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Der wegweisende Kurator und Akademiker, der erste außereuropäische Künstlerische Leiter der documenta in Kassel, starb nach langer Krankheit. Von Pat Binder & Gerhard Haupt
Mär 2019
Heute, am 15. März 2019, wurde bekannt, dass Okwui Enwezor im Alter von 55 Jahren nach langer Krankheit gestorben ist. Dies bestätigte das Haus der Kunst in München, das er von 2011 bis 2018 leitete.
Okwui Enwezor (*1963 Nigeria), war ein wegweisender Kurator, Kunstkritiker, Herausgeber und Autor. Enwezor ist an afrikanischer, europäischer, asiatischer, nord- und südamerikanischer Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts, an moderner und zeitgenössischer Kunst der afrikanischen Länder und an der zeitgenössischen Kunst der afrikanischen Diaspora interessiert gewesen und forschte unter anderem über Video und Fotografie, Archivtheorie, fotografische Dokumentation, Fotojournalismus und Museumsgeschichte. Er beschäftigte sich auch mit Theorien der Diaspora und Migration, mit postkolonialem Modernismus und Architektur sowie der urbanen Struktur postkolonialer afrikanischer Städte.
Im Juli 1997, als er die 2. Johannesburg Biennale vorbereitete, haben wir Okwui Enwezor interviewt, der damals zur documenta X Veranstaltung "100 Tage - 100 Gäste" eingeladen war. Bereits in diesem Gespräch betonte er die Bedeutung vieler Themen, die er in seinen Ausstellungsprojekten mit Leidenschaft anging und die ihn international bekannt machten, u.a.:
"Ich denke, eine Biennale oder Ausstellung von dieser Dimension zu realisieren, erfordert ein kritisches Denken, das ständig überprüft werden muß."
(..)
Es geht darum, "sich genau mit Fragen auseinanderzusetzen, die aus für mich sehr problematischen Begriffen resultieren, wie Postkolonialismus, Multikulturalismus, Globalisierung. Besonders geht es darum, wie sich die lokalen Subjekte an diesen Diskursen reiben, ohne darauf definitive Antworten finden zu können und ohne von ihnen absorbiert zu werden.
(…)
Am Rande sehr extremer Nationalismen wollen wir untersuchen, welches die Rolle oder die Situation eines Bürgers im besonderen Kontext sich verändernder politischer Landschaften ist.
In diesem Interview im Jahr 1997 reflektierte Enwezor auch kritisch über die documenta X. Eineinhalb Jahre später wurde er zum ersten außereuropäischen künstlerischen Leiter der Mega-Ausstellung ernannt, die alle fünf Jahre in Kassel stattfindet.
2012 konnten wir Okwui erneut interviewen, dieses Mal über seine Erfahrung mit Meeting Points. Als wir eine seiner Aussagen aus dem Jahr 1997 zitierten, die in seinem Konzept der "civic imagination" (zivilgesellschaftliche Vorstellungskraft) bei dieser Veranstaltung wiederzufinden war, antwortete er unter anderem: Es ist interessant, meine Worte von vor 15 Jahren nochmals zu hören. Und wenn es irgendeine Genugtuung gibt, das erneut zu hören, dann hat sie mit der Konsistenz des kuratorialen Ansatzes zu tun, den ich über die Jahre hinweg verfolgt habe, insbesondere hinsichtlich des Nachdenkens über einen expansiven Kontext, in dem Künstler tätig sind, sowie mit dem weiteren Beharren auf der Notwendigkeit, jedwede geopolitische Abgrenzung in Bezug auf diejenigen zu vermeiden, die Teil eines solchen Gesprächs sein können. Und auch, sich davor zu hüten, euphorisch über die Anziehungskraft dessen zu werden, was wir 'globale Staatsbürgerschaft' nennen könnten, und zwar weil diese Anziehungskraft und die sie umgebende Euphorie durch die Realitäten ständig von Grund auf modifiziert werden."
In Erinnerung an Okwui Enwezors inspirierende Arbeit, der wir viele Jahre folgen konnten, listen wir hier einige der Ausstellungen und Projekte auf, die wir in Universes in Universe gezeigt haben, sowie unsere Interviews mit ihm:
Okwui Enwezor - Interview, 1997
Der künstlerische Leiter der 2. Johannesburg Biennale über sein Konzept und die documenta X. Aufgeschrieben von Pat Binder & Gerhard Haupt nach einem Interview, Juli 1997
The Short Century, 2001
Unabhängigkeits- und Befreiungsbewegungen in Afrika 1945 - 1994. Kurator: Okwui Enwezor. Großer Fotorundgang durch die Präsentation im Martin-Gropiu-Bau, Berlin
documenta 11, 2002
Künstlerischer Leiter: Okwui Enwezor. 8. Juni - 15. September 2002, Kassel. Fototour durch die Ausstellung, auf der alten statischen Website von UiU.
Meeting Points 6 in Berlin
Interview mit dem künstlerischen Leiter Okwui Enwezor über den Fokus des Events in Zeiten des Wandels. Von Pat Binder & Gerhard Haupt, Januar 2012
Biennale Venedig 2015
56. Internationale Kunstausstellung. All the World's Futures, Künstlerischer Leiter: Okwui Enwezor. Fototour durch die zentrale internationale Ausstellung in 3 Teilen.
Okwui Enwezor
* 23. Oktober 1963, Calabar, Nigeria.
+ 15. März 2019, München.