Für eine optimale Ansicht unserer Website drehen Sie Ihr Tablet bitte horizontal.
Kritischer Bericht über die Konferenz mit Anmerkungen zur Diskussion über Biennalen an sich.
Von Ursula Zeller | Nov 2009Noch eine Biennalenkonferenz – und wie immer waren die Teilnehmer zum großen Teil alte Hasen in diesem Thema. Allerdings begegneten auch ein paar neue Gesichter, die vor allem aus dem akademischen Milieu stammten. Allein das ist schon ein Verdienst, das diese Veranstaltung von anderen unterschied - auch wenn es inhaltlich nicht unbedingt nur ein Gewinn war. Die Internetseite bietet einen Live Stream der Konferenz. Alle Beiträge inklusive der Diskussionen sind dort nach zu sehen bzw. zu hören.
Warum eine Biennalenkonferenz in Bergen? Die örtlichen Kulturpolitiker boten der dortigen Kunsthalle an, eine Biennale ins Leben zu rufen. Statt begeistert ja zu sagen, reagierten die Verantwortlichen mit einer Konferenz. Nachdenken statt sich in Aktion zu stürzen – eine seltene Reaktion. Doch zu Recht ist man gegenüber Biennalen in unseren Breiten vorsichtig geworden. Das letzte Scheitern einer solchen Initiative in Brüssel liegt noch nicht so lange zurück. Vielleicht kann die Zurückhaltung aber auch als Zeichen gewertet werden, dass mit fortschreitender Globalisierung EU-Europa neben dem wirtschaftlichen langsam auch den damit zusammen hängenden kulturellen Bedeutungsverlust zu fühlen beginnt. Thomas McEvilley hat es bereits 1993 in seinem Artikel "Arrividerci Venice: The Third World Biennials" für Artforum eindeutig beschrieben: Biennalen in der Alten und Neuen Welt haben ihre Existenzberechtigung verloren. [1] Auch wenn sie nicht, wie er prophezeite, von den afrikanischen Biennalen abgelöst wurden, so haben doch die asiatischen die europäischen mit wenigen Ausnahmen überholt an Zielstrebigkeit, Ernsthaftigkeit und nicht zuletzt an Finanzstärke. Für jede Stadt in einem der Länder Asiens, Afrikas oder Lateinamerikas würde sich die Frage, ob eine Biennale sinnvoll für sie wäre, überhaupt nicht stellen.
Ob die gesättigte Kunstszene in Europa eine weitere Biennale wirklich braucht, daran darf man also berechtigte Zweifel haben. Die seit einigen Jahren in Holland lebende Kuratorin Maria Hlavajova gab in einer der Diskussionsrunden zwar zu, dass die westliche Kunstszene von allen Ereignissen viel zu viel hat. Sie würde auch, wenn von der örtlichen Kulturpolitik das Angebot für eine neue Biennale an sie käme, sofort die Frage stellen, ob eine Biennale mehr leisten könnte als sie jetzt mit dem Programm ihrer Ausstellungsinstitution bietet. Trotzdem würde sie die Biennale machen, auch wenn sie sich dann sofort ernsthaft fragen müsste, was sie im holländischen Kontext ausstellen könnte, was nicht schon von den zahlreichen Kunstinstitutionen dort ohnehin gezeigt wird.
Ein Vorteil der Bergener Konferenz war, dass sich eine jüngere Generation von Kuratoren und Wissenschaftlern daran machte, das Phänomen Biennale und seine Möglichkeiten zu durchleuchten. Und sie taten dies gründlich. Trotzdem konnte sich der schon etwas ältere Biennalebeobachter des Eindrucks nicht erwehren, dass manche Erkenntnis, die schon frühere Symposien erbrachten, in Bergen als ganz neu präsentiert und erfahren wurden. Selbstverständlich hat jede Generation das Recht und die Notwendigkeit, bekannte Fragestellungen in einem neuen Licht zu sehen und zu diskutieren. Peinlich ist es allerdings, wenn die bisherige Aufarbeitung der Biennalenhistorie fast gänzlich negiert wird. Ob dies aus Unkenntnis oder Absicht geschah, lässt sich nicht sagen. So war es zumindest ein Ärgernis, wenn Charlotte Bydler als Biennalehistorikerin den Comic von Olav Westphalen "What our city needs now..." ohne Hinweis auf René Blocks Kasseler Ausstellung "Das Lied von der Erde" aus dem Jahr 2000 verwendet. Und niemand kann übersehen haben, dass im Rahmen dieser Ausstellung und im Vorfeld der documenta eine der ersten wirklich bedeutenden, von der Teilnehmerzahl im Vergleich zu Bergen mindestens doppelt so großen Biennalekonferenzen stattgefunden hat, die das Fridericianum und das Institut für Auslandsbeziehungen in Deutschland gemeinsam organisierten. Ein Blick ins Internet hätte genügt. Durch die Nachfragen trat am Beispiel von Charlotte Bydler auch noch ein anderes Problem der Forschung zutage: aufgrund mangelnden Materials muss der Wissenschaftler Fallstudien (case studies) machen. Im Fall der Biennalen muss er also viel reisen – und das kostet. Hier beginnt das Problem: wenn eine Reise nicht aus Drittmitteln bezahlt wird, dann kann auch nicht geforscht werden. Daraus erklärt sich, dass weniger die Biennalen Afrikas und Lateinamerikas und mehr die finanzkräftigen asiatischen und näher liegenden europäischen untersucht wurden. Die in den 90er Jahren viel diskutierte Frage von Inklusion und Exklusion ist unter diesem Aspekt also immer noch relevant.
