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Der größte Heiligtumskomplex von Gerasa reicht heutzutage von der östlichen Umzäunung der archäologischen Stätte bis zum Artemis-Tempel ganz im Westen, was etwa 320 m sind. Ursprünglich verlief eine Via Sacra von den Wohnvierteln im Ostteil der Stadt über eine Brücke (existiert nicht mehr) über den Chrysorhoas (Wadi Jerash), durch das langgestreckte östliche und das imposante westliche Propylon am Cardo, den breiten Treppenaufgang hinauf zum Temenoshof mit dem Tempel. Durch die Staffelung der aufeinander abgestimmten Bauten wurde der Prozessionsweg zum Heiligtum der Stadtgöttin von Gerasa grandios inszeniert.
1 - östliche Propyläen / Propyläen-Kirche. 2 - trapezförmiger Platz. 3 - West-Propyläum. 4 - Treppe und Altarterrasse. 5 - Temenos-Hof. 6 - Hauptaltar. 7 - Artemis-Tempel.
Aus mehreren Inschriften (die ältesten aus dem späten 1. Jh. n. Chr.) geht hervor, dass in Gerasa bereits vor der Errichtung des großen Heiligtums eine Artemis-Kultstätte existierte, doch fehlen Hinweise auf deren Ort. Höchstwahrscheinlich war es nicht die Stelle, an der um die Mitte des 2. Jahrhunderts der bis heute erhaltene Tempel entstand, denn dort befand sich zuvor eine Nekropole. Ein früherer Artemiskult ist durch die Münzprägung belegt, die in Gerasa 67/68 n. Chr. begann und der zufolge Artemis die wichtigste Gottheit der Stadt gewesen zu sein scheint (Lichtenberger, S. 200). Die Artemis von Gerasa ist wohl die griechische Interpretation einer semitischen Göttin - mehr dazu:
Ab wann das Artemis-Heiligtum errichtet wurde, ist nicht belegt. Eine Weihinschrift am westlichen Propylon am Cardo nennt das Jahr 150 n. Chr. für dessen Fertigstellung. Angesichts des riesigen Aufwands allein schon für solche Vorarbeiten wie die Brücke über das Wadi, Stützmauern, Ausschachtungen, tonnengewölbte Unterbauten für Terrassen, das Herbeischaffen großer Mengen an Steinen etc., müssen die Planung und der Baubeginn wesentlich früher veranschlagt werden. Artemis-Münzen anlässlich des Besuchs Kaiser Hadrians in Gerasa 129/30 n. Chr. könnten in Bezug auf ein solches Bauprojekt geprägt worden sein (Lichtenberger, S. 200). Es übertraf das bis dahin dominante Zeusheiligtum bei weitem und war von grundlegender Bedeutung für die urbane Entwicklung der Stadt. "Mit der Errichtung dieser neuen Anlage, die kultischen Belangen, aber auch Gewerbe und Handel diente, fanden Größe und Anspruch öffentlicher Selbstdarstellung neuen Ausdruck." (Parapetti, S. 26).
Die Via Sacra führte von den Wohnvierteln östlich des Chrysorhoas zunächst über die (nicht mehr vorhandene) Brücke über das Wadi, eine Treppe hinauf zum Tor des östlichen Propylons mit drei Durchgängen. Dann ging es durch einen 38 x 11 m großen, von eng stehenden Säulen gesäumten Bereich weiter zu einem Platz am Cardo, dessen trapezförmige Öffnung eine visuelle Verbindung über die belebte Hauptstraße hinweg zum westlichen Propylon herstellte. In den halbrunden Exedren auf beiden Seiten dieses Platzes befanden sich Brunnen für rituelle Waschungen.
© Bild basierend auf einer Zeichnung in Kraeling
In byzantinischer Zeit, wahrscheinlich nach dem Einsturz der Brücke über das Wadi, errichtete man auf den Ruinen und mit Spolien der Vorgängerbauten eine christliche Basilika. Deren Apsis wurde vor das Haupttor des östlichen Propylons gesetzt, die Kolonnaden wurden überdacht und die Wege außerhalb der Säulen in enge Seitenschiffe umgewandelt. Der trapezförmige Platz ist zu einem Vorhof mit Portiken umgewandelt worden, der zur Hauptstraße, dem einstigen Cardo, durch eine Mauer mit drei Türen abgeschirmt war.
Die Apsis der Kirche, vor und zwischen das östliche Haupttor des Propylons gebaut. Tonnengewölbe, durch die einst ein Weg angelegt war, stützen den östlichen Bereich des Bauwerks am Hang des Wadi Jerash.
Blick über das Mittelschiff der Propyläen-Kirche nach Westen. Oben in der Mitte, ganz im Hintergrund, sind die Säulen des Artemis-Tempels zu sehen. Das Gebäude oben rechts ist eine kleine osmanische Garnison, 1910 zum Schutz und zur Überwachung der Besucher der archäologischen Stätte erbaut.
