieb der Beamte - selbst ein aus Pakistan stammender Muslim - die ganze Nacht bei ihr im Zimmer.
Als wir Arahmaiani ein Jahr später interviewten, war sie von diesem Erlebnis noch immer tief betroffen. Dergleichen ist für sie auch deshalb so verletzend, weil sie und viele gleich Gesinnte in Indonesien schon seit langem gegen intolerante und militante Auslegungen des Islam agieren. Statt sie als Verbündete zu sehen, werden sie allzu oft als Bedrohung empfunden und schikaniert.
Mit knapp 90 Prozent Gläubigen unter den 220 Millionen Einwohnern ist Indonesien das größte muslimische Land der Welt. Wenngleich das lautstarke und gewalttätige Auftreten radikalislamischer Gruppen im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit steht, sind diese doch eine Minderheit. Die Mehrzahl der indonesischen Muslime denkt anders. Gegenbewegungen, wie zum Beispiel das Netzwerk Liberaler Islam, treten für eine zeitgemäße Interpretation der Religion ein und verteidigen deren liberale, moderate Tradition. Der Islam wurde in Indonesien ab dem 15. Jahrhundert von arabischen Händlern verbreitet, die stark vom Sufismus geprägt waren, also nicht die strikte Befolgung unumstößlicher Regeln predigten, sondern vielmehr ein verinnerlichtes, individuelles Verhältnis zum höchsten Wesen suchten. Die immanente Toleranz dieser Richtung, aber auch direkte Affinitäten zu hinduistischen und buddhistischen Elementen machten es möglich, dass vorislamische Kulturen bis in die Gegenwart in vielfacher Weise fortbestehen. V.S. Naipaul meint sogar, die Bewohner der Insel Java hätten den nacheinander eintreffenden Religionen dasjenige entnommen, was ihnen am menschlichsten und befreiendsten erschien, und daraus ihren eigenen Glauben gemacht.
Arahmaiani, eine bekennende Muslima, bestätigt das in gewisser Weise. Ihr Vater ist ein islamischer Geistlicher, die Mutter kommt aus der hinduistisch-buddhistischen Kultur Javas. Schon die Namensgebung war ein Kompromiss zwischen beiden. Wie sie gern erzählt, sei "Arahma" eine Ableitung aus dem Arabischen im Sinne von "liebend" und "iani" stamme von dem Begriff "menschliches Wesen" in Hindi. In der Erziehung ging die Koexistenz beider Anschauungen weiter. Während der Vater für eine strenge islamische Bildung und Unterweisung sorgte, erlernte sie durch die Familie der Mutter die javanesischen Tänze, Lieder, Legenden, Dichtungen, Bräuche.
Arahmaiani sieht ihr Selbstverständnis als Vermittlerin zwischen den Welten schon in dieser Herkunft verankert. Weder in der eigenen Familie noch in ihrem Heimatland verläuft der Kontakt zwischen den Kulturen ohne Konflikte. Ihr Bewusstsein, einer "anderen" Kultur anzugehören, entwickelte sich aber besonders durch die Reisen in den "Westen", zuerst nach Australien, später dann nach Europa. Als sie mit westlicher Kunst und Philosophie in Kontakt kam, stellte sie fest, wie verschieden diese von ihrem eigenen "islamisch-hinduistisch-buddhistisch-animistischen Denken und Lebensstil" ist. Doch auch auf dieser Ebene empfindet es Arahmaiani als eine große Herausforderung, zunächst die Widersprüche zur Sprache zu bringen, um dann auf einer realistischen Basis nach Gemeinsamkeiten und sich ergänzenden Eigenarten zu suchen und sich um gegenseitige Anerkennung zu bemühen.
Während einer postgradualen Fortbildung 1991/92 im niederländischen Enschede empfahlen ihr die Dozenten die Beschäftigung mit Joseph Beuys, weil sie eine Nähe ihrer Intentionen zu dessen Konzepten erkannten. Obwohl sie den spezifisch deutschen Kontext für das Verständnis von Beuys unerlässlich fand, entdeckte Arahmaiani zu ihrem Erstaunen viele Ähnlichkeiten mit ihr vertrauten asiatischen Auffassungen. Sie sagte, diese seien ihr gerade bei spirituellen Interpretationen der Natur aufgefallen, wo oft nur die Art der "Verpackung" in Symbole anders sei.