Nutzte die eine das Internet zu wenig, setzte die andere zuviel darauf. Caroline A. Jones entschuldigte sich nicht nur für schlechte Abbildungen mit dem Hinweis, dass sie im Internet nicht besser zu finden waren. Auch die Nachfragen zeigten, dass es für sie nur das zu geben scheint, was im Netz erhältlich ist. "I’ll google it" war denn auch ihre stehende Redewendung. Wahrscheinlich kann sie sich gar nicht mehr vorstellen, dass auch Sachverhalte existieren, die nicht im Netz recherchierbar sind. Archivarbeit ist eben doch nicht zu ersetzen. Leicht befremdlich war auch, dass sie ihr Wissen über Biennalen im wesentlichen von der Venedig-Biennale bezog und mangels eigener Archivrecherchen den weit verbreiteten Irrtum über die Weltausstellungen als Vorbild der Biennale Venedig perpetuierte. Wie Jan May in seiner 2007 fertig gestellten Dissertation nachwies, waren es aber eher kleinere Verkaufsausstellungen wie die Ausstellung im Glaspalast in München, der die Biennale in Venedig nacheifern wollte. Auch wenn Jones’ Spezialgebiet die Weltausstellungen sind, so hätte ein Abstecher nach Sao Paulo ihr sicher gut getan. Erstens liegt es nicht so weit von USA entfernt, und zweitens bietet Sao Paulo das Gegenbeispiel zu Venedig, nämlich das argumentative Umfeld einer Biennale in einem devisenschwachen Land.
Der dritte Wissenschaftler, John Clark, untersuchte die Biennalen im asiatischen Raum, was ihn zu einer exakten Typologisierung dieses Phänomens führte. Zwar leuchtet noch nicht ein, worauf die Einzelerkenntnisse hinauslaufen und wem das Wissen um die genaue Zuschreibung einer Biennale zu einem Typus nützt. Auf jeden Fall hat Clark eine Menge Daten und Fakten recherchiert – und im Gegensatz zu den anderen Wissenschaftlern seinen Gegenstand auch extensiv beleuchtet und die meisten asiatischen Biennalen über Jahre selbst besucht. Seine Erhebungen liefern für künftige Untersuchungen gesicherte Grundlagen. Aufschlussreich waren darüber hinaus seine Bemerkungen zu parallelen Modernen in Asien, zur Entstehung der so genannten Biennale-Kunst oder der Beobachtung, dass die Biennale-Kuratoren immer behaupten, die gezeigten Werke seien neu geschaffen, auch wenn das nicht der Wahrheit entspricht. Auf diese Weise brachte sein Vortrag einen unterhaltsamen und lehrreichen Blick hinter die Kulissen von Biennalen.
Paul O’Neill konnte seine Kenntnisse aus dem akademischen und kuratorischen Feld beziehen. Er stellte einige Konzepte vor, die den Pfad der Großausstellung verließen und lokal bezogene, diskursive Ausstellungsprojekte hervor brachten. Damit beleuchtete er einen avantgardistischen Aspekt kuratorischer Arbeit, auch wenn sich die so entwickelten Ausstellungsformate nicht 1 : 1 auf Biennalen übertragen lassen.
