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Cloud Cities. Etwa 20 seiner "Biosphären" erstmals zusammen präsentiert im Hamburger Bahnhof, Berlin.
Nov 2011Spinnennetze, Seifenblasengeometrien, astrophysikalische Metaphern und Visionen eines Buckminster Fuller sind nur einige der Inspirationsquellen des 1973 geborenen Künstlers Tomás Saraceno. Seit einigen Jahren ist der Künstler im internationalen Kunstbetrieb präsent und bespielt bedeutende Ausstellungshäuser von Minnesota bis Australien mit seinen organischen Raumgeflechten. Biosphären, Sphären oder Flying Gardens nennt er seine Objekte, die mal von Pflanzen bewohnt werden, mal nur von schwarzen Seilnetzen gehalten im Raum schweben. Inspiriert von Netzwerkstrukturen wie dem Netz einer Spinne durchzog Saraceno 2009 mit seiner Arbeit Galaxies Forming along Filaments, like Droplets along the Strands of a Spider's Web auf der 53. Biennale Venedig 2009 so einen ganzen Raum mit schwarzen Seilen. Auch für den öffentlichen Raum schafft Saraceno Werke. Seit 2007 fliegt das Museo Aero Solar, ein offenes, für jeden zugängliches, von Tomás Saraceno mitinitiiertes Projekt, um die Welt: ein riesiger Solarballon, dessen Haut aus tausenden von benutzten Plastiktüten besteht, der mit jeder Landung durch weitere Plastiktüten ergänzt wird und verändert weiter fliegt.
Ausgangspunkt der Arbeiten des Künstlers ist das Interesse an unserer aktuellen und zukünftigen Lebensumwelt. Saraceno, der zunächst Architektur und später Kunst in Buenos Aires und Frankfurt studierte, zeigt sich in seinen Werken inspiriert von Lehrern wie Peter Cook, aber auch von visionären Architekturutopisten des 20. Jahrhunderts wie Yona Friedman oder Vertretern einer "biomorphen" Architektur wie Frei Otto. Die Qualitäten naturwissenschaftlicher Phänomene wie Spinnennetze oder Seifenblasen sowie neueste wissenschaftliche Erkenntnisse faszinieren Saraceno und sind integraler Bestandteil seiner Werke. In einem multidisziplinären Prozess verfolgt er mit seinen Werken die Idee einer "realisierbaren Utopie". Der experimentelle Ansatz der Air-Port-City, den der Künstler seit Jahren weiterentwickelt, ist dafür maßgebend. Inspiriert von der historischen Zeppelinstadt in Frankfurt, wo der Künstler lebt und arbeitet, konzipiert Tomás Saraceno in diesem Ansatz Möglichkeiten architektonischer Lebensräume als zellenartige, schwebende Städte. Der Anspruch des Künstlers ist dabei hoch. Er postuliert, Cloud Cities / Air-Port-City sei "eine Struktur, die darauf aus ist, die heutigen politischen, sozialen und militärischen Begrenzungen in einem Versuch herauszufordern, neue Konzepte der Synergie wieder zu etablieren. Weit oben im Himmel wird diese Wolke sein, eine bewohnbare Plattform, die in der Luft schwebt […]."
Die Ausstellung Tomás Saraceno. Cloud Cities im Hamburger Bahnhof präsentiert eine neue Stufe in der Entwicklung dieses Konzeptes. Gezeigt wird eine große, den ganzen Raum der Historischen Halle einnehmende Installation des Künstlers, in der erstmals etwa 20 seiner Arbeiten zusammen gezeigt werden. Hierbei wird die Varianz der bisherigen künstlerischen Umsetzungen im Werk des Künstlers sichtbar. Zu erleben sind neben betretbaren Environments auch schwebende Gärten oder Module mit kinetischen Aspekten.
Der Ausstellungstitel schafft in diesem Fall einen facettenreichen Referenzrahmen. Schon allein der Begriff "Cloud" (Wolke) ist essenziell für das Werk des Künstlers. Die Wolke als Metapher steht für die künstlerische Intention, die Bedeutung von Territorium und Grenze in unserer heutigen (urbanen) Gesellschaft zu untersuchen und Möglichkeiten nachhaltiger Entwicklung menschlichen Lebensraumes auszuloten. Hierbei ist dieser Raum eben nicht auf die Erde begrenzt, sondern wird von Saraceno bis ins Weltall hinaus gedacht. Gleichzeitig hat Raum bei Saraceno auch immer mentale, soziale und digitale Dimensionen.
Als Künstler haben Saraceno die Ideen der Architektur- und Kulturgeschichte beeinflusst. Konzepte einer Flying City (1928) von Georgi Krutikov und Archigrams Utopie der Instant City von 1968–70 sind hierbei als Quellen zu nennen. Vor allem aber Buckminster Fuller und sein Konzept zu Cloud Nine (ca. 1960) bilden eine wichtige Hintergrundfolie für das Werk des Künstlers. Die fantastische Architekturutopie Cloud Nine beschreibt eine 1,6 Kilometer große, frei schwebende Sphäre, die einen Lebensraum für mehrere tausend Bewohner umfassende, autonome Gemeinschaften bietet.
Mit der Ausstellung Cloud Cities entwirft Tomás Saraceno nun im Hamburger Bahnhof die dreidimensionale Vision einer utopischen Lebenswelt, mit der die Besucher in Interaktion treten können und somit erleben, wie ein System diverser Module einen eigenen räumlichen Kosmos erschafft.
Aus einem Text von Katharina Schlüter
Wissenschaftliche Museumsassistentin der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
Publikation:
Tomás Saraceno. Cloud Cities
Installationen - zwischen Wissenschaft und Kunst
DISTANZ Verlag Berlin, 2011
256 Seiten deu/eng, etwa 180 Farbabbildungen
Preis: 39,30 Euro
ISBN: 978-3-942405-37-9
Kuratorin: Britta Schmitz
Kuratorische Mitarbeit: Katharina Schlüter
Tomás Saraceno
Cloud Cities
15. September 2011 - 19. Februar 2012