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documenta fifteen: Von der Kunst, miteinander im Dialog zu bleiben

Nach den Antisemitismus-Vorwürfen gegen die indonesischen Kollektive ruangrupa und Taring Padi stellten sich die Künstler den Fragen der Kulturszene in Indonesien.
Von Christina Schott

Die Künstlergruppe RAM Museum hat in der aktuellen Art Jog die Ereignisse in Kassel aufgegriffen: Eine Videoinstallation zeigt bekannte Kunstwerke, die in Indonesien zensiert wurden – meist weil sie den Staatsapparat kritisiert oder gegen islamische Prinzipien verstoßen haben. Den Abschluss bildet eine verzerrte Aufnahme der Verhüllung von „People’s Justice“ in Kassel.
© Foto: Christina Schott

Es ist ein schwüler Sonntagnachmittag Mitte August in der javanischen Kulturmetropole Yogyakarta – der Trockenzeit zum Trotz hängt Regen in der Luft. Im Hof des Jogja National Museum drängen sich Menschen, trinken Eiskaffee oder rauchen Nelkenzigaretten. Vom 8. Juli bis 4. September findet hier wie jedes Jahr die Art Jog statt, Indonesiens wohl bekannteste Kunstmesse, diesmal mit dem vielsagenden Titel „Expanding Awareness“ (Bewusstsein erweitern).Heute jedoch sind viele Besucherïnnen nicht wegen der aktuellen Ausstellung gekommen, sondern wegen einer Diskussion über die Ereignisse auf der documenta fifteen im 11.000 Kilometer entfernten Kassel.

Vor dem Ajiyasa, einem offenen Pavillon aus Beton, haben sich rund 200 Menschen versammelt, darunter viele prominente Vertreter der lokalen Kunstszene. Aus Jakarta sind Ade Darmawan und Farid Rakun als Vertreter von ruangrupa angereist – dem Kollektiv, das die künstlerische Leitung der diesjährigen Documenta innehat. Außerdem sind fast alle Mitglieder des Künstlerkollektivs Taring Padi anwesend. Sie sind erst vor kurzem aus Deutschland zurückgekehrt, wo sie mit harschen Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert wurden. Sie wirken erschöpft, aber auch erleichtert, sich wieder in vertrauter Umgebung zu bewegen, wo man sie und ihre Kunst kennt. In Kassel wurde Mitte Juli, nur zwei Tage nach der Eröffnung der Documenta, ihr acht mal zwölf Meter großes Banner „People’s Justice“ erst schwarz verhüllt, dann ganz abgebaut. Zwei Figuren auf dem 20 Jahre alten Werk, das zuvor unter anderem in Australien und China ausgestellt worden war, verursachten in Deutschland einen öffentlichen Aufschrei – vor allem eine Karikatur bediente sich antisemitischer Bildsprache aus der Nazi-Zeit.

Kleine Nachbildung des schwarz verhüllten Banners "People's Justice" am Eingang von Art Jog in Yogyakarta.
© Foto: Christina Schott

Eine deutlich kleinere Replika des schwarz verhängten Banners mit der Aufschrift „undebatable“ steht am Eingang der Art Jog. Die Organisatoren der Kunstschau haben sie dort aufgestellt – als „moralische Unterstützung für Taring Padi“ wie Bambang Witjaksono erklärt. Der langjährige Kurator der Art Jog, der 2018 auch die Ausstellung zum zwanzigjährigen Jubiläum von Taring Padi am Indonesischen Institut der Künste kuratiert hat, kann den Vorwurf des Antisemitismus nicht nachvollziehen: „Im Banner ,People’s Justice‘ geht es eindeutig um den Kampf des indonesischen Volkes, die Ungerechtigkeiten während der Suharto-Ära wiedergutzumachen. Ich verstehe das Werk als Einheit mit den anderen Arbeiten Taring Padis, die den autoritären Stil der Neuen Ordnung (Suhartos) kritisieren. Die umstrittenen Karikaturen müssen in einer Reihe mit den vielen anderen Figuren daneben gesehen werden.“ Witjaksono hält es für problematisch, dass die Künstlerïnnen von Taring Padi in Kassel keinen Raum bekamen, um über ihr Werk zu diskutieren: „Unabhängig vom politischen Klima in Deutschland und Israel muss ein Dialog als Forum für gemeinsames Lernen geführt werden, damit es nicht zu einseitigen Urteilen kommt.“ Dieses Forum wolle die Art Jog ihnen nun geben.