Der für den erkrankten Ivo Mesquita eingesprungene Bruce W. Ferguson, Gründungsdirektor von SITE Santa Fe und Hochschullehrer, war die eigentliche Überraschung der Bergener Konferenz. Aus seiner vielfältigen Biennaleerfahrung als Kurator, Organisator und Besucher wagte er ein offenes Wort. Seine Kritik traf ins Schwarze. Unumwunden gab er zu, dass die Biennalen für einen kleinen Teil der Kunstwelt, die Kunstnomaden, nur das Beste bieten: Reisen in ferne Länder, gutes Essen, Drinks und Partys. Das erklärt ihre Beliebtheit. Andererseits stellte er fest, dass die Kunstwelt ob der Vielzahl der Biennalen auch bereits müde, wenn auch noch nicht erschöpft ist. Ein elitärer Standpunkt, wie er findet, hält er es doch mit Homi K. Bhaba, der meint, die Welt werde klein für den, der sie besitzt. Doch was ist mit den anderen? Ferguson hielt den Biennalen zugute, dass sie die Museen als Orte der intellektuellen Untersuchung abgelöst hätten. Die Wissensproduktion sei von den Museen und Akademien zu den Biennalen gewandert. Daraus leitete er ein Plädoyer für Biennalen als Orte der Wissensproduktion (knowledge production) ab, ein Gedanke, den auch Sarat Maharaj ins Zentrum seiner Überlegungen stellte. Er kam zu dem Fazit, dass es ganz neue Modelle von Biennalen noch nicht gibt. Denn auch die diskursiven Biennalen können reiner Event sein. Trotzdem ist er der Überzeugung, dass Biennalen sinnvoll sind – vor allem für all diejenigen, die die Welt noch nicht besitzen.
Die Biennale-Praktiker hatten es gegenüber den Wissenschaftlern naturgemäß schwerer. Sie mussten von ihren eigenen Erfahrungen zehren, die sie allenfalls im Kontext heutiger kuratorischer Praxis beleuchten konnten. Ein kluger Schachzug der Organisatoren in Bergen war deshalb die Vorstellung verschiedener Biennalen, ihre kuratorische Arbeit und ihre organisatorischen Bedingungen durch die jeweiligen Kuratoren am Nachmittag - auch weil auf diese Weise Informationen über entlegene Biennalen, die nicht jeder besuchen kann, vermittelt wurden. Herausragend war Sarat Maharaj - gewohnt wortmächtig und unschlagbar nachdenklich zugleich. Sein leidenschaftliches Plädoyer für Biennalen als Orte der Wissensproduktion ließ Carlos Basualdo fast keinen Raum. Erwartbar auch die Performance von Hans Ulrich Obrist, einem Biennale-Schwergewicht, bei dem man nicht sicher ist, dass er immer weiß, wo er sich gerade befindet. Leider waren die Vertreter der Biennalen in Afrika, Asien, Lateinamerika und dem Vorderen Orient oder auch der "Dritten Welt", wie Gerardo Mosquera, Gründer der Havanna-Biennale witzelte, nicht nur krankheitsbedingt deutlich in der Minderzahl. Ihre geringe Teilnehmerzahl verhält sich umgekehrt proportional zur Anzahl von Biennalen, die in diesen Ländern stattfinden. Auch von den Künstlerinnen und Künstlern, den eigentlichen Produzenten der Substanz, war wenig die Rede. Die Kuratoren, auch die Künstler unter ihnen, sprachen lieber über sich selbst und ein wenig auch über die Organisationsstrukturen. Kaum eine Rolle spielte auch das jeweilige Publikum von Biennalen in der Betrachtung aller Beteiligten, wenn wir von den Beiträgen Bruce W. Fergusons und Paul O’ Neills einmal absehen.
Apropos Publikum: Es war auch nicht so klar, ob diese Konferenz wirklich auf die Öffentlichkeit im Saal zielte, ob sie den Biennaleneuling oder den Biennaleexperten erreichen wollte. Neulinge haben auf der Konferenz sicher nur ein bruchstückhaftes Bild von Biennalen erhalten. Die Experten unterhielten sich auf hohem Niveau, diskutierten manche Versäumnisse bei Biennalen, die für die Allgemeinheit vielleicht doch nur am Rande interessant waren. So forderte Maria Hlavajova zwar zu Recht Transparenz in den finanziellen Strukturen - einzig die letzte Istanbul-Biennale schlüsselte z.B. ihr Budget genau nach Ausgaben für Administration, Werbung und Ausgaben für die Künstler bzw. für die Produktion der Werke auf. Von vielen anderen Biennalen weiß man, dass sie ihre Künstler nicht bezahlen oder sogar erwarten, dass diese die Kosten für ihre Präsentation selbst tragen. Wer Geld mitbringt, ist dabei, wer nicht – tough luck! Zweifellos ein wichtiges Thema, über das selten offen geredet wird, aber vielleicht doch eher für Insider und nicht für das breite Publikum aufschlussreich.
