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O Rinoceronte de Dürer. Neuer Film, gedreht in einem ehemaligen Hospital in Lissabon zusammen mit psychiatrischen Patienten.
Jan 2011Die Galerie Arratia/Beer in Berlin präsentiert vom 22. Januar bis zum 26. Februar 2011 die neue Videoarbeit von Javier Téllez O Rinoceronte de Dürer (Dürer’s Rhinoceros), die im Auftrag der CAM-Gulbenkian-Stiftung enstanden ist. Téllez hat den Film im Panoptikum des Miguel Bombarda Hospitals in Lissabon in Zusammenarbeit mit psychiatrischen Patienten einer Tagesklinik gedreht. Die Patienten verkörpern zugleich auch die Hauptdarsteller des Filmes. Das Panoptikum wurde im Jahre 1896 auf dem Gelände der größten psychiatrischen Klinik in Lissabon nach den Plänen von Jeremy Bentham als Gefängnis für psychisch kranke Kriminelle erbaut. In schmalen, um einen zentralen Hof herum angeordneten Zellen waren dort mehr als 300 Patienten untergebracht. Bis 2000 wurde das Gebäude als Gefängnis benutzt und dann in ein Museum umfunktioniert.
In einer Reihe von Workshops, die der Künstler vorab durchführte, entwickelten die Patienten zusammen mit Téllez die fragmentarische Geschichte von O Rinoceronte de Dürer. Dabei sollten sie sich in die Rollen der früheren Insassen hinein versetzen und fiktive Szenarien nachspielen. Diese Rekonstruktion des Alltagslebens in einer psychiatrischen Anstalt wird ergänzt durch gesprochene Texte, wie Jeremy Bentham’s Brief über das Panoptikum, Platons Text zum Höhlengleichnis und Kafkas Kurzgeschichte "Der Bau". Alle diese Texte beschäftigen sich mit verschiedenen architektonischen Modellen, die mit der Macht des Blicks in Zusammenhang stehen.
Der Titel von Téllez Film nimmt Bezug auf einen berühmten Stich Albrecht Dürers, der als Symbol eng mit Portugals Geschichte verbunden ist. Dieser Stich repräsentiert Ganda, das erste Rhinozeros, das im 16. Jh. nach Europa gelangte. Das Tier kam 1515 als Geschenk für König Dom Manuel I. nach Portugal und sollte später an Papst Leon X. weiterverschenkt werden Auf dem Transport von Portugal nach Italien verstarb das Tier jedoch bei einem Schiffbruch.
Obwohl einige Historiker behaupten, dass sein Kadaver später ausgestopft in Rom gezeigt wurde, gilt es als gesichert, dass Dürer während seines gesamten Lebens nie ein Rhinozeros gesehen hat. Basierend auf den Beschreibungen von Ganda, fertigte der Maler jedoch mehrere Zeichnungen und einen Stich des Tieres an. Diese Dokumente gelten heute als klassische Beispiele für die unbegrenzte Kraft der Imagination in der Konfrontation mit dem Unbekannten.
Téllez verwendet Ganda als Leitmotiv, das die filmische Erzählung strukturiert: Während des ganzen Filmes sehen wir ein ausgestopftes Rhinozeros, das gegen den Uhrzeigersinn um die kreisförmige Architektur des Panoptikums gezogen wird. Die Bezugnahme auf Dürers Rhinozeros könnte in dem Film von Téllez als eine Allegorie der Melancholie gelesen werden, insbesondere in ihrer Gegenüberstellung mit der Überwachungsarchitektur der psychiatrischen Klinik.
Das Erscheinen der berühmten Fado-Sängerin Aldina Duarte, die in einer der Zellen ein Lied darbietet, fördert zusätzlich den melancholischen Grundcharakter des Films. O Rinoceronte de Dürer reflektiert dabei einen kulturellen Grundzug der portugiesischen Identität, der mit dem Wort "Saudade" übersetzt wird. Damit wird ein fatalistisches Begehren nach einem Gegenstand oder einer Person bezeichnet, mit dem/der man einmal tief verbunden war, der/die nun aber endgültig verloren zu sein scheint. Dieses Gefühl beinhaltet auch das Wissen darum, dass das Objekt der Begierde möglicherweise nie wieder zurückkehrt.
Für Javier Téllez ist die Zusammenarbeit mit psychisch Kranken integraler Bestandteil seiner Arbeit: Da sowohl sein Vater wie auch seine Mutter als Psychiater tätig waren, hatte er eine besondere Nähe zur Welt der Geisteskranken. Diese Vertrautheit versetzte ihn bestens in die Lage, mit psychisch kranken Menschen zu arbeiten und dabei die üblichen gesellschaftlichen Stereotypen im Hinblick auf solche Patienten zu vermeiden. Durch Téllez Arbeit werden sich die Zuschauer zunehmend der Relativität der Begriffe normal und pathologisch bewusst.
Die Ausstellung O Rinoceronte de Dürer wird ergänzt durch die kürzlich von Téllez fertiggestellten Skulptur Matthew 19:24. Diese Arbeit kombiniert eine grossformatige Reproduktion einer Zeichnung von Kafka mit einer garnumwickelten Figur, die ein Kamel repräsentiert. Das Werk beschreibt auf humorvolle Art und Weise die biblische Parabel vom Kamel und dem Nadelöhr.
Javier Téllez (*1969 Valencia, Venezuela) lebt und arbeitet in Berlin und New York. Seine Werk wurden weltweit in zahlreichen Museen ausgestellt: Im Whitney Museum of American Art, dem PS1/MOMA, New York, dem Boijmans Van Beuningen Museum, Rotterdam, dem Kunstverein Braunschweig, den Kunstwerken und dem HKW in Berlin, dem Frankfurter Kunstverein, dem Kunsthaus Baselland, dem Aspen Art Museum, Colorado, dem Metropolitan Museum of Photography, Tokyo, der Govett-Brewster Gallery, New Plymouth, New Zealand. Téllez hat an zahlreichen Biennalen und internationalen Ausstellungen teilgenommen, inbesondere der 49sten und 50sten Biennale in Venedig, der Manifesta 7, Trento, der inSite 05, San Diego/Tijuana, der Sydney Biennale von 2004 und 2008 sowie der Yokohama Triennale 2001. Javier Téllez war 1999 John Simon Guggenheim Memorial Fellow und ist im Moment Gast des DAAD Künstleraustauschprogramms in Berlin.
Javier Téllez
O Rinoceronte de Dürer
22. Januar -
26. Februar 2011