Indonesische Kunstschaffende sprechen von Zensur und Verrat an künstlerischer Freiheit

Einige indonesische Kunstschaffende drücken ihre Meinung in den Sozialen Medien deutlich drastischer aus: Sie reden von staatlicher Zensur und fragen, warum Taring Padi und ruangrupa sich nicht stärker gegen den Abbau des Werks gewehrt hätten. Goenawan Mohamad, Gründer und Senior Editor des indonesischen Investigativ-Magazins Tempo, fragte sich in seiner populären Kolumne „Randnotizen“, wie ein 20 Jahre altes Bild gegen das Militärregime der Neuen Ordnung in Deutschland plötzlich in seiner Gesamtheit als „antisemitisch“ interpretiert werden konnte: „Es ist absurd, dass von Indonesiern, Chinesen oder Menschen aus Papua erwartet wird, dass sie Grausamkeit und Hass als eine Erfahrung interpretieren, die unweigerlich mit europäischem Antisemitismus verbunden sein muss.“ Von einem „Monument der Trauer“ für die künstlerische Freiheit spricht die international renommierte Installationskünstlerin Titarubi. „Viele Kunstschaffende in Indonesien können nicht glauben, dass ein Werk bei einer prestigeträchtigen Kunstschau in einem entwickelten Land wie Deutschland einfach verboten wird. Damit wird der Glaube an die künstlerische Freiheit im Westen als eine Form der Demokratie in Frage gestellt.“

Zum Auftakt des Podiumsgesprächs erklärt ruangrupa-Mitglied Ade Darmawan noch einmal das kuratoriale Lumbung-Konzept der documenta fifteen, bei dem die Auswahl der Künstlerïnnen nicht nach Werken, sondern nach ihrer Arbeitsweise erfolgte. Deswegen habe man auch nicht jedes einzelne der mehreren tausend ausgestellten Werke vorher angesehen, die Teilnehmenden hätten sich gruppenweise über das Majelis-System selbst kuratiert.

Der westliche kunstmarkt war von ruangrupas lumbung-Ansatz nicht begeistert

Darmawan wirkt müde nach den anstrengenden Skandal-Wochen, doch es scheint ihm wichtig, dass man ihn gerade auch hier – im Zentrum der indonesischen Kunstszene – versteht. „Eine der wichtigsten Fragen war für uns, wie die Ökosysteme der Kollektive funktionieren, also dass die Künstlerïnnen ihre Arbeiten nicht nur einmal nach Kassel tragen, sondern wie es danach weitergeht und inwiefern auch anderen Gemeinschaften davon profitieren“, sagt Darmawan. „Kunstausstellungen sind normalerweise ziemlich antisozial – das wollten wir ändern.“ Wenig überraschend, dass der westliche Kunstmarkt von diesem Ansatz nicht begeistert war. Auf die Antisemitismus-Vorwürfe seien sie als künstlerische Leitung jedoch nicht vorbereitet gewesen.

Podiumsdiskussion im Rahmen der Art Jog in Yogyakarta, Indonesien, 14. August 2022. V.l.n.r.: Dr. Stanislaus Sunardi, Sanata Dharma University, Fitriani Dwi Kurniasih, Muhammad Yusuf, Setu Legi, alle Taring Padi, Ade Darmawan und Farid Rakun, ruangrupa, ganz rechts: Gebärdendolmetscher; auf dem Monitor: Alexander Supartono, Taring Padi.
© Foto: Vivien Poly

Sichtlich bewegt erzählt Taring-Padi-Mitglied Fitriani Dwi Kurniasih, dass die Vorwürfe für sie als völliger Schock kamen. „Die Anschuldigungen wurden direkt veröffentlicht, ohne dass irgendjemand mit uns gesprochen hätte. Dabei hatten wir das Thema Antisemitismus nie im Kopf und haben diese Figuren vorher nie auf diese Weise gesehen – in dem Werk geht es um etwas ganz anderes. Aber wir haben gar keine Gelegenheit bekommen, das Bild zu erklären“, so die 41-jährige Künstlerin und Menschenrechtsaktivistin.