In den aktivistischen Komponenten von Beuys' "erweitertem Kunstbegriff" sah sie das eigene Bemühen bestätigt, mit ihrer Kunst nicht nur eine schöne Oberfläche zu erstellen, sondern Probleme auf den Punkt zu bringen, Diskussionen und Nachdenken zu provozieren, sich in Debatten einzumischen und an sozialen Prozessen zu beteiligen. Schon während des Studiums Anfang der 1980er Jahre in Bandung störte sie, dass die an der Frühzeit des westlichen Modernismus orientierte Ausbildung so gar nichts mit der Realität des Landes zu tun hatte. Unter anderem mit ersten Straßenaktionen erwarb sie sich den Ruf einer Rebellin, wurde eingesperrt, von der Schule suspendiert. Aus jenen Jahren rührt ihre bis heute andauernde Überzeugung, dass sie sich lautstark und zugespitzt artikulieren muss, wenn sie gehört und ernst genommen werden will.
Repression, Unrecht, Gewalt, Gleichschaltung, Ausverkauf des Landes an den Westen und andere Missstände während des Suharto-Militärregimes (1966 - 1998) boten reichlich Anlass zum Protest. Die Auswirkung sozialer Ungerechtigkeit in einem Land der Dritten Welt hatte Arahmaiani in aller Härte mitbekommen, als sie eine Weile auf der Straße lebte. Ihre vehemente Kapitalismuskritik geht von solchen direkten Erlebnissen und Beobachtungen aus und setzt sich mit dem System an sich auseinander, wenn sie z.B. darüber reflektiert, dass alles zum Konsumobjekt wird, auch die Kultur und die Künste.
Ein zentrales Thema ihres Schaffens ist die Lage der Frau. Dem Grundsatz folgend, sich nicht mit etwas zu beschäftigen, was außerhalb ihres unmittelbaren Erfahrungsbereichs liegt, und möglichst die eigene Situation zum Ausgangspunkt zu nehmen, beschäftigt sie sich mit Fragen ihrer Identität als Frau in einem von Männern beherrschten Gemeinwesen, als weibliche Kunstschaffende mit kritischem Anspruch, als Asiatin und Muslima im internationalen Kontext, in dem sie sich bei ihren vielen Reisen und Auslandsaufenthalten bewegt.
Darüber hinaus gehört es für Arahmaiani zum Ethos als Künstlerin, ihr öffentliches Auftreten zu nutzen, um auf Gewalt gegen Frauen im Allgemeinen und die Diskriminierung der Frau in der islamischen Gesellschaft Indonesiens im Besonderen aufmerksam zu machen. Ein wesentlicher Ansatzpunkt ihrer Kritik an der vorherrschenden Auslegung des Islam ist, dass Männer daraus einen Anspruch ableiten, als alleinige Entscheidungsinstanz zu gelten. Sie wendet sich dagegen, die Religion als starres Regelwerk zu begreifen und verteidigt ihr Recht als Individuum und als Frau auf eine eigene Interpretation. Dass sie bei der Präsentation entsprechender Werke und Performances immer wieder angefeindet wird, muss sie als eine Konsequenz ihrer Strategie der Provokation in der Hoffnung hinnehmen, damit letztendlich doch einen Prozess des Nachdenkens auszulösen.
Nach den Attentaten des 11. September 2001 sah sich Arahmaiani veranlasst, neben der orthodoxen Auslegung des Islam auch dessen prinzipielle Stigmatisierung zu kritisieren. Aber wenn sie sich darum bemüht, Menschen vor allem in der westlichen Welt klar zu machen, dass die Mehrheit der Muslime genauso friedliebend ist, wie diese selbst, ist das für sie keine Verteidigung der Religion, sondern schlicht und einfach des gesunden Menschenverstandes.
Pat Binder & Gerhard Haupt
Herausgeber von Universes in Universe - Welten der Kunst. Leben in Berlin.