Die monumentale Toranlage wird durch vier besonders hohe Säulen (etwa 16 m hoch, Durchmesser ca. 1,40 m) auf der Westseite des Cardo hervorgehoben. Diese trugen ein Gebälk und einen dreieckigen Giebel mit einer halbrunden Bogenöffnung in der Mitte. Teile davon sind erhalten und auf der gegenüberliegenden Seite des Cardo abgelegt. In den Resten des Tympanons fand man Fragmente einer Inschrift, aus der hervorgeht, dass das Gebäude von der Stadt durch den consul designates Lucius Attidius Cornelianus (war 150 - 151 n. Chr. Statthalter der römischen Provinz Arabia Petraea) errichtet und 150 n. Chr. geweiht wurde.
Die Giebelfassade am Cardo und das reich verzierte Hauptportal mit drei Durchgängen, das dahinter erhöht auf einigen Stufen steht, bilden eine bauliche Einheit. Das mittlere Tor ist 9 m hoch und 5 m breit, die beiden Seitentore sind jeweils 4 x 3,8 m groß. Von diesem Propylon führt ein Treppenaufgang zunächst zu einer sehr breiten Terrasse und dann weiter zum Temenos-Hof hinauf.
Das westliche Propylon ist das Zentrum einer langen, massiven Konstruktion, die den Hang abstützt und in der mehrgeschossige Ladenlokale untergebracht waren.
Von der gegenüberliegenden Propyläenkirche hat man einen guten Blick auf die vier Säulen am Cardo und das Tor des westlichen Propylons, dessen oberer Giebelbereich fehlt. Ganz oben im Hintergrund sieht man die Säulen des Artemis-Tempels, doch wird dieser Blick in der Antike wohl durch die Propylonanlage am Temenoshof verstellt gewesen sein.
Die Treppe gleich hinter dem West-Propylon ist ebenso wie das Tor 19 m breit und wurde in den 1930er Jahren nach dem antiken Vorbild wieder aufgebaut. Zunächst erreicht man eine Terrasse mit den Fundamenten eines Altars. Diese weite Plattform liegt etwa 14 m über dem Niveau des Cardo, hatte wahrscheinlich dieselbe Breite wie die Temenoskolonnaden ganz oben und war ebenfalls von Säulenhallen flankiert. An den Seiten gab es kleine, von wohlhabenden Bürgern der Stadt gestiftete Votivaltäre.
Von der Terrasse führten 105 m breite Stufen hinauf zum heiligen Bezirk (Temenos).
Das Temenos, der heilige Bezirk um den Artemis-Tempel und den Hauptaltar, ist ein 161 m langes und 121 m breites Areal auf der obersten Terrasse, 25 m höher als der Cardo und auf allen vier Seiten von Säulengängen umgeben. Die Portiken im Norden und Süden waren durch abwechselnde Exedren und Räume vertieft.
Oberhalb des östlichen Treppenaufgangs stand eine Kolonnade mit 22 Säulen und Ecktürmen auf beiden Seiten. Der verzierte Portikus im Zentrum hatte einen Bogengiebel.
Auf dieser Ostseite wird die Terrasse durch Unterbauten mit Tonnengewölben gestützt, die den abschüssigen Felshang darunter ausgleichen und von den Seitenstraßen aus zugänglich sind. Auch der nördliche und südliche Bereich des Temenosplateaus wurde durch solche Gewölbebauten erweitert.
Der Hauptaltar des Artemis-Heiligtums mit einer quadratischen Grundfläche von 12 x 12 m befindet sich ein Stück vor dem Tempel, nördlich von dessen Mittelachse. Er war umzäunt und von der dem Tempel zugewandten Seite aus zugänglich (von Westen). An dem Altar im Temenoshof wurden die öffentlichen Rituale für den Kult der Artemis zelebriert und Feste zu Ehren der Göttin gefeiert. Der Tempel selbst durfte nur von den Priestern betreten werden.
Der klassische Peripteros, d.h. eine Cella (der innere Hauptraum) mit äußerem Säulenumgang, steht auf einem etwas mehr als 4 m hohen und ca. 23 x 40 m großen Podium. An der Frontseite hat er 6 Säulen (Hexastylos) und 2 innere dahinter im Pronaos. Elf der 13 m hohen korinthischen Säulen des Bauwerks blieben erhalten. Von den ursprünglich geplanten 32 Säulen sind wohl ohnehin nur 12 je aufgestellt worden (Schild am Ort), der Tempel wurde anscheinend nicht fertiggestellt (Parapetti, S. 29).