Das umstrittene Banner zeigt, wie Vertreterïnnen des einfachen Volks über diejenigen richten, die das 32 Jahre lang regierende Militärregime Suhartos mitverantwortet haben: Soldaten, Bürokraten, Industriebosse. Zwischen einer halben und drei Millionen Menschen wurden in dieser Zeit getötet oder verschwanden in Zwangsarbeitslagern, weil sie der kommunistischen Partei angehörten oder ihr nahestanden. Zahlreiche westliche Staaten unterstützten das System gegen den verhassten Kommunismus, nicht zuletzt auch um freien Zugang zu den riesigen Rohstoffvorkommen Indonesiens zu erhalten. Darunter die USA, Australien, Großbritannien – höchstwahrscheinlich auch Deutschland und Israel. Einige der beteiligten Staaten sind auf dem Bild als fratzenhafte Karikaturen dargestellt, ähnlich balinesischen Dämonen-Gemälden, viele Elemente erinnern an das javanische Schattentheater. Daneben sind indonesische Soldaten mit Gasmasken zu sehen, die man auch als Schweinenasen interpretieren kann. Mehrere von ihnen tragen Schriftzüge ausländischer Geheimdienste auf dem Helm, die Suhartos Militär mit Waffen versorgt haben sollen – etwa CIA, MI5, ASIO und Mossad. Auch der KGB und 007 sind dabei. Das eigentliche Problem ist die Karikatur eines orthodoxen Juden mit spitzen Zähnen und SS-Runen auf dem Hut, die vermutlich den Staat Israel darstellen soll.

Antisemitische Bildsprache: „Ein Fehler, den wir hätten erkennen müssen“

Diese Figur bedient sich antisemitischer Bildsprache aus der Nazi-Zeit, gibt Taring-Padi-Mitglied Alexander Supartono zu. „Das war ein Fehler, den wir hätten erkennen müssen. Dafür haben wir uns entschuldigt.“ Der Dozent der Kunstgeschichte an der Napier-Universität in Edinburgh ist während der Diskussion per Video zugeschaltet. „Wir können nicht mehr genau nachvollziehen, wer diese Figur gemalt hat und wie sie in dieser Form auf das Bild gekommen ist. In hunderten anderen Werken, die in Kassel untersucht wurden, hat sich keine weitere solche Figur gefunden. Dennoch müssen wir als Kollektiv die Verantwortung dafür übernehmen.“ Sich dem Abbau des Banners zu widersetzen, wäre keine Option gewesen, damit hätte die Gruppe die ganze Documenta gefährdet. „Wir lernen jetzt, was Antisemitismus aus deutscher Sicht bedeutet. Es sollte aber ein gegenseitiges Lernen sein“, sagt Supartono.

Taring Padi 1999 beim kollektiven Arbeiten am Banner „Pengungsi“ (Flüchtlinge), das in Kassel am Rondell ausgestellt ist.
© Foto: Archiv Taring Padi

„Wir haben ,People’s Justice‘ genau hier gemalt, in diesem Ajiyasa, in dem wir jetzt sitzen“, erzählt Taring-Padi-Mitglied Setu Legi, der schon bei der Entstehung des Banners vor 20 Jahren dabei war. Zu jener Zeit hatten die damaligen Studentïnnen die leerstehenden Gebäude der früheren Kunstakademie besetzt, in denen heute das Jogja National Museum untergebracht ist. Der ehemalige Campus wurde zu einem Treffpunkt der Underground-Szene, an dem man ungestört gemeinsam abhängen konnte. Hier hat sich Taring Padi gegründet, es gab Ausstellungen, Punkkonzerte und sogenannte Mondschein-Diskussionen. Und mittendrin wurde auch gemalt: Einige zeichneten die grob geplanten Skizzen vor, danach konnte jeder mitmalen, der wollte.

