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Contemporary Art Criticism from Latin America. Herausgeber: Gerardo Mosquera, iniVA, London 1995. Rezension.
Von Gerhard Haupt | Jan 1997Es ist schon ein interessantes und signifikantes Phänomen: Obwohl die Kunst Lateinamerikas in den letzten Jahrzehnten weltweit wachsende Verbreitung und Anerkennung erfuhr, sind die Texte der von dort kommenden Kunstkritiker und Theoretiker international vergleichsweise wenig zur Kenntnis genommen worden. Sie tauchen nur vereinzelt in Zeitschriften und den Katalogen der zumeist von europäischen oder nordamerikanischen Kuratoren organisierten Ausstellungen auf. Das heißt, die Kunst Lateinamerikas ist außerhalb des Subkontinents sehr oft nicht von Lateinamerikanern selbst vermittelt worden. Eine Sicht von außen kann zwar durchaus aufschlußreiche Erkenntnisse bringen, aber gerade in Bezug auf Lateinamerika ist sie allzuoft zu undifferenziert, landläufigen Klischees verhaftet oder durch ein eurozentristisches Verständnis der Moderne getrübt.
Darauf nimmt der Titel der von Gerardo Mosquera herausgegebenen Anthologie Bezug. Erstmals werden für ein englischsprachiges Publikum wichtige kunstkritische und kunsttheoretische Essays zusammengefaßt, die ein facettenreiches Bild dieser Kunst "hinter dem Phantastischen" zeichnen.
Die Auseinandersetzung mit der Kunst Lateinamerikas ist in den meisten dieser Beiträge der Ausgangspunkt von Analysen und theoretischen Reflexionen, die wesentliche Erkenntnisse zur Komplexität der zeitgenössischen Kunst überhaupt beinhalten. Insofern kann gar nicht ausdrücklich genug betont werden, daß es sich hier zwar um Kunstkritik aus, aber nicht allein für Lateinamerika handelt. Dieses Buch ist nicht nur für den relativ engen Kreis der "Lateinamerika-Experten" von Bedeutung.
Obwohl man im "Westen" den zunehmend polyzentrisch determininierten Verlauf der globalen Prozesse zur Kenntnis nimmt, wird den Innovationspotentialen, die aus den vermeintlichen "kulturellen Randzonen" kommen, noch keine ausreichende Beachtung entgegengebracht. Zu Recht verwies Wolf Lepenies, der Rektor des Berliner Wissenschaftskollegs, im vergangenen Jahr vor führenden deutschen Wirtschaftsvertretern darauf, daß sich die europäischen Gesellschaften von Belehrungskulturen zu Lernkulturen wandeln müssen, wenn sie in Zukunft nicht von Zeitgebern zu Zeitnehmern der Modernisierung werden wollen.
Auch in der nach wie vor von den "Zentren" und dem damit verbundenen Medienapparat dominierten internationalen Kunstdebatte ist es an der Zeit, endlich die überkommenen Denkstrukturen zu revidieren, um der Vielgestaltigkeit und den wachsenden Verflechtungen der Kunstprozesse auf unserem Globus gerecht zu werden. Es kann nicht darum gehen, das westliche Denkgebäude lediglich um einige Anbauten rund um den Haupteil zu erweitern. Der morsche Bau sollte niedergerissen und in gemeinsamer Anstrengung aller Beteiligten neu errichtet werden. Man käme ein gutes Stück auf diesem Weg weiter, wenn ein solches Buch wie Beyond The Fantastic nicht mehr nur als regionale Studie, sondern als Beitrag zur Gesamtdebatte begriffen würde.
(Veröffentlicht in Art Nexus, Nr. 23/1997; gekürzte Fassung)
"Es handelt sich hierbei um Zeugnisse der kritischen Auseinandersetzung in den achtziger Jahren, die noch heute weitergeführt wird. Sie bildet einen Korpus mit eigenen Zügen, der die herkömmlichen Paradigmen verändert hat. Als Marta Traba in den sechziger Jahren das erste Buch veröffentlichte, in dem die Kunst Lateinamerikas mit einem umfassendem Blick betrachtet wurde, bedeutete das erstmals eine gewisse konzeptuelle Einheit. Während zweier Dekaden dominierte eine Kunstkritik mit sozialen Engagement, die - obwohl in sich vielfältig und oft polemisch - einen Diskurs der Eigenart lateinamerikanischer Kunst aufbaute, bei dem Kultur und Gesellschaft zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Die hier versammelten Autoren stammen aus diesem Prozess. Sie reflektieren diesen im Rahmen einer Kritik an der Modernität und am Ende einer tragischen Utopie als Antwort auf eine neue Epoche."
(Aus der Einleitung von Gerardo Mosquera.
Aus dem Englischen: Haupt & Binder)
Gerhard Haupt
Kunsthistoriker, Kurator, Kritiker, lebt in Berlin, Deutschland. Zusammen mit Pat Binder Herausgeber von Universes in Universe - Welten der Kunst.
Beyond the Fantastic:
Contemporary Art Criticism from Latin America
Edited by Gerardo Mosquera
in association with Oriana Baddeley
Institute of International Visual Arts (iniVA)
London, 1995
ISBN 1 899846 00 X
In Englisch, mit Essays von:
Néstor García Canclini, Andrea Giunta, Paulo Herkenhoff, Mirko Lauer, Ticio Escobar, Pierre Bocquet, Gerardo Mosquera, Nelly Richard, Luis Camnitzer, Tomás Ybarra-Frausto, Guillermo Gómez-Peña, George Yúdice, Carolina Ponce de León, Mari Cármen Ramírez, Mónica Amor, Celeste Olalquiaga, Gabriel Peluffo Linari, Gustavo Buntinx, Mirko Lauer