Die auf beiden Seiten vorspringende Flügel des Podiums rahmten einen breiten Treppenaufgang zum Portikus. Die schmale Treppe, über die man heutzutage hinaufgeht, ist ein moderner Ersatz.
Da die fragilen Kapitelle mit Akanthusblättern so gut erhalten sind, nimmt man an, dass sie nie ein Dach trugen, das bei den zahlreichen Erdbeben heruntergestürzt wäre und die herausragenden Verzierungen zerstört hätte. Es ist ein weiterer Grund für die Annahme, der Tempelbau sei nie komplett fertiggestellt worden. (Parapetti, S. 29)
Die starken Außenmauern der Cella des Artemis-Tempels von Südwesten aus gesehen. Die Türöffnung oben links ist ein Ausstieg zum Dach.
Die Cella, der innere Hauptraum des Artemis-Tempels, der nur von Priestern betreten werden durfte, ist 24 x 13,5 m groß. An den glatten, durch Zierfenster unterbrochenen Innenmauern über einem hohen Wandsockel sind Marmorplatten befestigt gewesen.
Das Adyton, der abgeschlossene, allerheiligste Rückraum der Cella, wird von einer großen zentralen Nische mit flachem Bogengiebel und einem Rundbogen darüber dominiert. Darin stand gewiss ein mehrere Meter hohes, bunt bemaltes Kultbild der Göttin Artemis, von dem nichts erhalten ist, so dass man nicht weiß, wie es tatsächlich ausgesehen hat.
Rechts und links davon sind auf mittlere Höhe rechteckige Nischen in die Rückwand gebaut, und ganz unten waren Seitenräume oder Zugänge zu Treppen, ebenfalls mit Bögen darüber.
Beiderseits der großen Mittelnische des Adytons (Foto oben) und auch auf der Innenseite des Portals der Cella (Foto unten) führten Treppen hinauf zum Tempeldach, wo religiöse Rituale stattfanden, was ein Beleg für den orientalisch geprägten Kult der Artemis in Gerasa ist. In diesem Kontext werden auch Tonnengewölbe unter dem Podium des Tempels gesehen, zu denen die Priester nur über die Treppen in der Cella hinabsteigen konnten. Man nimmt an, dass es sich dabei um ein Wasserreservoir für kultische Zwecke handelt. (Lichtenberger, S. 207) Siehe auch: Artemis - Astarte, Atargatis.
Bislang fand man keine eindeutigen Anhaltspunkte für das Weihedatum des Tempels, so wie das Jahr 150 n. Chr. beim West-Propylon am Cardo. Er entstand gewiss auch in jener Zeit, sicher nicht nach 160 n. Chr., denn bereits 162/163 wurde der Tempel des Zeus Olympios fertiggestellt und geweiht, dessen um einiges größerer Peripteros als Reaktion auf das Artemis-Heiligtum und Ausdruck der Konkurrenz zwischen den Anhängern beider Kultzentren gilt. (Wenning, 1994) Die monumentale Anlage für die Stadtgöttin hatte das bisherige, wesentlich ältere Hauptheiligtum von Gerasa in den Schatten gestellt. Doch dann verlagerte sich das Baugeschehen zum Zeus-Tempel und der Artemis-Tempel wurde nicht mehr vollendet, was auf eine "gewisse Uneinigkeit unter den Machthabern der Stadt" hindeutet (Schild am Zeus-Tempel).
Nach dem Ende des Artemis-Kults in Gerasa wurden die Kolonnaden des Temenoshofs als Steinbruch für christliche Bauten ausgeschlachtet. Vom Tempel selbst sind Dekorteile abgenommen und weiterverwendet oder zu Kalk gebrannt worden. Das Gebäude selbst wurde noch einige Zeit genutzt. Reste eines Mosaikbodens in der Cella lassen erkennen, dass dies ein wichtiger öffentlicher Ort war. In frühislamischer Zeit diente das Gebäude Wohnzwecken. Für die Behauptung, der Artemis-Tempel sei kurzzeitig ein Stützpunkt von Kreuzfahrern gewesen, fand man keine Belege. Am Hauptaltar vor dem Tempel gab es Werkstätten und Brennöfen für die Herstellung von Gebrauchskeramik in großem Maßstab. Das verheerende Erdbeben Mitte des 8. Jahrhunderts hat auch all das zerstört. (Parapetti, S. 34-35)
(© Text von Universes in Universe aus Informationen in verschiedenen Quellen, darunter Lichtenberger, Parapetti, Seigne)
Artemis-Heiligtum
Jerash Archeological City
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Gerasa, City of the Decapolis.
An account embodying the record of a joint excavation conducted by Yale University and the British School of Archaeology in Jerusalem (1928-1930), and Yale University and the American schools of Oriental Research (1930-1931, 1933-1934).
New Haven, American Schools of Oriental Research, 1938.