An der knapp bemessenen Zeit für Diskussionen und der Art und Weise der Separierung der Vortragenden vom normalen Publikum während der Mittagspausen und Abendstunden konnte man es erahnen, am dritten Tag wurde es dann ganz offensichtlich: die Veranstalter erwarteten vom Publikum, von den Diskussionen keine weiteren Erkenntnisse zum Thema. Die eigene Entscheidung für oder gegen eine Biennale stand ohnehin schon fest, wie Solveig Øvstebø in ihrem Statement deutlich machte. Den Nicht-Vortragenden blieb nur die Statistenrolle, auch wenn den Veranstaltern ihr finanzieller Beitrag sicher willkommen war. Denn das Publikum erschien außergewöhnlich zahlreich - norwegischen Weiterbildungsgepflogenheiten sei dank: die Veranstaltung galt nicht nur als bezahlte Arbeitszeit, der Arbeitgeber bezahlte auch die Kosten und darüber hinaus sammelt jeder Norweger mit der Teilnahme wertvolle (Staats-)Punkte. Gerade weil die Veranstaltung ein so großes Publikum erreichte, hätte man sich gewünscht, dass sich die Veranstalter Gedanken über die spezifischen Wünsche des Publikums gemacht hätten. Aber vielleicht ging es weniger um die Konferenz, um die öffentliche Veranstaltung, als vielmehr um den immer wieder angesprochenen zweibändigen Reader, der publiziert werden soll. Im ersten Band sollen grundlegende Texte zum Thema, die bereits publiziert sind, wieder abgedruckt werden. Der zweite Band wird dann neue Texte, vornehmlich von den Beitragenden enthalten. Man merkt den Ehrgeiz der Organisatoren – und selbstverständlich den Versuch, die Deutungshoheit über das Thema zu erlangen. Es ist zu hoffen, dass bei der Textauswahl auch Biennalekenner einer älteren Generation zu Wort kommen, die auch die in Bergen zu kurz gekommene, zurück liegende Reflektion über Biennalen einbringen können.
Was bleibt? Immerhin wurde die Kernfrage, ob und wie eine Biennale sich von jeder anderen Gruppenausstellung unterscheidet, von mehreren Seiten eingekreist. Einig war man sich darin, dass der Eventcharakter größere Sichtbarkeit bringt, die nützlich ist, um Politiker und Sponsoren von der Notwendigkeit einer solchen Veranstaltung zu überzeugen. Und wenn auch die Ergebnisse nicht vollständig befriedigten, ging der Schritt in die Wissenschaft doch in die richtige Richtung. Noch bis vor 5 Jahren gab es kaum wissenschaftliche Texte zum Thema, viele der bisherigen Symposien sind nicht oder nur teilweise an ephemeren Stellen publiziert. Und die Frage der Transparenz wurde offen angesprochen. Die Biennalen haben nicht das Interesse, ihre Karten offen zu legen. Vor allem die zahlreichen nationalen Unterstützerorganisationen müssen sich ihre Informationen mühsam selbst besorgen. Daran wurde wieder einmal deutlich, dass so etwas wie eine übergeordnete Institution fehlt, die Transparenz einfordern und einen alle Biennalen verpflichtenden Code of Ethics, der schon 2000 in Kassel im Gespräch war, durchsetzen helfen kann. Darin müsste dann auch festgelegt sein, dass Biennalen das lokale Publikum einzubeziehen haben, wenn sie als erfolgreich gelten wollen. Es könnte so eine Art Biennale Watch Organisation entstehen, die auch in der Lage wäre, ein übergeordnetes Archiv der Biennalen zu unterhalten, in dem die Wissensproduktion gesammelt, aufbereitet und zugänglich gemacht würde. Marieke van Hal, eine der Organisatorinnen von Bergen und langjährige manifesta-Mitarbeiterin, arbeitet daran, eine Biennale Foundation zu gründen. Es wäre zu hoffen, dass sie diese Aufgabe übernehmen kann.
Anmerkung:
Ursula Zeller
Direktorin des Zeppelin Museum Friedrichshafen, war bis 2007 Leiterin der Abteilung Kunst im Institut für Auslandsbeziehungen Stuttgart. Für das ifa hat sie weltweit viele Biennalen besucht und einige Biennale Konferenzen organisiert.
Konferenzprogramm konzipiert von:
Solveig Øvstebø
Marieke van Hal
Elena Filipovic
Bergen Biennial Conference
17. - 20. September 2009
Dreitägige Konferenz im Zusammenhang mit dem Vorhaben, 2011 in Bergen eine neue Biennale zu beginnen.