Es sei daher schwierig nachzuvollziehen, ob die umstrittene Figur von nur einer Person gemalt worden sei, ob etwa jemand anders die spitzen Zähne dazugefügt habe, die auch bei den Figuren daneben zu sehen sind – und welche Intention sie dabei gehabt hätten, sagt Setu Legi. Um den Vorgang besser nachvollziehen zu können, hat der heute 51-Jährige Planungsskizzen des kollektiven Werks aus dem Archiv ausgegraben. Sie werden hinter ihm an die Wand projiziert, während Ventilatoren die stickige Luft im vollbesetzten Zuschauerraum wenigstens etwas in Bewegung halten. Die hingekritzelten Notizen zeugen vom hitzigen studentischen Eifer der Reformasi-Ära: Auf der einen Seite geht es um den Kampf der „Volkskultur“ gegen den Mainstream, geprägt von der Hegemonie des Kapitalismus und Militarismus in Indonesien, beides ermöglicht durch den früheren Kolonialismus westlicher Mächte. Auf der anderen Seite geht es um einen ökologischen Umgang mit der Umwelt und eine Aussöhnung beider Seiten vor dem Hintergrund der blutigen Vergangenheit unter Suharto: „Gemeinsam lernen“, steht an mehreren Stellen. Andere Länder oder Religionen werden nirgendwo erwähnt. „Diese Dokumentation zeigt, dass das Thema Antisemitismus bei der Planung von ,People’s Justice‘ keine Rolle gespielt hat“, so Setu Legi.

Das Publikum bei der Podiumsdiskussion in Yogyakarta, Indonesien, 14. August 2022
© Foto: Vivien Poly

"Es sollte ein Zeichen der Solidarität für die Vielfalt der globalen Gesellschaft sein, die so oft unterdrückt wird"

Immer wieder wird während der Diskussion gefragt, warum Taring Padi das alte Banner überhaupt mit nach Kassel genommen und sich nicht auf neuere Werke konzentriert habe. „Wir wollten dem Publikum und vor allem anderen Künstlerïnnen vermitteln, was man über längere Zeit mit Kunst bewegen kann, mit großen wie mit kleinen Werken“, erklärt Taring-Padi-Mitglied Muhammad Yusuf. „Zusammen mit dem Banner haben wir mehr als 600 neue wayang kardus (Pappfiguren) auf dem Friedrichsplatz ausgestellt, die hunderte Menschen aus verschiedenen Ländern in Workshops erarbeitet hatten. 400 weitere stehen immer noch vor dem Hallenbad Ost. Das klingt vielleicht einfach, war aber mehr als ein Jahr harte Arbeit. Das Ziel war, die Stimmen all dieser Menschen nach Kassel zu bringen. Es sollte eine Solidaritätsbekundung sein für die Vielfalt der globalen Gesellschaft, die so oft unterdrückt wird.“

In Indonesien ist staatliche Zensur nichts Ungewöhnliches. Taring Padi war seit ihren Anfängen Konflikte gewöhnt, frühe Mitglieder wurden von Militärpolizisten verprügelt, ihr erstes Banner wurde von Islamisten verbrannt, ihr Squat von Fundamentalisten überfallen. Sie hätten dadurch vermutlich weniger Angst vor Zusammenstößen, vermutet ein Zuschauer. Aber was bedeute das für andere Kunstschaffende aus Indonesien? Würden jetzt alle unter dem Label des Antisemitismus „verbrannt“? Müssten jetzt alle Selbstzensur üben, die in Deutschland ausstellen wolle, wo schon die Nasen von indonesischen Schattenfiguren als antisemitisch gedeutet würden?

Ausschnitt aus dem Holzschnitt "All Mining Is Dangerous" von Taring Padi: Auf Wunsch der Documenta überklebten die Künstler die traditionelle muslimische Gebetsmütze, die hier von der javanischen Wayang-Figur Petruk getragen wird, so dass sie zu einem indonesischen Peci-Hut wurde. Die Befürchtung war, dass die Figur als Karikatur mit Kippa fehlinterpretiert werden könnte - was später tatsächlich geschah.
© Foto: Taring Padi

Die Gefahr der Selbstzensur sei nach diesem Skandal zweifellos groß, antwortet Alexander Supartono. „Es besteht ein großes Risiko, dass Kunst von der Politik instrumentalisiert wird. So werden wir dazu gezwungen, noch einmal kritisch jedes Detail anzusehen, besonders hinsichtlich möglicher Zusammenhänge zwischen Postkolonialismus, Antisemitismus und kolonialem Rassismus“, sagt der Kunsthistoriker, der auf Fotografie aus der Kolonialzeit spezialisiert ist.

Die kritisierten Zeichnungen stellten lediglich äußere Formen dar, in die jeder etwas anderes hineininterpretieren könne, merkt daraufhin Dr. Stanislaus Sunardi an, der als Kommentator mit auf dem Podium sitzt. Der Dozent für religiöse und kulturelle Studien an der evangelischen Sanata Dharma Universität in Yogyakarta erinnert daran, dass die Öffentlichkeit in Deutschland vielleicht nicht so drastische Darstellungen gewohnt sei wie die Menschen in Indonesien. „Taring Padi behandelt so viele Themen: von den Opfern des Schlammvulkans Lapindo bis zum Eisensandabbau an der Küste von Wates. Wenn man solch spezifische Themen in ein anderes Land trägt, ohne den Kontext genau zu erklären, besteht die Gefahr, dass dieser durchaus ,kreativ‘ gelesen wird“, sagt Sunardi, der auf Semantik spezialisiert ist. Daher wäre vor allem eine bessere Kontextualisierung wichtig gewesen, um falsche Lesarten zu verhindern. Dass einige deutsche Politiker die Kunst allerdings nicht einmal angeschaut hätten, bevor sie sie verurteilt hätten, wäre schon erstaunlich.

Mehr Kontext, um „kreative“ Lesarten zu verhindern, oder mehr Dialog?

ruangrupa-Mitglied Ade Darmawan hält dagegen, dass zu viel Erklärungen die Besucher bevormunden würde. „In Deutschland wird immer vorausgesetzt, dass das Publikum nichts weiß. Alles wird bis ins letzte Detail erklärt. Wir glauben, dass Text dabei nicht viel hilft – sondern eher das direkte Gespräch.“ Die Erfahrungen mit den Besuchern vor Ort zeigten, dass die meisten gar keine Probleme mit den Werken hätten, es herrsche viel Interesse und es entwickelten sich tolle Gespräche. „Es ist als existierten zwei Welten: die eine vor Ort in Kassel und eine ganze andere in Deutschlands Medien und Politik.“

Eigentlich war eine Diskussion über das Gesamtwerk Taring Padis auf der documenta fifteen geplant, am folgenden Tag sollte ein großer Umzug mit den Pappfiguren stattfinden. Doch nach dem Abbau von „People’s Justice“ wurden die Veranstaltungen von der Documenta-Leitung ersatzlos gestrichen. „Wir haben nach diesem Skandal trotzdem versucht, unsere geplanten Aktivitäten zu Ende zu führen: Workshops, Murals – und wir haben spontan eine eigene Performance aufgeführt. Wir haben gegen den Druck angekämpft, weil wir uns den Menschen gegenüber verantwortlich gefühlt haben, die an unseren Werken mitgearbeitet und deren Stimmen wir repräsentiert haben“, erzählt Muhammad Yusuf. „Der positive Austausch mit den Zuschauerïnnen in Kassel hat uns dabei viel geholfen. Und auch die Unterstützung durch die anderen Documenta-Künstlerïnnen, für die wir sehr dankbar waren.“

Mitglieder von Taring Padi zeigen im Kasseler Hallenbad Ost eine Performance, die an ein javanisches Ruwatan-Ritual erinnert - eine Art Reinigungszeremonie, um sich von schlechten Einflüssen zu befreien.
© Foto: Christina Schott

Nach rund drei Stunden muss das Podium beendet werden, im Ajiyasa geht das Abendprogramm der Art Jog mit einer Performance der chinesisch-stämmigen Künstlerin Agnes Christina weiter. Die Gespräche jedoch sind noch lange nicht zu Ende, sie werden nur einige Meter weiter unter dem riesigen Banyan-Baum im Hof fortgesetzt. Die lokale Kunst-Community tut das, was sie am besten kann: „nongkrong“ – die Kunst, so lange gemeinsam abzuhängen, bis alle Ideen ausgetauscht, die meisten Probleme gelöst und Missverständnisse geklärt sind. Die Kunst, einander trotz aller Unterschiede zu verstehen – ohne die der Vielvölkerstaat Indonesien mit seinen hunderten Ethnien, Religionen und Sprachen vermutlich schon längst auseinandergebrochen wäre. Eine Kunst, die die Deutschen auf der documenta fifteen hätten lernen könnten.


Zuerst veröffentlicht in RiffReporter.

Zweit-Veröffentlichung in UiU mit freundlicher Erlaubnis der Autorin.

© Text: Christina Schott
Arbeitet seit 2002 als freie Südostasienkorrespondentin für deutsche Medien. Mitbegründerin des Korrespondentennetzwerks weltreporter.net


documenta fifteen

18. Juni - 25. September 2022
Kassel, Deutschland

Künstlerische Leitung: ruangrupa

Konzept: lumbung

67 Beteiligte

32 Veranstaltungsorte


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